Zum Vättern
Es macht Spaß, die schwedischen Waldautobahnen entlangzuheizen. Dafür ist Schweden ideal. Hier gibt es hunderte und hunderte Kilometer Pisten zum Endurowandern. Man hat das Gefühl, den Stollenreifen etwas Gutes zu tun, wenn sie endlich mal vom Asphalt runter dürfen.
Der Laden hat außen wie innen den Charme einer neuen Apotheke aus Chrom, Glas und Stahl, die ich so grässlich finde. Reihen und Reihen von Regalen, eine Armee aus Flaschen, aufgereiht in Bataillone aus Rotwein, Weißwein, klaren Schnäpsen, Rum, Weinbrand, Whisky, Gin und einem Regiment von Hilfstruppen leichter Liköre.
Was bin ich froh, dass es in Deutschland Bier und Blanchet im Supermarkt gibt. Dafür ist die Auswahl im Systembolaget extrem gut. Es gibt sogar ein Weinregal für Småflaskor, kleine Flaschen. Ich nehme eine 0,35l Flasche Shiraz aus dem Regal und trage sie zur Kasse. Die Kassiererin ist sehr freundlich, auch wenn ich etwas pikiert bin, dass sie den Alterscheck übergeht und nicht nach meinem Ausweis fragt. Auch die schwedische Alkoholaufsicht kann sich auf einen gepfefferten Brief von mir freuen.
Es sieht nach Regen aus, als ich aus dem Schnapsladen komme und die Honda startklar mache. Ich stecke die Hose in die Gummistiefel und ziehe die Regensachen darüber.
Über die Praxistests in Motorradmagazinen kann ich mich nur wundern. Zum Testen lassen sich Journalisten in Motorradsachen mit dem Gartenschlauch abspritzen. Alles trocken geblieben? Klasse. Oder mit dem Stiefel einmal in den Wassereimer steigen. Alles dicht? Prima. Dabei verkennt man, dass die Umgebung sonst völlig trocken ist. Gute Bedingungen für Membrane. Wenn aber die ganze Welt nass, feucht und klamm ist, funktioniert das weit weniger gut.
Meiner Erfahrung nach taugt Membrankleidung für die Regenfahrt zur Arbeit und für eine Tour von zwei bis drei Stunden, an deren Ende wieder das eigene Zuhause steht, aber nicht zum Reisen mit Zelt. Das Zeug liegt die ganze Nacht über als nasser Sack neben einem und ist morgens noch genauso klamm. Das Trocknen der vielen Lagen Textil gelingt nur über der Heizung oder im trockenen Fahrtwind.
Ich vertraue auf Gummi und Plastik. Absolutes Highlight sind meine Gummistiefel. Die sind hundertprozentig dicht und das über Stunden, Tage und Wochen. Auch in Island haben sie mich nie im Stich gelassen.
Ich setze den Blinker, schalte vier Gänge runter und biege ab. Schotter, Matsch, Pfützen. Ein Bauernhof. Vorbei am Kuhstall. Das Garmin zeigt noch 892 m Rest. Ich brauche nur noch links durch die Scheune zu fahren und dann bin ich schon fast da. Das Tor steht offen.
Hastig wende ich das Motorrad, stets mit der Furcht im Nacken, dass mich jeden Augenblick der Hofhund oder der Bauer entdecken könnten.
In ein paar Minuten werde ich erfahren, dass ich 2 km zu früh abgebogen bin und dass ich damit nicht die Erste bin. Der Bauer ist daran gewöhnt. Der Hofhund auch. Sie hassen kurviger.
Endlich bin ich auf dem richtigen Weg. Välkommen Camp Fjället steht auf einem Schild am Farmhaus. Darüber hängt ein Elchgeweih. Auf dem Weg liegen Birkenblätter. Es wird Herbst.
Ich stelle den Motor aus und setze den Helm ab. Ich weiß, dass der Besitzer des Platzes Hans-Peter heißt. Das habe ich auf der Facebook-Seite des Camps gelesen. Was ich nicht weiß ist, dass er aus der Schweiz stammt und hier sein zweites Zuhause gefunden hat.
Wir unterhalten uns auf Deutsch, oder das, was Schweizer dafür halten. Ich lasse die Enduro stehen und bekomme eine Führung durchs Camp. Die Zeltwiese sieht aus wie ein englischer Golfplatz. Makellos. Es gibt sogar eine Feuerstelle mit Bänken darum: "Da kannst du dir ein Kochfeuer machen". Der Wunschtraum jedes Zeltcampers geht hier in Erfüllung.
Es gibt auch sechs urige Holzhütten. Jede sieht anders aus. Sie tragen Namen wie Loftstugan, oder Hydda Österreich und jede ist allerliebst anzusehen. Ich erfahre, dass Hans-Peter alle Hütten selbst entworfen und gebaut hat. Er ist von Beruf Zimmermann. "Die sind so süß. Darf ich mal eine von innen anschauen?"
Wir stehen neben der kleinsten Hütte. Sie heißt schlicht Blockhaus und hat eine überdachte Terrasse mit Bank und Tisch. Peter schließt die Tür auf und ich bin hingerissen. Ich baue gleich unser Zelt auf, aber trotzdem bin ich neugierig: "Was kostet sowas für die Nacht?"
"Hast du deinen Schlafsack mit? Kann ich die Bettwäsche rausnehmen?"
"Ja klar. Ich bin ja mit Zelt unterwegs. Ich hab auch ein Kissen."
"Dann lasse ich sie dir für [ein günstiger Preis]."
"Ich will."
„Ist es wohl…!”
„Dich hat keiner gefragt, Pieps.”
Und so kommt es, dass Pieps und ich in einem Blockhaus schlafen und nicht im Zelt. Unsere kleine Hütte ist super gemütlich eingerichtet. Eine kleine Küche, ein Tisch mit Stühlen und ein Etagenbett aus Blockbohlen: „Erster Obenschläfer, ohne Streit!“, kreischt Pieps voll Begeisterung. Nun gut, dann schlaf ich eben unten.
Heute ist der erste erträglich warme Tag ohne Schwitzen. Das Gewitter hat Abkühlung gebracht. Reisetag 6, Zeit zu duschen. Vor allem will ich mir die Haare waschen. Ich habe extra von Zuhause eine Haarkur mitgenommen. Ich schnappe mir das Handtuch, die Kurpackung, unser Duschgel und die zeternde Maus und gehe zum Waschhaus.
Selbst das Servicegebäude ist ein selbstgezimmertes Holzhaus. Wir sind die einzigen Gäste im Camp und haben die Duschen für uns allein.
Entrecôte vom Rind an einem Nest von gebratener Spitzpaprika
zu einer Dose von dänischem Bier.
„Pieps, kann ich vielleicht doch bei dir oben schlafen?“
Eine gewisse Maus stimmt gnädig zu.
Gute Nacht, Welt. Wir sehen uns morgen früh.
zum nächsten Tag...
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