Schweden 2019 Tag 1 Kiel - Møns Klint, DK Tag 2 Insel Møn Tag 3 Møn - Sjöbo, SE Tag 4 Sjöbo - Hätteboda Tag 5 Hätteboda Vildmarkscamp Tag 6 Urshult - Camp Fjället Tag 7 Tidaholm - Mellerud Tag 8 Håverud - Arvika Tag 9 Zwischen Vänern und Vättern Tag 10 TET - Askersund Tag 11 Tiveden und Göta-Kanal Tag 12 Vänern - Ulricehamn Tag 13 Ulricehamn - Göteborg Tag 14 STENA - Heimkehr und Fazit
Tiveden Nationalpark
Noch dreimal schlafen, dann bin ich wieder zu Hause in meinem geliebten Kiel, dem möblierten Zimmer mit dem kuscheligen Bett, dem Ohrensessel, Pieps Barbiemobil, meinem iMac und unserem Disney+ Account. Aber zuerst müssen wir aufstehen.
Heute morgen sind 10 °C in der Hütte und ich mag noch nicht aus dem Schlafsack krabbeln. Es ist so mollig zwischen den Daunen. In den ersten Tagen auf Møn und in Hätteboda hab ich gedacht, wozu hast du eigentlich die Merino Wäsche und die Fleecejacke eingepackt? Und nun frage ich mich, was ich mit dem Fummel und dem Girly-Shirt soll.
Mit Bedauern ziehe ich den Reißverschluss vom Schlafsack auf und tausche das kurze Nachthemd gegen lange Merino Unterwäsche. Jetzt muss ich nur noch die Hütte aufklaren, durchfegen, alles wieder an seinen Platz stellen und den Wachsfleck auf der Kommode mit einem Untersetzer tarnen. Der war aus Versehen.
Bevor wir losfahren, gehen wir frühstücken. Ich stiefele in die Rezeption und werde empfangen von einer Duftwolke nach frisch gebackenem Brot, Brötchen und Croissants. Sie haben einen großen Profibackofen wie in einer Bäckerei.
Marlies hat den Frühstückstisch schon gedeckt. Es gibt Kaffee, Butter, Croissants und Marmelade. Als Pieps die Kirschen auf dem Deckel entdeckt, ist sie begeistert: „Krossonks un' Körschmamilade. Mehr geht einklich nich', näh?!“ Nein, Mäuschen. Mehr geht wirklich nicht.
Mit dem letzten Krümel Blätterteig und dem letzten Schluck Kaffee brechen wir auf: „Danke für die tolle Gastfreundschaft, die urige Hütte und das leckere Frühstück. Camp Tiveden ist einer der schönsten Campingplätze, die ich in Schweden kenne. Wir kommen wieder, keine Frage.“
Bevor wir Tiveden verlassen und nach Süden in Richtung Göteborg, Fähre und Heimat fahren, will ich einen Abstecher in den Tiveden Nationalpark machen, einen nahezu unberührten Urwald, wo Sägen und Holzhändler nichts zu suchen haben. Enduros leider auch nicht.
Über Schotterwege geht es bis zum Parkplatz am Naturschutz-Center. Das letzte Mal war ich vor acht Jahren mit Volker auf unserer Schwedenreise hier. Seitdem hat sich viel verändert. Wo früher bloß die Hütte des Parkrangers stand, ist heute ein Besucherzentrum und es gibt Parkflächen für jede Menge Autos und Busse. Das neue Center fügt sich aber sehr schön in die Natur ein.
Ab hier geht es nur noch zu Fuß weiter. Der Wanderweg in den Park ist unverändert und so uneben, abenteuerlich und steinig wie eh und je.
Der Weg führt an riesigen Findlingen vorbei, die dick mit Moos bewachsen sind. Immer wieder braucht man beide Hände, um sich abzustützen, oder irgendwo hochzusteigen.
Der Urwald ist dicht und finster. Man fühlt sich versetzt in den Alten Wald aus Herr der Ringe, geheimnisvoll, düster und bedrohlich.
Überall liegt totes Holz in der Landschaft. Hier ist tatsächlich eine Weile niemand mit Rechen und Schubkarre durchgegangen. Ich habe gelesen, dass in einem von Menschen unbeeinflussten Wald jeder dritte Baum tot ist und liegen bleibt, wie er gefallen ist. So bietet er noch hundert Jahre Lebensraum für Insekten, Pilze, Flechten und Tiere.
Eine Stunde lange stiefele ich im Park umher. Es gibt noch so viel mehr zu sehen, die Grotten Stenkälla und Vitsandsgrottarna, der Fels Trollkyrka und Tärnar, die Waldseen, deren Wasser beinahe schwarz erscheinen.
Diese Wege sind für Wanderer mit Rucksack und Wanderstock. Dafür bin ich nicht zuständig. Mein Fachgebiet ist das Endurowandern mit Zelt und Schlafsack. Zwei Bereiche derselben Wissenschaft, ungefähr wie bei Zahnarzt und Proktologe. Beides Mediziner, aber keiner macht beides. Jedenfalls hoffe ich das.
Als ich zurück zum Parkplatz komme, beginnt es zu regnen. Ich ziehe die Regensachen über und fahre los. Die Strecke durch den Park ist nicht asphaltiert und wunderschön zu fahren. Der Wald links und rechts wächst dicht an den Weg heran, dunkle Felsen, Moos und Farne. Eine sagenhafte Gegend, der Tiveden Nationalpark zwischen Vänern und Vättern.
Wieder und wieder überquere ich den Göta-Kanal. Meistens auf der immer gleichen Schiebebrücke. Die komplette Fahrbahn schiebt sich auf einer Metallplatte über die Straße und gibt so den Weg für Schiffe frei. Dazu gehört eine Hütte für den Brückenwärter, zwei Ampeln für Schiffe und eine Schrankenanlage, damit die Autos nicht im Wasser landen, wenn die Brücke offen ist.
Ein nasser Tag. Allmählich wird es Zeit für ein zweites Frühstück, oder zumindest eine Kaffeepause im Trockenen. Wir kommen nach Töreboda, eine Kleinstadt am Göta-Kanal. Hier gibt es hoffentlich ein Café. Ich fahre ins Zentrum und sehe mich um. Kein Café. Bei dem Regen sind kaum Passanten unterwegs. Nur ein alter Herr ist, schlank und groß wie eine Tanne. Ich halte neben ihm, stelle den Motor aus und klappe das Visier hoch. „Excuse me, please. Is there a Café somewhere around?“
„Yes. There is“, rückt aber nicht damit raus wo. Stattdessen besteht er darauf, voranzugehen und es mir persönlich zu zeigen. Er schreitet aus und ich tuckere im ersten Gang mit schleifender Kupplung neben ihm her. Der alte Herr auf dem Gehsteig, ich auf der Straße, beide im Regen.
Er liefert mich direkt vor dem Eingang der Hembageriet Café & Konditori ab. Ich bedanke mich überschwänglich und schüttele seine Hand, was ich sonst nie tue. Inzwischen ist einer seiner Kumpels dazugekommen und will mir auch die Hand schütteln. Er begeistert sich für die Honda. Wir stehen einen Moment im Regen beisammen, aber dann wird es zu unangenehm. Die Beiden gehen gemeinsam weiter, während Pieps und ich uns in die Bäckerei flüchten.
Ich bestelle Kaffee und einen Panini mit Salami und Brie. Es dauert eine Weile, weil sie frisch zubereitet werden, aber dann öffnet sich die Luke zur Küche und eine freundlich grinsende Kochmütze reicht einen Teller mit einem frischem Panini durch. Der Käse ist noch grässlich heiß, aber es sieht zu lecker aus, um nicht sofort reinzubeißen und sich ein wenig die Lippe zu verbrennen.
Als wir rauskommen, hat der Regen aufgehört, aber ein Blick zum Himmel genügt, um gleich wieder in Regensachen zu starten. Unsere Route heute folgt dem Göta-Kanal bis zu seiner Mündung in den Vänern, dem größeren der beiden großen schwedischen Seen.
Für mich sind alle Seen große Seen, wenn man nicht rübergucken und das andere Ufer sehen kann. Der Vänern aber ist wahrhaftig groß. Er ist sogar größer als der Peipussee in Estland, wo ich mit Pieps gezeltet habe, und zehnmal größer als der Bodensee, der auch nicht gerade eine Pfütze ist.
Wir fahren bis nach Sjötorp, um die Stelle zu sehen, wo der Göta-Kanal in den Vänern mündet. Sjötorp ist winzig, im Grunde nur ein Dorf mit den Schleusen zum Vänern, dem Büro der Kanalgesellschaft, und einer Werft.
Ich wandere eine Weile umher, aber viel zu sehen gibt es nicht. Wir fahren aus Sjötorp ab und verlassen den Göta-Kanal. Nach dem Foto an der Schleuse, habe ich vergessen, den Kamerablitz abzustellen und so blitze ich den Autofahrern auf der E20 fröhlich entgegen, was manche mit einem kurzen Aufblenden beantworten. „Danke, Leute. Mögen eure Schiebedächer undicht sein.“
Es schüttet wie aus Eimern, als ich den Motor vor der Rezeption von Camping Kinnekulle abstelle. Die Saison ist fast zu Ende und die Dame am Counter lässt mir die Hütte Nr. 4 für einen Sonderpreis, 400 Kronen, etwa 37 Euro.
Die Hütte ist ganz hübsch eingerichtet. Es gibt eine Heizung, Licht und Strom, vier Betten und sogar eine kleine Küche. Aus dem Fenster blickt man direkt auf den Vänern.
Draußen weht ein übler Wind und peitscht das Wasser des Vänern auf. Später sitzen wir bei Käse (Pieps) und Wein (ich) am Küchentisch und sehen uns den Sonnenuntergang an.
Ich spüre, dass ich für dieses Jahr durch bin mit Schweden und auch mit Reisen. Jetzt will ich nach Hause. Ein Zeltplatz liegt noch zwischen uns und der Fähre von Göteborg nach Kiel.
Von dem gesamten Projekt einer Tour am Göta-Kanal entlang, hatte ich mir mehr versprochen. Das lohnt sich im Grunde nicht. Wenn man ohnehin in dieser Ecke Schwedens unterwegs ist, wird man gerne hinsehen, aber extra dorthin zu reisen, das lohnt den Aufwand nicht.
Wirklich interessant ist der Kanal wohl erst vom Wasser aus, wenn man selbst im Boot sitzt und die Paddel schwingt. Kann ich mir gut vorstellen, ist aber auch nicht mein Fachgebiet.
Ich denke an meinen Text über Die perfekte Reise und ob nicht letztlich doch das Wetter ein entscheidender Faktor für das Gelingen jeder Motorradreise ist. Es sieht einmal mehr danach aus.
Mit einem tiefen Seufzer ziehe ich den Reißverschluss des Schlafsacks zu und knipse die Stirnleuchte aus: „Gute Nacht, liebe Welt. Morgen ist ein neuer Tag.“
Von dem gesamten Projekt einer Tour am Göta-Kanal entlang, hatte ich mir mehr versprochen. Das lohnt sich im Grunde nicht. Wenn man ohnehin in dieser Ecke Schwedens unterwegs ist, wird man gerne hinsehen, aber extra dorthin zu reisen, das lohnt den Aufwand nicht.
