Reise nach Italien
Tag 1+2: Kiel - Verona - Gajole
Tag 3: Am Lago di Corlo
Tag 4: Arsiè - Camp Valle Verde
Tag 5: Bozen - Meran
Tag 6: Meran - Stelvio - Gaviapass
Tag 7: Edolo - Zambla Alta
Tag 8: Zambla - Lago di Lugano
Tag 9: Lago Maggiore
Tag 10: Markt in Cannobio
Tag 11: L. Maggiore, Lugano, Como
Tag 12: Morbegno - Lago d'Iseo
Tag 13: Lago d'Iseo - Gardasee
Tag 14: Gardasee - Sega Di Ala
Tag 15: Verona - Heimreise - Fazit
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Am Passo San Marco

Gestern Abend kam spät noch ein junges Pärchen und hat nebenan sein Zelt aufgestellt. Sie fahren einen Fiat mit Hamburger Kenn­zeichen. Trotz des Autos haben sie bloß eines dieser winzigen Wurfzelte dabei. Weshalb man sich trotz eines Autos solch ein Minizelt antut, bleibt letztlich rätselhaft.

Herbstreise nach Italien 2017

Die Beiden verschwinden kurz nach uns im Waschhaus. ER der hoch gewachsene, ewig gut gelaunte Natur­bursche, SIE ein mageres Hühnchen mit ausgeprägtem Bad-Hair-Day. Grußlos stellt sie sich an das Waschbecken nebenan. Pieps ist hingerissen von soviel Unhöflichkeit.

Aus den Herrenduschen hört man ihren Typen fröhlich pfeifen. Seine Else dagegen hat den schwarzen Gürtel in mieser Laune. Zelturlaub Ende September war mit Sicherheit nicht ihre Idee. Man kann ihre Gedanken förmlich hören: "Warum lande ausgerechnet ICH immer bei solchen Typen? Ich dachte, der bucht Last-Minute in der Sonne, oder hat wenigstens ein Wohnmobil. Camping? Hallo? Ab morgen kann der Blödmann ohne mich durch die Berge latschen und sich in seiner Dackelgarage den Arsch abfrieren. Gleich nach dem Frühstück ruf ich Frederik an, dass er mich abholen soll. Ich fahre doch mit in die Finca seiner Eltern."

Ihr künftiger Exfreund bekommt von all dem nichts mit und pfeift weiter fröhlich falsch unter der Dusche. Mit wissenden Blicken sehen Pieps und ich uns im Spiegel an. Wir mögen es, Menschen im Urlaub zu beobachten. Man lernt eine Menge über das Leben.

Herbstreise nach Italien 2017

Die ersten vierzig Kilometer nach dem Campingplatz geht es auf gut ausgebauten Straßen eilig weiter zum nächsten Berg. Auf einer Tafel steht Passo San Marco - OPEN. Das ist gut, denn genau da will ich hin.

Herbstreise nach Italien 2017

Hoch und höher klettert die Straße durch viele kleine Dörfer nach oben. In 1.142 Metern Höhe halte ich an und wechsele die Handschuhe. Meine Hände sind krebsrot vor Kälte. Lieber fahre ich mit den dünnen Crosshandschuhen, weil man damit noch die Kamera bedienen kann, aber jetzt halte ich es nicht länger aus.

Herbstreise nach Italien 2017

Die rauhe Berglandschaft wird mit jedem Höhenmeter herbstlicher, rauher und schöner. Es ist verwunderlich, wie wenig Verkehr auf der Strecke unterwegs ist. Ich fahre in eine Nebelwand und nach kurzer Zeit hängen feine Tropfen am Rückspiegel und an meiner Jacke. Es sind nur noch ein paar Grad über Null.

Herbstreise nach Italien 2017

Herbstreise nach Italien 2017

Plötzlich stecke ich den Kopf oben aus den Wolken heraus in die Sonne. Was ich für Nebel gehalten habe, ist in Wahrheit eine dichte Wolkendecke. Laut singe ich in meinen Helm und das Visier beschlägt dabei ein bisschen: "...muss die Freiheit wohl grenzenlos sein, alle Ängste, alle Sorgen, sagt man, blieben darunter verborgen und dann würde was uns groß und mächtig erscheint plötzlich nichtig und klein...."

Herbstreise nach Italien 2017

Durchgefroren, aber in absoluter Premiumlaune nehme ich die letzten Kehren zur Passhöhe. Kurz dahinter endlich eine Hütte. "Oh bitte, lass die geöffnet sein", beende ich mein Reinhard Mey Potpourri. Mir ist so kalt und ich hab Hunger und Kaffeedurst. Mit knirschenden Reifen kommt das Motorrad auf dem Schotterplatz vor dem Restaurant zum Stehen. Ungelenk vor Kälte steige ich von der Enduro und gehe steifbeinig zum Eingang.

Herbstreise nach Italien 2017

Die Tür ist offen, aber die Stühle stehen noch umgedreht auf den Tischen. Zwei junge Frauen machen gerade sauber. Das Lokal öffnet erst in einer Stunde, aber sie haben Mitleid mit Pieps und mir und versorgen uns mit Kaffee und Salamibrötchen.

Herbstreise nach Italien 2017

Als ich mich vor der Berghütte wieder aufs Motorrad setze, ist mir zwar noch nicht warm, aber zumindest etwas weniger kalt als zuvor. Pieps verschwindet eingewickelt in mein Ersatzhals­tuch wieder im Tankrucksack.

Heute muss ich mich um eine neue Gaskartusche kümmern, sonst bleibt ab jetzt die Küche kalt. Der Weg führt wieder durch Zambla Alta. Hier habe ich erst vor ein paar Tagen gezeltet. Im Dorf gibt es einen großen Outdoorladen. Als ich davor den Motor abstelle, kommt die Inhaberin freudestrahlend heraus und begrüßt mich: Es ist die Wirtin des Camping­platzes. Ihr gehören auch das Hotel, der Gasthof und das Outdoorgeschäft.

Sie nimmt meine kalten, roten Hände in die ihren und wärmt sie für einen Moment. Camping Gaz? Sie weiß sofort, was ich meine, aber schüttelt bedauernd den Kopf: "No Camping Gas. Scusi. No." Ich habe mich trotzdem über das Wiedersehen gefreut und verabschiede mich überschwänglich von der herzlichen Mama bevor ich weiterfahre.

Herbstreise nach Italien 2017

Die Italiener sind unglaublich herzlich, gastfreundlich und emotional. Zugleich können sie aber auch laute und rücksichtslose Rabauken sein, was sich besonders im Straßenverkehr zeigt. Das Autonome Fahren wird später mal ein Segen werden für Italien. Dann könnte ich sie letztlich doch noch liebgewinnen, diese verrückten Südländer.

Herbstreise nach Italien 2017

Auf den nächsten fünfzig Kilometern halte ich vor drei weiteren Sportgeschäften. Erfolglos. Jeder weiß sogleich was ich meine, zwei deuten sogar mit betrübtem Blick auf die Lücke im Regal, wo die Kartuschen stehen sollten, aber keiner kann liefern: "Scusi Signora."

In Clausen parke ich vor einem Laden und suche nach etwas Leckerem zum Abendessen. Etwas, das man nicht mehr braten muss. Mit verlangenden Blicken starren Pieps und ich durch die fettige Glasscheibe der heißen Theke. Der gesamte Tresen strahlt Wärme aus. Ich entscheide mich für eine fertig gegrillte Schweinshaxe und für ein buntes Gericht, das ich nicht kenne. Ratatouille steht auf dem kleinen Pappschild neben der Schale. Das sagt mir nichts, aber es ist schön bunt und ich lasse uns eine gute Portion davon einpacken.

Herbstreise nach Italien 2017

Die letzte Etappe führt über die malerische Uferstraße des Lago d'Iseo. Bisweilen hat man einen schönen Blick auf den See, doch auch hier die erste Reihe den Reichen und Schönen vorbehalten, die ihre Grundstücke mit Zäunen und Eisentoren vom Rest der Welt abschotten und von CCTV-Kameras überwachen lassen. Im Gegensatz zu Rottweiler und Dobermann hinter­lassen technische System keine Haufen auf dem Rasen.

Herbstreise nach Italien 2017

Der Zeltplatz, den ich bereits vor Monaten zuhause ausgesucht habe, heißt Camping Olivella. Ich rolle durch das geöffnete Gittertor auf den Platz und halte vor einer Bretterbude. Das dürfte der Empfang sein. Alles recht einfach, eher basic, doch seinen Namen trägt das Camp zu Recht: Der Platz befindet sich in einem Olivenhain. Die Zweige der knorrigen Bäume hängen schwer von grünen, fett glänzenden Oliven.

Herbstreise nach Italien 2017

Ein Mann, ein grobschlächtiger Typ mit einer Werkzeugtasche, ist mit der Reparatur eines Wasserhahns beschäftigt. Als er das Motorrad hört, sieht er auf, legt die Zange aus der Hand und kommt mit großen Schritten herüber. Die gesamte Formalität des Eincheckens besteht in der Überreichung eines Zehneuroscheins, dem Einstecken desselben in die Hosentasche und aus einem freundlichen Nicken. Danach widmet er sich wieder seinem Wasserhahn und überlässt mir selbst die freie Auswahl des schönsten Platzes für mein Zelt.

Herbstreise nach Italien 2017

Olivenbäume finde ich wunderschön und exotisch. Fast noch mehr als Palmen. Ich mag den knorrigen Wuchs der kleinen Bäume und ihre länglichen, silbrig glänzenden, dicken Blätter.

Der Platz ist sehr familiär, überwiegend Dauercamper, man kennt sich. Im Wohnwagen nebenan residiert die Oma. Sie sitzt im Vorzelt und liest eine Illustrierte, während die Enkel auf dem Fußboden spielen und im Hintergrund ein winziger Fernseher plärrt. Das italienische TV-Programm dürfte dem Deutschen nicht nachstehen. In Lautstärke und Eindringlichkeit ist es ihm sogar überlegen.

Herbstreise nach Italien 2017

Sowie das Lager aufgebaut ist, starte ich mit Pieps zu einer Platzrunde und gehe hinunter zum See. An seinem Ufer wachsen alle möglichen, fremdartig aussehenden Früchte. Ich mache ein paar Fotos und spaziere weiter.

Herbstreise nach Italien 2017

Auf der Terrasse einer kleinen Bar sitzen fünf Italiener und brüllen sich an. Inzwischen weiß ich, dass es eine gewöhnliche, handelsübliche Unterhaltung ist, aber es wirkt immer, als ob sie sich gleich prügeln würden. Ein verrücktes Volk, diese Italiener.

Camp Olivella ist in Ordnung für eine Nacht. Der Platz ist klein und fest in der Hand weniger Familien, so dass Pieps und ich vermutlich die Attraktion der Nachsaison sind. Die Leute grüßen freundlich und ich nicke ebenso freundlich zurück.

Gegen Abend zieht ein Wärmegewitter über dem See auf. Pieps und ich verziehen uns ins Zelt und ich decke fürs Abendessen. Die Haxe ist in Ordnung, aber nicht halb so lecker, wie sie hinter Glas ausgesehen hat. Allein die Kruste ist ein Genuss.

Herbstreise nach Italien 2017

Wir muffeln uns eher halbherzig durch das faserige Fleisch und lassen sogar etwas übrig. Dafür schmeckt das Ratatouille erstaunlich gut. Es handelt sich um eine Art Gemüseauflauf. Ohne Fleisch, aber trotzdem schmeckt es uns. Vermutlich auch wegen der Riesenmenge Olivenöl, die darin eingekocht ist.

Den Abend verbringe ich mit Lesen, Schreiben und Rotwein trinken, während Pieps sich fast im Alleingang durch eine Tafel Nussschokolade fräst. Morgen fahren wir an den Gardasee. Auf den bin ich besonders gespannt, nachdem jeder dritte Motorradfahrer Europas und jeder, wirklich jeder GS-Fahrer dort mindestens schon einmal gewesen ist. Mindestens...

zum nächsten Tag...

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