Reise nach Italien Tag 1+2: Kiel - Verona - Gajole Tag 3: Am Lago di Corlo Tag 4: Arsiè - Camp Valle Verde Tag 5: Bozen - Meran Tag 6: Meran - Stelvio - Gaviapass Tag 7: Edolo - Zambla Alta Tag 8: Zambla - Lago di Lugano Tag 9: Lago Maggiore Tag 10: Markt in Cannobio Tag 11: L. Maggiore, Lugano, Como Tag 12: Morbegno - Lago d'Iseo Tag 13: Lago d'Iseo - Gardasee Tag 14: Gardasee - Sega Di Ala Tag 15: Verona - Heimreise - Fazit
Am Lago di Como
Während das Zelt in der Morgensonne trocknet, sitze ich mit Pieps schon in der Bar von Camp Zambla. Ich bin vom Schlafen noch ganz zerknittert. Mein Tag/Nacht Rythmus hat sich mittlerweile bei 13 zu 11 eingependelt. Elf Stunden Schlaf für dreizehn Stunden Action. Damit liegt meine Wartungsquote nur knapp unter der eines Airbus A400M.
Was unterscheidet in Italien den Eierbecher von einer Kaffeetasse? Na, niemand...? Der Henkel. Nur der Henkel. Trotzdem fange ich an zu verstehen, was Aldo und Mauro gemeint haben, als sie unseren deutschen Filterkaffee als "Gepresste Socken", oder "schmuut_ziege Wasser" bezeichnet und dankend abgelehnt haben. Der Kaffee in Italien ist viel aromatischer als Svenjas Filterkaffee.
Nach zwei Tassen bin ich wach genug das Zelt abzubauen und in den neuen Tag zu starten. Heute sollen wir den ersten der oberitalienischen Seen zu Gesicht bekommen: Den Lago di Como, den Comer See. Ich freu mich schon auf den Abstieg aus kalten Bergen hinunter zum spätsommerlichen italienischen Flair am See. Der Satz hätte glatt in einem Reiseführer stehen können, denke ich zufrieden und klappe das Moleskine zu.
Die erste Stadt des Morgens ist San Giovanni Bianco. Ein Fluss rauscht malerisch durch den Ort und überall hängt Wäsche zum Trocknen draußen. Es scheint ein ganz typischer Anblick in Italien zu sein, so sehr, dass man eine tolle Fotoserie daraus machen könnte: Weiße und bunte Wäsche vor pittoresken Häusern.
Heute fehlt mir die Geduld, jedesmal abzusteigen und die Kamera aus dem Tankrucksack zu kramen, aber wenigstens schieße ich vom Motorrad aus ein paar rasche Schnappschüsse mit der Pocketkamera. Trotzdem, die Idee muss ich festhalten.
Es ist eine verlassene Gegend durch die ich fahre. Schmale Nebenstraßen mit rissigem Asphalt und wenig Verkehr. Ich fahre durchs Val Taleggio, tiefe Schluchten, reißende Bäche. Den Namen kennen Pieps und ich von dem Weichkäse, den wir uns manchmal zum Knabbern kaufen und der hier seinen Ursprung hat.
Um die Mittagszeit herum geht es hinauf zum Culmine San Pietro. Im Motorradguide heißt es, 'Der Scheitel ist ein beliebter Treff für Motorradfahrer aller Couleur'. Heute sind bloß zwei Farben vertreten, Ducatirot und Kawagrün. Es ist eine ältere Ducati 900 Supersport. Das Bike ist in famosem Zustand und der tiefe Sound des V2 bollert eindrucksvoll über den Pass.
Zwei Gasthäuser stehen sich auf der Passhöhe gegenüber. Ich entscheide mich für das mit mehr bunten Fahnen und weniger Menschen. Bis auf einen Radfahrer, der seine Trinkflasche auffüllt, haben Pieps und ich den Biergarten ganz für uns allein.
Die Kellnerin fragt nach unseren Wünschen und das Einzige, das mir auf Italienisch einfällt ist "Panini frommagio", in der Hoffnung, dass es Käsebrot bedeutet. Lieber hätte ich eines mit Speck, aber ich weiß nicht, wie man das sagt.
Es ist tatsächlich ein Käsebrötchen und ein mächtiges dazu, aber ohne Butter und etwas trocken. Wir müssen engagiert kauen, um es herunter zu kriegen. Pieps sagt etwas Freches, das die Kellnerin zum Glück nicht versteht, denn sie ist ganz hingerissen von der kleinen Bambini Maus, nimmt sie in die Hand und streicht ihr übers Köpfchen. Pieps hasst Backenkneifer, aber lässt es gnädig über sich ergehen, weil sie ihre Güte spürt.
Vom Culmine Di San Pietro sind es noch etwa vierzig Kilometer bis zum Lago di Como. Ich konzentriere mich ganz aufs Motorradfahren, als ich aus den Augenwinkeln heraus einen leuchtend blauen Fleck bemerke: In der Ferne liegt der Comer See.
Eine halbe Stunde später stelle ich das Motorrad am Fähranleger in Varenna ab. Ich will die Fähre nach Bellagio nehmen und den rechten Seitenarm des Sees überqueren.
Die Piazza am See sprüht vor Leben. Am Hotel Oliveda sitzen Leute in der Sonne, Touristen spazieren über den Platz und auf dem Spielplatz nebenan kreischen Kinder vor Vergnügen. Das Oliveda ist ein alter Jugendstilbau und leuchtet prächtig in der Sonne.
Mein Motorrad ist das einzige Fahrzeug am Fähranleger bis ein silberner Mini Cooper neben mir hält. Ein junger Mann steigt aus, ein modischer Typ in einer teuren Lederjacke mit einer Uhr von Calvin Klein am Handgelenk. Ich frage ihn auf Englisch, ob ich hier richtig stehe für die Fähre nach Bellagio.
"Si!", antwortet er und erklärt mir, dass ich vorher ein Ticket am Schalter kaufen muss. Ich stelle mich in der Schlange an und löse für EUR 8,60 eine einfache Passage nach Bellagio. Die Fähre geht erst in einer Stunde.
'Moto oltre 250cc' steht auf dem Ticket und erst Monate später, nach einem Besuch bei Google Translate, werde ich feststellen, dass ich das verkehrte Ticket bekommen habe, denn es bedeutet 'Motorräder über 250cc'. In der Sprache der Klapphelme wäre das bereits ein sogenanntes 'Mopped' und Greeny ist doch bloß ein Motorrad. Vermutlich habe ich zuviel bezahlt.
Der junge Mann im Mini Cooper will auch nach Bellagio. Er stellt sich vor als Luciano. "Like the famous opera singer" fügt er hinzu und fragt im nächsten Satz: "Do you want to go to the centre and have some coffee?". "Oh yes. Fine."
Luciano bietet an, mein komplettes Gepäck und den Helm in seinem Wagen zu verstauen, damit es nicht gestohlen wird, solange wir unterwegs sind. Als ich das später Claudia am Telefon erzähle, wird sie am Hörer fast ohnmächtig, weil sie alle Folgen der Sopranos gesehen hat und denkt, ich sollte ausgeraubt werden. Aber ich hatte ohnehin abgelehnt, weil ich nicht an böse Italiener glaube und immer alles auf dem Motorrad lasse.
Von der Piazza führt ein Laubengang am Seeufer zur Promenade mit Restaurants und Eiscafés.
Luciano lädt mich in die Molo Bar ein. Wir sitzen draußen unter einer alten Platane und haben einen herrlichen Blick auf den See. Die Aussicht ist überwältigend. Das hier muss so ungefähr der schönste Platz sein, an dem ich je gesessen habe. Genau so habe ich mir Italien vorgestellt. Und die Italiener...
Ich erfahre, dass Luciano als Barkeeper in einem Nobelclub in Como arbeitet. Er ist ein gut aussehender Kerl, geschmackvoll angezogen, kräftig und durchtrainiert. Allerdings ist er auch gute zwanzig Jahre jünger und ebenso viele Zentimeter kleiner als ich. Ich genieße seine charmante Art zu plaudern und erzähle auch von meiner Reise. Er ist ein guter Zuhörer und als ich ihn nach seiner Meinung frage, welcher der schönste der drei großen Seen sei, Comer, Garda, oder Lago Maggiore, nennt er den Comer See an erster Stelle. Während ich über die Kaffeetasse hinaus auf den See schaue, bin ich geneigt ihm zu glauben, ohne die anderen überhaupt gesehen zu haben.
Inzwischen wird es Zeit für die Fähre und wir schlendern zurück zur Piazza, wo inzwischen eine kleine Menschenmenge auf die Überfahrt wartet. Das Fährschiff legt gerade an, als ich zurück am Motorrad bin. Die Mehrzahl der Passagiere sind Fußgänger und sowie das Schiff festgemacht hat und die Rampe unten ist, setze ein unglaubliches Gewusel ein. Erst einer energischen Dame in der dunkelblauen Uniform der Fährgesellschaft gelingt es Ordnung in das Chaos zu bringen. Mit ihr ist nicht zu spaßen und schließlich ergibt sich doch noch so etwas, wie ein geordnetes Aufentern des Schiffes. Vorsichtig rolle ich mit Greeny bis ganz vorne an die Rampe.
Die Fähre legt ab, kaum dass der letzte Fuß an Bord ist. Mit sanftem Rauschen schiebt das kleine Schiff hinaus auf den dunkelblauen See. Vom Wasser aus ist der Blick auf Varenna womöglich noch malerischer. Aus einem Gewirr pittoresker Häuser erhebt sich schlank der Turm von Chiesa di San Giorgio, der katholischen Kirche des Ortes.
Nach einer Viertelstunde sind wir in Bellagio. Ich verabschiede mich von Luciano und bedanke mich für den Kaffee und die nette Gesellschaft. Wir müssen uns beeilen, denn wir stehen ganz vorne an Deck und das Absperrseil wird gerade ausgehakt. Der Anleger in Bellagio ist bei weitem nicht so hübsch, wie die Piazza in Varenna und overcrowded mit Fußgängern, Autos und Motorrollern. Ich halte mich nicht auf, sondern fahre auf direktem Weg aus dem Ort hinaus auf die Uferstraße.
Es ist kaum zu glauben, dass eine Mittelstadt wie Como solch einen Straßenverkehr und solch ein Chaos produzieren kann. Ich bleibe gerade lange genug, um einmal vollzutanken, bevor ich wieder Gas gebe und die Stadt verlasse. Erst in Paré halte ich vor einem Tigros Supermarkt und kümmere mich um den Einkauf. Heute Abend gibt es Nackenkoteletts.
Der Weg zur Kasse führt durch die Obstabteilung. Ich kaufe sonst kein Obst, weil ich das nicht mag und weil Zucker Gift für den Körper ist und weil ich ja auf gesunde Ernährung achte, aber heute könnte ich eine Ausnahme machen: In einem Korb liegt eine wunderschön gewachsene Birne, die so prall und appetitlich aussieht, dass ich sie uns als Nachtisch kaufe.
Am Nachmittag erreiche ich Campeggio Trelago am Lago die Ghirla. Schon als ich auf die Zufahrt rolle, beschleicht mich ein mieses Gefühl. Der Platz sieht geschlossen aus und tatsächlich ist das Tor zu. Ein fleischiger Typ mit einem fiesen Gin-und-Sauna-Gesicht kommt ans Gitter und erklärt, dass der Platz geschlossen sei: "It is closed. Come back in April!"
Zwölf Kilometer weiter in Lavena Ponte Tresa hat Claudia für mich einen Ausweichplatz gefunden: Camping International am Ufer des Lago di Lugano. Der Platz ist gesichert wie ein Straflager, umschlossen von einer hohen Mauer, die Zufahrt mit Tor und Schranke doppelt gesichert.
Der Mann in der Rezeption könnte der ältere Bruder vom Saunagesicht aus Trelago sein. Bloß dass dieser augescheinlich auch noch leicht angetrunken ist. Er hat nicht bloß eine Fahne, wie der Herr Pastor am Sonntagmorgen, sondern verleiht auch Begriffen wie 'abweisend', oder 'unfreundlich' mühelos neue Bedeutung.
Ich bezahle neunzehn Euro für die Nacht und darf mir einen Platz aussuchen. Das Camp ist mit exotischen Pflanzen hübsch angelegt, aber der Untergrund taugt nichts, eine hauchdünne Unkrautdecke auf altem Gewerbeschotter. Kein Problem, morgen früh bin ich hier wieder verschwunden.
Der überwiegende Teil der Gäste sind Dauercamper aus der Schweiz. Zwischen ihnen finde ich schließlich einen ebenen Platz und stelle unser Lager auf. Sowie ich die Schuhe ausgezogen habe und mit Pieps auf dem Bett in unserem kleinen Habitat sitze, ist die Welt wieder in Ordnung. Von der Rückseite unserer Pfanne aus betrachtet, sind ohnehin alle Plätze gleich. Ich werfe den Kocher an, gieße Olivenöl in die Pfanne und kurz darauf brutzeln die Koteletts schon im heißen Fett.
Das war ein toller Reisetag. Am Comer See ist es wunderschön und die Fahrt mit der kleinen Fähre hat Spaß gemacht. Camping International ist ätzend, aber das macht nichts. Morgen zelten wir schon am Lago Maggiore, aber das ist eine andere Geschichte.