In den Dolomiten
Montagmorgen. Es regnet. Die Welt draußen ist nass, feucht und klamm. Alles ist Bäh! Sorgfältig packe ich die rote Tasche und mache mich reisefertig. Jetzt muss ich bloß noch das Zelt abbauen. Gerade als ich den ersten Hering aus dem Boden ziehe und mit einem zweiten den fetten Lehm abkratze, blinzelt die Sonne durch die Wolken. Es wird doch noch ein schöner Tag.
Neben mir sitzt eine Traube Männer, Frauen und Kinder beisammen. Sie schnattern, brüllen, lärmen, schreien sich an, lachen, rauchen und gestikulieren. Ich rechne jeden Moment mit dem Ausbruch einer Hauerei, aber dann lachen sie alle wieder und allmählich dämmert es mir: Die unterhalten sich bloß.
In diesem Moment klingelt mein Handy. Claudia. Sie ist sofort alarmiert: "Was ist da los?"
"Nichts, glaube ich. Das sind nur Italiener. Die unterhalten sich."
Nur auf Schotterpisten, da muss ich mich zwingen, langsam hochzubobbern und nicht im MX-Style nach oben zu heizen. Kann man machen, aber dann hat man überhaupt nichts von der Strecke und ist im Nu oben. Hab ich früher so gemacht, mach ich heute anders.
Während ich hochtrabend über das Motorradfahren als solches philosophiere und ganz hingerissen bin von meiner neuen Einsicht, verpasse ich um ein Haar den Abzweiger zum Fort Leone. Mit rauchendem Hinterreifen bremse ich den Seitenweg an und kriege im letzten Moment die Kurve. Das ging gerade noch mal gut, aber damit nicht genug: Jetzt muss ich die ganze Zeit an Pralinen denken. An die mit Nougatfüllung.
Mit dem TKC80 wird die Vorahnung der typischen Schlaglochstöße enttäuscht. Das Gefühl ist softer, als wenn man mit zu wenig Luftdruck fährt, fast wie eine zweite Federung. Ich bin begeistert. Das wird mein Reifen für Island. Dort rechne ich mit fiesen Strecken über Steine und mit endlosen Wellblechpisten. Dafür ist der TKC80 der perfekte Enduroreifen. Ich wünschte, den wäre ich schon im Baltikum gefahren, wo die Pisten mich regelreicht mürbe gerüttelt haben.
Langsam mache ich mich wieder auf den Weg zurück ins Tal. Trotz des blauen Himmels und allerschönsten Sonnenscheins ist es alles andere als warm. Ich merke, wie die Kälte allmählich unter meine Jacke kriecht.
Ich fahre an einem Schild vorbei, auf dem in fröhlichen Farben TRENTINO steht. Jetzt ist es nicht mehr weit zum Passo Brocon. Leider ist die Zufahrt zur ehemaligen Südrampe gesperrt und heute fehlt mir die Energie, mich darüber hinwegzusetzen. Stattdessen folge ich brav der SP79 bis auf die Passhöhe.
Oben auf dem Passo Brocon stehen zwei Gasthäuser. Ich entscheide mich für das, wo mehr Motorräder stehen. Das sagt häufig etwas über Preise und Portionen aus.
An einem der Tische sitzt ein Pärchen, das kaum die Hände voneinander lassen kann. Sie sind so verliebt, dass sie kaum merken, wie der Eisbecher vor ihnen schmilzt. Wer isst bei diesem Wetter Eis? Der Wirt, ein alter Italiener, der vermutlich schon alles gesehen hat, was man in seinem Geschäft sehen kann, blickt gelangweilt hinter dem Tresen hervor. Als ich mich setze, kommt er mit der Speisekarte und legt sie wortlos vor mich auf den Tisch. "Gracie", sage ich. "Prego", erwidert er.
Heute darf Pieps das Essen aussuchen und es ist für niemanden eine Überraschung, am wenigsten für mich, dass ich kurz darauf vor einem Kindermenü sitze: Spaghetti Bolognese und Kakao. Na bravo.
Noch können wir das nicht wissen, aber auf keiner unserer Reisen wurde Pieps so häufig bemerkt und wahrgenommen, ihr über das Köpfchen gestreichelt und etwas Nettes gesagt. Die spinnen, die Italiener.
Die Spaghetti schmecken ganz erstaunlich. Ich wusste nicht, dass ein Kinderessen so lecker sein kann. Bisher kannte ich Spaghetti bloß von Miracoli, Nudeln mit Ketchup eben. Ein Gericht, dass Pieps jeden Tag essen könnte, aber doch nichts für Erwachsene. Ich lerne täglich etwas Neues auf dieser Reise.
Vom Passo Brocon führt die Straße in abenteuerlichen Windungen weiter in die Dolomiten und schließlich hinauf zum Passo Rolle, dem ältesten Dolomitenpass. Sonntags ist sicher die Hölle los, aber heute, an einem Montagnachmittag im September ist hier kein Schwein. Allein und ungestört bleiere ich im Svenja-Tempo über den Pass.
In Fiera di Primiero gerate ich mitten in den Almabtrieb, eine große Veranstaltung, die drei Tage dauert, wenn sie die Kühe von den Hochweiden nach Hause zu den Höfen holen. Ich stelle Greeny auf dem Radweg ab und lasse die Herde an mir vorbeitraben. Ich mag Kühe, die sind irgendwie cooler als Pferde. Vertrauenswürdiger.
"Nicht nur im Winter", denke ich, während ich mir einen Platz suche und die Zeltplane darauf ausbreite. Die Sachen sind klamm vom Kondenswasser der vergangenen Nacht. Für die Reise nach Island im nächsten Sommer habe ich mir extra dieses neue Super Expeditionszelt gekauft, ein Exped Orion II Extreme. Das Testurteil im Outdoor-Magazin lautete: "Von oben wie unten wasserdicht und absolut sturmfest – perfekt!"
Das Besondere am Orion ist die feste Verbindung von Außen- und Innenzelt. So kann man auch bei Regen aufbauen, ohne dass es von innen nass wird. Trotzdem frage ich mich, ob die Hersteller ihren Kram auch einmal im richtigen Leben ausprobieren, denn so schön das Orion ist, hat es doch eine Schwäche: Kondenswasser. Ich habe nach dem Regen in Gajole trocken abgebaut, aber beim Zusammenlegen ist das Kondenswasser von der Innenseite und das Regenwasser auf der Außenplane einmal komplett durchs Zelt genässt.
Das Innenzelt ist klitschenass und auf dem Boden stehen zentimetertiefe Pfützen. Das ist erstmal nicht so schlimm, solange es beim Aufbauen nicht wieder regnet und ich Zeit zum Trocknen habe.
Nach einer Stunde ist alles trocken und ich räume unser Schlafzimmer fertig ein. Ich lege mich etwas hin und wache nach einer halben Stunde durchgefroren wieder auf. "Im Herbst nach Italien, ein letztes Mal Sonne tanken vor der langen dunklen Jahreszeit." Auf Nieselregen bei 9° Celsius war ich nicht gefasst.
Macht nichts, denke ich. Jetzt gehen wir erstmal etwas essen. Pieps wird schon quengelig. Vorher ins Waschhaus, Hände waschen. Ich sehe mich im Spiegel und kriege einen Schreck: Die Wangen sind rot und meine Stirn fühlt sich heiß an. So ein Shice! Keine Ahnung, was ich habe, ein Schnupfen ist es nicht, aber ich fühle mich schlapp und seltsam erledigt.
Zum Essen bestelle ich Pizza del Pescadore mit Sardellen, Kapern, Oliven und scharfer Wurst. Dabei ist Pizza keines meiner Lieblingsgerichte, eine Menge Brot für ein bisschen Aufschnitt, aber diese ist unglaublich gut, sogar besser, als die Ristorante Thunfisch von Dr.Oetker, die bisher die erträglichste war.
Jetzt muss es doch noch Rotwein sein. Tee ist im Grunde nicht gut für den Menschen. Damit signalisiert man dem Körper, dass er krank ist. Das völlig falsche Signal in dieser Situation. Ich bestelle einen viertel Liter Montepulciano.
zum nächsten Tag...
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