Reise nach Italien Tag 1+2: Kiel - Verona - Gajole Tag 3: Am Lago di Corlo Tag 4: Arsiè - Camp Valle Verde Tag 5: Bozen - Meran Tag 6: Meran - Stelvio - Gaviapass Tag 7: Edolo - Zambla Alta Tag 8: Zambla - Lago di Lugano Tag 9: Lago Maggiore Tag 10: Markt in Cannobio Tag 11: L. Maggiore, Lugano, Como Tag 12: Morbegno - Lago d'Iseo Tag 13: Lago d'Iseo - Gardasee Tag 14: Gardasee - Sega Di Ala Tag 15: Verona - Heimreise - Fazit
Am Passo del Vivione
Dieser fiese Moment, wenn man morgens aus dem Schlafsack muss. Brrrr, ist das kalt. Ich sehe aufs Thermometer: 1 °C. Draußen sind minus vier. Das Zelt ist ein Eispanzer. Über Nacht waren sämtliche Klappen zu und ich habe es buchstäblich warm geschlafen.
"Genießen Sie den Spätsommer in Italien..." Bei dem Gedanken muss ich selbst lachen, als ich das vereiste Zelt sehe, doch im Hintergrund steht bereits grandios die Sonne auf dem Berg, darüber blauer Himmel. Ich wette, es wird ein richtig schöner Tag werden, aber jetzt gehen wir erst einmal frühstücken, Pieps und ich.
Es ist der 21. September. Herbstanfang. Letztes Jahr an diesem Tag habe ich in der Nähe von Skagen gezeltet. Der Herbst ist eine wunderbare Zeit, um mit dem Motorrad unterwegs zu sein, die Saison geht dem Ende entgegen, die Campingplätze sind überwiegend leer und man spürt in der Luft bereits die ersten Vorboten des nahenden Winters.
Als ich in die Bar komme, ist dort ein einzelner Tisch liebevoll eingedeckt: Frisches Brot, ein gekochtes Ei, Aufschnitt und Käse, Nutella und Orangensaft für Pieps. Als der junge Mann am Tresen mich sieht, bringt er eine Kanne Kaffee an den Tisch: "Grazie, Signore".
Mein Italienisch ist damit bereits erschöpft, aber er spricht ausgezeichnet Englisch. Nein, es ist zu dieser Zeit sonst nicht so kalt hier. Man sei selbst erstaunt über das Wetter in diesem Jahr. Ich möchte wissen, weshalb der Platz so leer ist, denn meiner Ansicht nach ist es das bisher schönste Camp der Reise. In Meran und Bozen stehen sich die Wohnmobile die Füße platt und hier ist nichts los. "Because there are no Shops around and only one Restaurant", erklärt er mir und sieht mich aus traurigen braunen Augen melancholisch an. Das ist es also, weshalb die Reichen wegbleiben. Armani statt Aussicht.
Es ist solch ein Mörderfrühstück, dass nicht einmal Pieps und ich alles aufessen können. Schon was ich für ein dunkles Brötchen gehalten habe, entpuppt sich als ausgewachsenes Roggenbrot, das allein einen Menschen satt machen kann. Ich schmiere zwei Päckchen Butter drauf und häufe einen Berg Aufschnitt darüber.
Meine Güte, ist das ein leckeres Frühstück. Dazu der starke, ausgezeichnete Kaffee. Als die erste Kanne leer ist, sieht der junge Mann mich fragend an, ich nicke, und kurz darauf bekomme ich eine frische Kanne.
Camping Presanella ist ein Geheimtipp und wird in meine persönliche Best Camping List aufgenommen, die Liste der Camps, die ich einmal wieder besuchen möchte.
Irgendwann ist der letzte Kaffee getrunken und das letzte Ei gepellt und ich komme nicht länger drumherum, das Lager abzubrechen. Alles kalt und klamm, aber das stört mich jetzt nicht. Ich bin satt und bester Laune. Das Zelt kann heute Abend im nächsten Camp trocknen.
Sowie ich aus dem tief eingeschnittenen Talkessel heraus bin, in dem Camp Presanella liegt, fahre ich im strahlenden Sonnenschein des ersten Herbsttages 2017. Ich liebe die besondere Stimmung auf den ersten Kilometern am Morgen: Das Licht, die frühe Sonne, die kühle Luft, ein neuer, frischer Tag liegt vor mir, von dem man noch nicht weiß, was er bringt.
Behutsam fahre ich den Motor der Kawasaki warm. Ich bin nicht in Eile. Der erste Ort des Morgens heißt Edolo, eine Kleinstadt von viereinhalbtausend Einwohnern in der Lombardei. Die klassischen Stadthäuser, die in abgestuften Erdfarben aufwendig bemalt sind, kleine Fresken, malerische Straßenlaternen und über allem liegt eine verwirrende Mischung aus südländischer Gelassenheit und hektischer Geschäftigkeit zugleich. Zum ersten Mal bekomme ich eine Ahnung von der Schönheit Italiens.
Ich stelle das Motorrad ab und sehe mich um. Auf dem Dorfplatz sitzt eine Gruppe Schwarzafrikaner zusammen. Junge Männer. Ein Schild weist auf das öffentliche WLAN hin. Unter ihren Hoodies starren sie auf Smartphones, die einzige Verbindung zur Heimat. Flüchtlinge, die hier in Edolo gestrandet sind. Man bleibt sich fremd.
Am Ortsrand gibt es einen kleinen Supermarkt. Ich nutze die Chance einzukaufen, denn Edolo wird heute der größte Ort der gesamten Strecke bleiben. Ich greife mir einen Korb und schlendere den ersten Gang hinunter. Der Laden ist größer, als es von außen den Anschein hatte. Am Ende liegen Sardellenfilets in Öl, ein großes Steak, eine neue Flasche Rotwein und eine sehr hübsche Leggings auf dem Laufband an der Kasse.
Hinter Edolo klettert die Straße hoch in den Berg. Die Bäume am Straßenrand sind schwer von Esskastanien. Jetzt im September sind sie fast reif. Einmal habe ich geröstete Esskastanien probiert, aber ich kann ihrem Geschmack nichts abgewinnen.
Die Straße wird schmal und schmaler bis sie nur noch einspurig befahrbar ist. Im zweiten Gang und mit größter Aufmerksamkeit fahre ich auf jede Kurve zu. Ständig rechne ich damit, dass einer von vorne kommt, der vielleicht nicht so vorsichtig ist.
Die schmale Bergstraße in ihrer Einsamkeit und Rauheit ist der Höhepunkt des Tages. Wie gut, dass ich heute nur eine kurze Etappe vor mir habe, denn ich komme nur in Zeitlupe voran. Immer wieder halte ich an und genieße das Panorama der Berge.
Um die Mittagszeit bekommt der Pass einen Namen: Passo del Vivione. Keiner der ganz hohen, berühmten Alpenpässe, aber die zweieinhalb Meter schmale Fahrbahn, die sich in unübersichtlichen Kurven an den Berg schmiegt, braucht Zeit und ist ein Genuss zu fahren.
In Clusone, dem letzten Dorf vor dem Campingplatz, gibt es eine Automatentankstelle. Ich fülle den Tank der Kawasaki mit AGIP blue 100 Super und rechne kurz nach: Greeny hat unter drei Liter auf hundert verbraucht. Die herrliche Landschaft und die steilen Pässe senken den Verbrauch, weil ich sogar noch verhaltener als sonst unterwegs bin.
Clusone ist die letzte kleine Stadt für heute. Der nächste Ort heißt Zambla Alta. Dort liegt mein Camp für die Nacht. Bei schönsten Sonnenschein stelle ich den Motor vor der Rezeption ab. Camp Zambla liegt auf 1.250 Metern Höhe und damit sogar noch hundert Meter weiter oben, als der Eiskeller von letzter Nacht. Soll ich tatsächlich hier bleiben, oder besser weiterfahren zum Lago di Como, wo jetzt noch 25 °C sind?
Die Entscheidung wird mir abgenommen durch das herzliche Willkommen der Campingfrau. Einen so herzlichen Empfang habe ich zuletzt in Camp Roz Ar Mor in der Bretagne erlebt. Ich bin geradezu überwältigt.
Camp Zambla ist kein Platz für Reisecamper, sondern im Kern eine Siedlung von Wochenendhäusern. Dennoch gibt es auch einen schmalen Streifen Gras für Zelte und heute gehört der Pieps und mir alleine.
Als ich den Zeltsack öffne und verkehrt herum ausschüttele, plumpst das Zelt als nasser Klumpen ins Gras. Ich breite es mit dem Boden nach oben zum Trocknen aus. Das wird eine Weile dauern. In der Zwischenzeit mache ich mit Pieps unsere traditionelle Platzrunde. Ich schnappe mir die Kamera, das Moleskine, etwas Geld und wir ziehen los.
Camp Zambla hat seine eigene Bar/Restaurant. Das ist weniger als ein echtes Restaurant, aber mehr als nur eine Bar. Auf der Terasse stehen Tische und Stühle einladend in der Sonne. Ich bestelle am Tresen ein Glas Wein: "Un Vino bianco, per favore" und setze mich mit Pieps nach draußen. Die wirklich wichtigen Dinge kann ich in jeder Sprache sagen, wenn es darauf ankommt.
Der Wein kostet nur EUR 1,30 und die Signora di Camping bringt für Pieps auch noch Chips und Käse dazu. Sie lacht, streicht der kleinen Maus übers Köpfchen, was die sich gern gefallen lässt, und sagt etwas dazu, das ich nicht verstehe. Italiener sind tatsächlich so gastfreundlich und kinderlieb, wie in meiner stereotypen Vorstellung.
Einundzwanzig Grad, es geht eine leichte Brise. Ich sitze in der Sonne, trinke Wein, schreibe ins Moleskine und sehe Pieps zu, die sich selig über ihre Chips und den Käse hermacht.
Als der Schatten der Berge über die Campingwiese fällt, wird es rasch kühler. Ich ziehe sämtliche Klamotten an, bis ich wie eine Presswurst in all den Zwiebelschichten sitze, aber alles ist besser als zu frieren.
Im Supermarkt in Edolo habe ich ein Entrecôte gekauft, aber weil es recht günstig war, sind meine Erwartungen gering, was seine Qualität angeht. Umso überraschter bin ich, als sich dieser Kawenzmann von einem Steak nicht nur als schön fett, sondern auch noch als zart und lecker entpuppt.
Ein wundervoller Urlaubstag. Mein kleines Motorrad, das gute Zelt, die zerbeulte Bratpfanne und ganz Europa zu meiner freien Verfügung. Ich liebe dieses Leben!