Schweden 2019 Tag 1 Kiel - Møns Klint, DK Tag 2 Insel Møn Tag 3 Møn - Sjöbo, SE Tag 4 Sjöbo - Hätteboda Tag 5 Hätteboda Vildmarkscamp Tag 6 Urshult - Camp Fjället Tag 7 Tidaholm - Mellerud Tag 8 Håverud - Arvika Tag 9 Zwischen Vänern und Vättern Tag 10 TET - Askersund Tag 11 Tiveden und Göta-Kanal Tag 12 Vänern - Ulricehamn Tag 13 Ulricehamn - Göteborg Tag 14 STENA - Heimkehr und Fazit
Auf dem TET
Die Brötchen in der Tüte sind noch warm. Daran hängt ein Zettelchen, auf dem steht 'Svenja'. Kleine Gesten wie diese geben mir das Gefühl willkommen zu sein. So etwas nehme ich wahr und freu mich drüber.
Das Frühstück absolvieren wir in Rekordzeit. Ich will endlich aufs Motorrad steigen.
Heute steht ein Stück des Trans Euro Trail auf dem Plan. Der TET ist eine Endurostrecke, die 51.000 km quer durch Europa führt. Einen Abschnitt von 42 km habe ich als gpx.Datei auf mein Garmin geladen.
Der Trail führt ganz in der Nähe vorbei. Er verläuft auf der anderen Seite des Seeufers durch den Wald. Ich brauche nur ein paar Kilometer nach Norden zu fahren, wo der TET die Landstraße kreuzt.
Im schönsten Sonnenschein rolle ich vom Camp hinunter.
Das Unwetter von gestern ist vergessen.
Schweden tut, als sei nichts gewesen. Das ist wieder mal typisch. Uns verbindet eine innige Hassliebe.
Acht Kilometer hinterm Campingplatz kreuzt der Trans Euro Trail die Straße. Er ist kaum zu verfehlen, selbst wenn das GPS-Gerät ihn nicht überdeutlich auf dem Display zeigen würde. Ich biege ab und folge der Schotterpiste am Waldrand entlang.
Plötzlich bin ich schon zu weit. Ich wende und fahre ein paar Meter zurück. Ein verwittertes Holzschild deutet auf einen Wanderweg, der zwischen den Bäumen verschwindet.
Darauf steht Paradisleden, Paradiesweg.
Der Pfad ist gerade breit genug für einen Fußgänger.
Aufmerksam tuckere ich ins Unterholz.
Ganz wohl ist mir nicht dabei. Zum ersten Mal wünschte ich, der teure, superleichte Titanauspuff wäre weniger laut.
Der Boden ist schwer vom Regen der letzten Tage. Ich fahre behutsam im ersten Gang, aber jeder kleine Gasstoß ist ein Flurschaden. Dabei habe ich nicht einmal besonders grobe Reifen drauf, sondern den gutmütigen Heidenau K60, meinen Standardreifen für alle Reisen auf denen keine besonderen Schwierigkeiten zu erwarten sind.
Farne und dünne Zweige streifen das Motorrad. Ich blicke aufs GPS: Wir sind hier richtig, genau auf dem Trans Euro Trail.
Mir wird zunehmend mulmig.
Wenn ich hier einer Gruppe Wanderern begegne, dann müssen sie hurtig in die Pilze steigen, damit ich vorbei kann. Das bedeutet im günstigsten Fall Ärger. An Reiter auf Pferden mag ich gar nicht denken. Das kann nur in einer Katastrophe enden.
Andererseits ist dieser Trail ein Traum zum Endurowandern. Besser gehts nicht. Doch wie auf fast allen Reit- und Wanderwegen, ist es verboten mit dem Motorrad darauf zu fahren. Schade eigentlich. Sonst könnte ich meine Roadbooks aus dem Wanderführer des Deutschen Alpenvereins schnitzen und hätte längst die fette Ehrennadel in Gold an meiner Endurojacke.
In jungen Jahren wäre ich mit meiner KTM ohne Rücksicht auf Verluste hier durchgeheizt. Reiter, Wanderer, Bußgelder? Was gehen die mich an? Aber das hat sich verändert und ich entscheide mich umzukehren. Bin ich nun doch endlich erwachsen geworden? Oder schlicht alt?
Der Pfad ist so schmal, dass ich weiterfahren muss, bis ich eine geeignete Stelle zum Wenden finde. Mit einem der großen Reisemotorräder wäre ich ziemlich angeschmiert, aber die Rally ist so schmal und leicht, dass ich sie rückwärts in die Pilze schieben und mit dreimal Hin- und Herschieben wenden kann.
Mit Bedauern fahre ich zurück zum Anfang des Paradisleden, wo ich erst vor wenigen Minuten abgebogen bin.
Es ist zu früh, um schon zurück ins Camp zu fahren. Stattdessen werde ich Askersund besuchen. Da war ich früher schon. Askersund ist eine hübsche Kleinstadt mit einer ebenso hübschen SHELL-Tankstelle und noch viel hübscherem Fastfood.
Ich lade die Gänge durch und heize im Motocross Style über die Piste. Mächtig Staub, viel Speed und etwas Irrsinn, aber gut zum abreagieren. Wiedergutmachung dafür, dass ich so schändlich gekniffen habe.
Wann war eigentlich diese Konferenz, auf der beschlossen wurde, dass Svenja keine Amazone mehr sein soll, sondern ein älteres Dämchen mit der Stimme der Vernunft? Ich war jedenfalls nicht eingeladen.
In kürzester Zeit bin ich zurück auf Asphalt. Die 205 schlängelt sich durch eine wilde, typisch schwedische Seenlandschaft. Hier ist fast genausoviel Wasser in der Landschaft wie fester Grund. Nach 40 km erreiche ich Askersund.
„Fremder, kommst du nach Askersund, das Erste, das du siehst, soll die SHELL-Station am Kreisverkehr sein. Da gibts nämlich prima Hotdogs.“
Die haben aber nicht nur Fastfood, sondern auch prima Benzin. Ich lasse den Tank der Honda mit dem guten V-Power 98 volllaufen und schiebe sie vor das Plakat mit den Kaffeebohnen. Das Motorrad ist versorgt, jetzt sind Pieps und ich dran.
Ich bestelle einen Becher Kaffee und dazu Bamse med Bröd. Die Wurst ist sensationell fett und tief dunkelbraun. Meine Freunde die Kulturreisenden nennen sowas einen Käsekrainer. Käse, weil da Käse drin ist, aber wieso Krainer, weiß kein Mensch.
Während ich Pieps mit einer Mischung aus Bewunderung und Grauen beobachte, wie sie die fetttriefende Wurst in sich hineinfräst, bemerke ich die hellen Flecken in ihrem Pelz. Kerzenwachs! Das fehlte gerade noch. Kinder und Kerzen sind eine gefährliche Mischung. Man darf sie nie aus den Augen lassen. Beide nicht und ganz besonders nicht Pieps.
Gegenüber der SHELL-Station liegt Citycamp Askersund, ein Wohnmobilstellplatz direkt am Yachthafen, der außerordentlich schön gelegen ist.
Ich lasse das Motorrad bei SHELL stehen und wandere zu Fuß über die Hafenbrücke in den Ort. Vielleicht finde ich einen Systembolaget und kann eine Flasche Wein zum Abendessen besorgen. In der Stöökagatan sitzen eine Frau und ein Mann auf einer Bank. Ich habe den Eindruck, die Beiden wissen genau, wo der nächste Schnapsladen ist.
Tatsächlich ist einer ganz in der Nähe. Ich kaufe eine Flasche Shiraz und wandere zufrieden zurück zum Motorrad. Am Hafen steht ein Rikstelefon, eine historische Telefonzelle.
Ich öffne die Schwingtür, aber es stehen nur noch alte Bücher drin zum Tauschen. Just in diesem Moment klingelt mein Telefon: Claudia. Woher weiß sie, dass ich in einer Telefonzelle stehe? Ich berichte von meinem Misserfolg auf dem Trans Euro Trail und von Askersund und Claudia erzählt aus Kiel.
Ich gehe zurück zum Motorrad und verstaue die Flasche im Tankrucksack. Ein junger Mann spricht mich an: „You're riding the Trans Euro Trail?“
Ich bin perplex. Woher weiß der das? Sieht man uns das an? „Yes, I do.“ Er macht ein Gesicht, als habe er einen Korb voller Welpen bekommen: „Did you like it? Where did you go? Are you riding all by yourself?“.
Ich erzähle von meinem kurzen Ausflug auf den TET und ob ich da fahren durfte. Eric, so heißt mein Seelenverwandter, lacht. Das Fahren im Wald abseits zweispuriger Wege ist verboten. Er sei aber neulich auf seiner Husqvarna die komplette Strecke bis Ulricehamn gefahren: „I've seen lots of Tire Tracks in the Woods. Nobody cares.“
Wir unterhalten uns noch eine Weile übers Endurofahren, aber dann klingelt Erics Handy und er muss los. „Ride safe!“, sagt er und geht davon. Ich starte die Honda und fahre zurück nach Camp Tiveden und zu Bosse, unserer gemütlichen Hütte.
Heute essen Pieps und ich auswärts. Statt in unserer Hütte, essen wir in der Camper Kitchen im Servicehaus. Es gibt mehrere top moderne Öfen und eine Auswahl von Töpfen und Pfannen. Ich schneide die Paprika auf und halbiere das Lamm Entrecôte, damit es in die Pfanne passt.
Von entscheidender Bedeutung für das Gelingen jedes Entrecôtes ist die Auswahl des richtigen Bratöls. Beste Erfahrungen habe ich mit Olivenöl gemacht. Bessere, als mit der zweiten Sorte Öl, die zur Auswahl steht, auch wenn beide von ähnlicher Viskosität sind.
Nach dem Essen gehe ich mit Pieps in die Fjell Stuv, das kleine Café bei der Rezeption. Ich bestelle ein Swedish Elk Brew. Mit jeder neuen Flasche gibt es auch eine neue Schale Erdnüsse für Pieps. Die Maus ist glücklich und ich bin es auch. Wer zu Pieps lieb ist, der ist auf meiner guten Seite. Das vergesse ich niemals.
Ich lese Crooked Kingdom, den zweiten Band um Kaz Brekker und seine Gang. Das Buch ist irre spannend und ich vergesse die Zeit. Erst als es dunkel wird und Pieps keine Erdnüsse und ich kein Elk Brew mehr mag, wandern wir am Waldrand entlang zu unserer Hütte.
Draußen ist es stockfinster, als ich die Kerzen in der Hütte anzünde. Es wird jetzt schon wieder früher dunkel. Morgen fahren wir am See entlang in Richtung Süden. Noch zweimal schlafen, dann geht es auf die große Fähre zurück nach Kiel.
Der Tag war ein wenig enttäuschend. Ich hatte mir vom TET etwas anderes erhofft. Pieps und ich gehen jetzt schlafen: „Gute Nacht, Welt. Morgen ist ein neuer Tag.“