Schweden 2019 Tag 1 Kiel - Møns Klint, DK Tag 2 Insel Møn Tag 3 Møn - Sjöbo, SE Tag 4 Sjöbo - Hätteboda Tag 5 Hätteboda Vildmarkscamp Tag 6 Urshult - Camp Fjället Tag 7 Tidaholm - Mellerud Tag 8 Håverud - Arvika Tag 9 Zwischen Vänern und Vättern Tag 10 TET - Askersund Tag 11 Tiveden und Göta-Kanal Tag 12 Vänern - Ulricehamn Tag 13 Ulricehamn - Göteborg Tag 14 STENA - Heimkehr und Fazit
Am Göta-Kanal
Die Sonne strahlt von einem wolkenlosen Himmel und die Sicht ist klar, wie durch frisch geputzte Scheiben. „Ein blitzsauberer Tag“, würde Claudia sagen.
Ich liege im warmen Schlafsack und finde es merkwürdig. Irgendwas ist anders.
Da fehlt was. Etwas das immer da ist, wenn ich aufwache.
Ich liege höher als sonst und habe auch mehr Platz, aber das ist es nicht. Jedenfalls nicht nur. Was ist es dann?
Ich habs: Die Ameisen fehlen und die Käfer. Nicht mal ein Ohrenkneifer ist auf dem Kissen. Mein Bett ist von beinahe steriler Sauberkeit.
„Is' das gut ohr schlecht?“, würde Pieps fragen.
Schlecht! Ich hab Schiss, dass uns das honigfarbene Holz, das weiche Bett, Strom und Teppich fürs Zelten total versauen und wir bald nur noch in teuren Hütten absteigen mögen. Ohne Ohrenkneifer.
Bin ich so leicht käuflich? Mit etwas Sauberkeit, Stehhöhe, einem frischen Bett und der Abwesenheit von Geziefer? Ich muss unbedingt bald wieder im Matsch zelten, um mich zu erden.
Bei solchem Wetter wie jetzt und sauber, trocken, mit frisch gewaschenen Haaren, birgt der Gedanke an Regen keinen Schrecken. „Pah! Was macht schon ein bisschen Regen? Wir sind doch nicht aus Zucker.“
Leider weiß ich aus Erfahrung, dass meine kämpferische Entschlossenheit nicht länger anhält, als bis zum ersten Dauerregen. Wenn keine Gefahr droht, sind Pieps und ich geradezu tollkühn.
Es sind etwa 5 km bis Tidaholm, eine nette schwedische Kleinstadt mit einem Ortskern malerischer Häuser. Ich stelle die Enduro ab und mache mich auf die Suche nach einem Café.
„Excuse me, please. Is there a Café around?“ frage ich einen älteren Herrn, der uns mit zwei Einkaufstüten entgegen kommt. Er sieht mich aus wässrigen Augen gütig an, sagt etwas, das ich nicht verstehe und zeigt hinüber zu einem gelben Holzhaus: Nohrbergs Bageri & Konditori.
„Thank you very much. Have a nice Day.“ Mit großen Schritten stiefele ich über den Platz hinüber ins Café. Welch ein hübsches Haus. Ich mag das fahle Gelb, in dem es gestrichen ist.
Nohrbergs ist innen so gemütlich, wie es von außen wirkt. Holz in warmen Farben, angenehmes Licht, das Fauchen der Espressomaschine, Tabletts mit Leckereien, Menschen beim Frühstück. Hinterm Tresen steht eine junge Frau, so blond, so glatt, so schwedisch.
„Good Morning. Two rundstykker with Butter, please. And Coffee.“ „Just Butter?“ „Yes, please.“ Ich ignoriere Pieps empörten Seitenblick.
Ich nehme das Tablett und gehe nach draußen. Ein kühler Wind weht. Mir ist kalt. Ich lasse die Motorradjacke an. Drinnen ist es gemütlich und ich sitze draußen im Wind. Manchmal frage ich mich, ob ich eine Meise habe. Eine andere Erklärung fällt mir nicht ein.
Die Brötchen sehen lecker aus, aber das sind sie nicht. Zum ersten Mal beschreibe ich Weizenbrötchen als zäh. Man kaut sich einen Wolf an den Biestern. Und knusprig sind sie auch nicht. Nur die Butter, die ist ok. Was stimmt nicht mit schwedischen Bäckern?
Unvermittelt ragt ein Tafelberg aus der Landschaft auf. Zuhause werde ich recherchieren, dass es der Hunneberg ist, einer von 17 Schichttafelbergen in Schweden. Ohne ihn zu verstehen, schreibe ich den Satz stumpf bei Wikipedia ab und hier steht er.
Zwei Stunden bis Vänersborg. Die Hauptstadt von Västra Götaland liegt am südlichen Ende des Vänern Sees. Wir müssen einkaufen. Ich halte bei ICA Kvantum. Die tägliche Pirsch nach einer leckeren Füllung für unsere Bratpfanne ist ein Highlight jedes Urlaubstags. Ich liebe es, Lebensmittel einzukaufen und Pieps ist geradezu verrückt danach.
Das ist einer der wenigen schwedischen Supermärkte, wo es ein Vorkassencafé gibt. An den Tischen sitzen Gruppen alter Herren, die sich angeregt unterhalten. Vermutlich sind ihre Frauen im Laden unterwegs. Da stören die Jungs nur.
Ich besorge mir einen Becher Kaffee und für Pieps ein Hotdog als kleine Wiedergutmachung für das miese Frühstück in Tidaholm. Ich kann mich nur schütteln, wenn ich die billige Wurst und das pappige Brötchen sehe, aber Pieps ist selig, und die Senfflecken auf ihrem Nachthemd sind ein geringer Preis für das Glück einer Maus.
Einer der alten Herren kommt zu uns an den Tisch. Er bewundert Pieps, die ihn misstrauisch ansieht mit einem Blick der sagt: „Finger weg von meiner Woast!“, aber er möchte uns bloß eine gute Fahrt wünschen und das wir vorsichtig fahren sollen.
Ich stelle unser Tablett in den Servierwagen, schnappe mir einen Korb und gehe in den Laden. Eine Metzgerei gibt es nicht, aber sie haben eine gute Auswahl abgepackter Sachen. Ich erbeute eine vielversprechende Scheibe Entrecôte und eine Handvoll frischer Pfifferlinge. Die Pilze duften nach Wald und an einigen kleben noch Tannennadeln.
Als ich aus dem Laden komme, hat der Himmel sich zugezogen. Graue Wolken eilen im Tiefflug übers Land. Am Ortsrand von Vänersborg führt eine Brücke über den Göta-Kanal. Der Kanal verbindet die beiden großen schwedischen Seen, Vänern und Vättern. Hier in Vänersborg mündet er in den Vänern.
Auf der Landstraße drehe ich das Gas weiter auf. Die Blitzerkästen sind zahlreich in diesem Land und die Maut fürs Übertreten heftig. Für 20 km/h zu schnell wird der Gegenwert von 10 kg Entrecôte aufgerufen. Ich setze fünf und halte die Honda bei knapp 100 km/h.
Mit jedem Abbiegen wird der Verkehr weniger und die Straßen schmaler. Jetzt ist es nicht mehr weit bis Kerstins Camping.
Die letzten Kilometer gehen über Schotter, dann noch ein kurzes Stück auf der Landstraße und schon biege ich ab zum Campingplatz.
Kerstins Camping in Mellerud ist ganz neu angelegt. Es sieht so aus, als wenn der Großbauer nebenan sich hier ein zweites Standbein geschaffen hat. Alles ist neu und gut durchdacht, aber auch noch etwas seelenlos.
Die Holzhütten der Vermietung strahlen im feinsten Falunrot mit weiß abgesetzten Fenstern. Hübsch sind sie und kosten nur 30 Euro pro Nacht. Selbst die größeren, besser ausgestatteten Hütten kosten nur fünf Euro mehr und beide haben hübsche, überdachte Terrassen mit Gartenmöbeln. Ich könnte schwach werden.
Die Rezeption ist nicht besetzt und man soll irgendwo anrufen, wenn man eine Hütte will. Das ist mir zuviel Aufwand und außerdem telefoniere ich nur sehr ungern.
Stattdessen suche ich uns ein Stück Wiese aus 50 qm feinstem Golfrasen und baue das Zelt auf. Auf dem Platz nebenan wird ein Wohnwagen fürs Winterlager vorbereitet. Übermorgen am 1. September schließt der Platz. In Schweden geht die Saison früh zu Ende.
Draußen vorm Zelt fährt ein Mähdrescher vorbei. Er erntet Hafer. Im Schneckentempo dröhnt die große Maschine übers Feld. Die Luft ist voller Staub und es duftet nach Getreide. Ich mache eine Dose Carlsberg Bier auf und sehe mit großem Interesse zu.
Entrecôte können Schweden besser als Brot. Viel besser sogar. Während das Fleisch auf der ersten Seite brät mache ich die Pilze sauber. Sorgfältig pule ich Tannennadeln und winzige Stücke Waldboden ab. Man soll Pilze nicht waschen, sonst geht das Aroma weg.
Nach dem Wenden gebe ich die Pilze in die Pfanne und brösele ein wenig Weißbrot dazu. Das Steak ist fertig. Ich lege es auf den Teller und häufe Pilze und gebratenes Brot darüber. Jetzt noch etwas Salz darauf und fertig ist unser Abendessen.
Pieps sind "Pülze" äußerst suspekt, aber wenn sie dann gebraten auf dem Teller liegen, muss ich aufpassen, dass ich noch welche abkriege. Es ist ein Festmahl und zum Nachtisch gibt es sogar ein Marzipanbrot.
Die ersten Regentropfen fallen aufs Zelt. Ich mache den Eingang zu und höre, wie der Mähdrescher abfährt, ohne alles abgeerntet zu haben.
Ich mache unser Bett und wir legen uns früh in den Schlafsack. Wir wollen beide noch etwas lesen. Pieps hat ein Pixiebuch und ich mein Kindle.
Gute Nacht, Welt. Morgen fahren wir weiter nach Norden.