Schweden 2019 Tag 1 Kiel - Møns Klint, DK Tag 2 Insel Møn Tag 3 Møn - Sjöbo, SE Tag 4 Sjöbo - Hätteboda Tag 5 Hätteboda Vildmarkscamp Tag 6 Urshult - Camp Fjället Tag 7 Tidaholm - Mellerud Tag 8 Håverud - Arvika Tag 9 Zwischen Vänern und Vättern Tag 10 TET - Askersund Tag 11 Tiveden und Göta-Kanal Tag 12 Vänern - Ulricehamn Tag 13 Ulricehamn - Göteborg Tag 14 STENA - Heimkehr und Fazit
Der Dalsland Kanal
Welch ein nasser Morgen. Alles ist klamm von Regen, Tau und Kondenswasser.
Nur unser schönes Bett ist trocken und warm.
Der Rasen vorm Zelt ist so durchweicht, dass er gleich matschig wird, wenn man ein paarmal auf dieselbe Stelle tritt.
Höchste Zeit weiterzufahren, aber ich muss noch auschecken und die Rezeption öffnet erst in zwei Stunden. Vielleicht kommt vorher die Sonne raus und trocknet das Zelt. Ich will es nicht nass einpacken.
Die Sonne steht erst knapp über dem Horizont und sie wärmt noch nicht. Ich werfe den Kocher an und mache Kaffeewasser heiß. Ein Marzipanbrot haben wir auch noch. Wir sitzen im warmen Schlafsack und frühstücken. Es ist urgemütlich.
Um kurz nach Neun habe ich bezahlt, alles eingepackt und wir sind wieder auf der Piste. Der heutige Tag wird vom Dalsland Kanal handeln. Sehenswürdigkeiten sind in Schweden dünn gesäht und man muss mitnehmen, was man kriegen kann, auch wenn ich keine Kulturreisende bin. Mein Fachgebiet ist bestenfalls die Esskultur der Steinzeit. Kurz bevor das Gemüse erfunden wurde. Nur Bier gabs schon.
Der Dalsland Kanal war mir lange ein Rätsel. Für mich ist etwas ein Kanal, wenn einer eine Rinne gräbt, Wasser reinlaufen lässt und da Schiffe drin fahren können. Nicht so der Dalsland Kanal. Da ist keine Rinne. Jedenfalls die meiste Zeit über nicht.
Inzwischen habe ich es kapiert: Der Dalsland Kanal ist bloß 12 km lang, aber damit verbindet man ein Seengebiet von insgesamt 250 km Länge.
Der Kanal besteht nur aus kurzen Abschnitten.
Deshalb sieht man so selten ein Stück gegrabene Rinne mit Wasser drin.
Als wenn das nicht merkwürdig genug wäre, hat man in Håverud eine der ungewöhnlichsten Konstruktionen Schwedens gebaut: Das Aquädukt von Håverud. Eine stählerne Rinne voll Wasser, in der Schiffe einen wilden Fluss überqueren, während oben auf einem Viadukt die Eisenbahn kreuzt. Versteht man kaum, muss man sehen.
Ich lenke die Honda auf den Parkplatz an der Brücke und sehe hinunter. Tatsächlich, unter mir verläuft eine Stahlrinne voller Wasser, ein Teil des Dalsland Kanals, der hier einen Fluss überquert, eine Schleuse überwindet und dahinter in den See mündet. Oben drüber fahren Züge und über allem stehe ich auf der Straßenbrücke und wundere mich.
Das möchte ich mir näher ansehen. Unten an der Mündung des Kanals in den See gibt es ein Café und einen Campingplatz. Das Camp ist ziemlich ätzend, jedenfalls für Zeltcamper, aber der Blick auf den Fluss und die historische Hubbrücke ist famos.
Daneben mündet der Dalsland Kanal in den See. Vier Schleusen sorgen für den Höhenausgleich zwischen Aquädukt und See. Eine Treppe für Schiffe in vier Stufen.
Das Café im Dalsland Center ist geschlossen. Ich knipse ein paar Fotos von den Schleusen und fahre weiter. Im Verlauf des Tages werden wir dem Kanal noch mehrmals begegnen.
In Håverund beginnt der Brudfjällsvägen, der als Schwedens aufregendste Kurvenstrecke gehandelt wird. Ich hoffe nur, es ist nicht ein Titel vom Wert Bester Skispringer des Südsudan, denn Schweden ist nicht gerade für seine Kurvenstrecken bekannt.
Tatsächlich ist die Strecke der Hammer! Auf etwa zehn Kilometern Asphalt sind 87,4 % aller Kurven Schwedens verbaut. Außerdem geht es dauernd hoch oder runter und das mit bis zu 22% Steigung und Gefälle.
In der zweiten Kurve kommt mir eine Gruppe Honda Goldwings entgegen. Lauter gesetzte Herren, die auf ihren mächtigen Maschinen mit Vier- oder Sechszylinder-Boxermotoren genussvoll den Brudfjällsvägen entlangcruisen. Ein majestätischer Anblick. Wir grüßen uns freundlich.
Die nächste Brücke über den Dalsland Kanal ist nicht sonderlich hübsch. Ein technisches Bauwerk aus Beton. Das einzig Ansehnliche ist die Hütte des Brückenwärters, der den Klappmechanismus und die Ampeln bedient. Ich bleibe auf der Straße stehen, schieße ein Foto und fahre weiter.
Eine Sehenswürdigkeit interessiert Pieps und mich besonders. Wir haben sie schon zuhause in Kiel fett auf der Karte vermerkt: Svens Kopparkittel, die deutsche Bäckerei in Gustavsfors.
Unglaublich, eine deutsche Bäckerei mit Café irgendwo im Nirgendwo an der Landstraße 172. Von wegen, in Gustavsfors. Das Dorf liegt einen Kilometer dahinter und verfügt - wenn alle zuhause sind - gerade einmal über 300 Einwohner.
Ich setze den Blinker, schalte runter und lasse das Motorrad auf dem Kiesplatz vorm Café ausrollen. Die Reklameschilder sind so fantasielos einfach, dass ich guter Dinge bin: So einer versteht sein Handwerk und hält sich ohne Schnickschnack genau ans Rezept.
Daneben steht die liebevolle Miniaturausgabe eines schwedischen Landhauses, komplett mit Balkon und Säulenvorbau. Sogar die Farbe stimmt: Falunrot.
Pieps ist hingerissen und möchte sofort einziehen. Die Hütte schlägt ihr pinkes Barbie Wohnmobil um Längen. Nur mit wilden Versprechungen von gewaltigen Käsebroten kann ich die kleine Maus ins Café locken.
Auf einer Tafel über dem Tresen steht: Smørgas. Ost / Salami / Skinka 35. Sandwich mit Käse, Salami, oder Schinken, 35 Kronen. Ich bestelle Kaffee und belegte Brötchen. Wir werden vom Chef selbst bedient. Ein Deutscher, der im Sommerhalbjahr die Bäckerei betreibt. Im Winter ist geschlossen.
Nach ein paar Minuten bringt er unser Frühstück. Ein Weizenbrötchen mit Schinken für mich und ein Roggen mit Käse für Pieps. Die Brötchen sehen klasse aus und schmecken auch so. Sie sind knackfrisch und großzügig mit Schinken und Käse belegt.
Gierig wolfen wir die Brote in uns hinein. Ich besorge mir einen zweiten Becher Kaffee und für Pieps ein Croissant zum Nachtisch. Das Café ist gemütlich und wir bleiben länger, als wir müssten.
Hinter Gustavsfors führt eine Piste durch den Wald nach Lennartsfors. Die Strecke ist zuerst gerade und wird dann kurviger und hügelig. Etwa 20 km ohne Asphalt, die Spaß machen.
An einer besonders malerischen Stelle halte ich an, stelle die Kamera in den Wald und drehe ein paar Videos davon, wie ich lässig vorbeifahre. Schön ist es hier. Schweden und Endurowandern gehört zusammen, wie Party und Pumps.
Kurz vor Lennartsfors überquere ich die Grenze nach Värmland. Wir sind bloß noch 4 km von der norwegischen Grenze entfernt. Lennartsfors liegt im Grunde gar nicht auf meiner Route, aber ich will mir ein kurzes, in den Felsen gesprengtes Stück des Kanals ansehen, das schließlich in den See Foxen führt.
Ich lasse die Enduro am Kraftwerk stehen und steige hinunter zum Kanal. Die Fahrrinne wirkt unglaublich schmal. Vor der Klappbrücke zeigt die Ampel für Schiffe Rot.
Das Wasser ist schwarz und sieht tief aus. Dabei sind es nur 1,80 m. Meine Haare würden oben noch rausgucken.
Es macht Spaß, eine Weile auf der Kanalböschung herumzuklettern. Am Ufer gegenüber ist ein Weg aus dem Fels gehauen. Ein historischer Treidelpfad? Immerhin ist der Dalsland Kanal schon 150 Jahre alt.
Irgendwann nachmittags erreichen wir Arvika, die Provinzhauptstadt von Värmland. Falls es den Menschen hier an irgendetwas fehlen sollte, dann nicht an Volvos und Schnapsläden. Allein vor dem Systembolaget in der Storgatan parken fünf davon, und vor mir fährt ein alter Typ 940. Er hängt tief in den Federn. Morgen ist Sonntag. Da haben die Schnapsläden zu.
Bevor wir einkaufen, will ich volltanken. Ich halte bei INGO - Billig Bensin och Diesel. Als die Zapfpistole mit einem letzten Klack abschaltet und ich den Verbrauch ausrechne, komme ich auf einen Wert von 2,7 Litern. Die Africa Single ist ein Verbrauchswunder.
Den Einkauf erledigen wir bei COOP. Ein Riesenladen, aber trotzdem hat er keine Metzgerei. Fleisch gibt es nur SB-verpackt, Brot ebenfalls. Alles möglichst effizient, schlicht und preiswert. Die Schweden sind reich, aber mit sich selbst gehen sie lieblos um.
„Macht nichts“, denke ich. „Dafür haben wir Entrecôte, Marzipan und Bier. Und ein Glas eingelegter Anchovis.“ Zufrieden verstaue ich den Einkauf im Tankrucksack und fahre die letzten 5 km raus zum Campingplatz.
Ingestrands Camping ist ein weitläufiger Wohnwagenpark an einem See mit Hüttenvermietung. Ein typischer Platz, wie man ihn in der Nähe von Städten findet.
Die Schüleraushilfe in der Rezeption ist ebenso freundlich wie bestimmt:
Heute ist der letzte Tag der Hauptsaison. Die wesentlich billigeren Preise der Nebensaison gelten erst morgen. Am 1. September.
Von Claudia weiß ich, dass ein fettes Regengebiet heraufzieht. Ich miete eine Hütte. Sie kostet 57 € und ist für vier Personen gedacht. Dass wir nur anderthalb sind, bringt uns keinen Vorteil.
„Die Hütten sind sehr schmutzig und ziemlich teuer“, schreibt ein User auf Google Maps. Schmutzig finde ich sie nicht, aber ziemlich abgewohnt und es stinkt wie in einer Räucherkate.
Der Rauchgeruch klärt sich, als ich das niedergebrannte Waschhaus entdecke. Die Facilities sind solange in einem Container untergebracht. „Liebe Leute“, denke ich, „wenn ich auf der elektrischen Kochplatte mit den Entrecôtes durch bin“, dann ist der Brandgeruch vom Klohaus euer geringstes Problem.
Ich schließe Fenster und Türen und brate das Fleisch auf höchster Stufe, bis der wohlriechende Qualm gerade anbrennender Steaks den Geruch frisch abgebrannter Klos überdeckt.
Nach dem Essen setzen wir uns auf ein Feierabendbier (ich) und ein Feierabendmarzipanbrot (Pieps) nach draußen vor die Hütte. Durch die Bäume kann man runter bis zum See gucken.
Zwei schwedische Männer in Shorts sehen sich unsere Honda an. Der Sticker Africa Single glänzt in der Sonne. Den hat Claudia gut angebracht. Er ist nicht von original Honda Stickern zu unterscheiden. Die beiden Jungs, um die 40, karierte Shorts, Bierdosen in den Händen, sind völlig aus dem Häuschen und können sich das unbekannte Modell nicht erklären.
Zeit für Benzingespräche und ein wenig Spaß.
Lässig gehe ich zu den Beiden hinüber, ebenfalls mit einer Dose Bier in der Hand.
Es platzt buchstäblich aus dem Älteren heraus: „There is no Africa Single in the Honda Lineup“, erklärt er mir.
„And yet you stand in front of one“, gebe ich ebenso selbstsicher zurück. Männer interessieren sich bei Motorrädern meist nur für das obere Ende der Modellpalette. Die kleineren Maschinen kennen sie nicht, sonst hätte dieser sofort die Honda CRF250 Rally erkannt. Hat er aber nicht.
Ich überlege, ob ich ihn auf die Prototyp-Schiene locken soll, aber ich kann mir das Lachen kaum noch verkneifen und kläre die Beiden auf. Der Ältere ist erleichtert, dass sein Fachverstand ihn nicht im Stich gelassen hat. Die Schweden ziehen lachend weiter. Mit der Nummer kann ich auftreten.
Wir legen uns früh in eines der Betten. Diesmal schlafen wir beide unten. Nein, so richtig gemütlich ist es nicht, aber morgen fahren wir weiter. Unser nächstes Ziel ist der Tiveden Nationalpark. Er liegt zwischen den beiden großen Seen.