Die letzte Etappe
2 km hinterm Camp liegt Bourg-Saint-Maurice. Vor dem Hotel Arolla parken drei Tourenwagen, ein BMW 440i Gran Coupé, ein Alfa Romeo Giulia Quadrifoglio und ein Jaguar. Alfa war die heißeste Automarke meiner Jugend. Bis sie 1978 ihren ersten Diesel rausgebracht haben. Danach war die Marke für mich erledigt.
Ich stelle die Honda ab und gehe zur Hotelrezeption. Wir suchen kein Bett, sondern Kaffee und Croissant. Für ein paar Euro will ich uns ins Frühstück der Hotelgäste einkaufen. Das habe ich auf Island gelernt, wo es keine Bäckereien, keine Cafés und im Grunde überhaupt nichts gibt, aber Hotels. Zum Ende der Reise waren das meine besten Freunde.Am Nebentisch sitzt eine Gruppe Männer um die Fünfzig, die Fahrer der Tourenwagen. Sie beugen sich über Landkarten und plappern wie große Jungs fröhlich durcheinander. Man spürt ihre Begeisterung für den gemeinsamen Trip mit den tollen Autos und für die alte Freundschaft.
Menschen, die man selbst gern als Freunde hätte, nette Jungs, aber leider auch die, die früher keines der hübschen Mädchen abgekriegt haben und nach der Disko nur alle nach Hause fahren 'durften'. Typen wie Sheldon und Leonard aus Big Bang Theory.
Heute tragen sie dünnes Haar und dicke Brillen, verdienen aber die absolute Mörderkohle, während die coolen Typen, die damals die Girls abgegriffen haben, für sie am Ende der Waschstraße den Alfa und den Jaguar trockenreiben. Mitunter ist das Leben doch ziemlich gerecht.
Heute Morgen ist es ruhig auf der Straße. Ab und an ein Sportwagen, der einsam seine Runde dreht, aber ansonsten habe ich die Strecke für mich und tuckere gemütlich durch die Landschaft.
Kurve reiht sich an Kurve. Die Honda hängt wunderbar direkt am Gas. Der Einzylinder bollert fröhlich in die frische Bergluft und ich summe irgendeine Melodie in meinen Helm. Welch eine schöne Reise und welch ein grandioser Tag das ist.
Am späten Vormittag wird es voller auf der Grandes Alpes und gegen Mittag stelle ich das Grüßen für heute ein. Es sind so viele Motorräder unterwegs, dass ich mir auch gleich eine Gummihand an die Schulter tackern könnte, und sein wir mal ehrlich: Mit den meisten habe ich nichts gemeinsam außer der Begeisterung dafür, ein 'im Reitsitz zu fahrendes, einspuriges, zweirädriges Kraftfahrzeug mit einem Tank zwischen Sitz und Lenker' zu bewegen.
Wir müssen noch einkaufen. Das sollte ich unbedingt erledigen, solange wir noch in Frankreich sind. In der Schweiz nehmen sie's vom Lebendigen. Dort wird Entrecôte mit Gold aufgewogen.
In La Clusaz komme ich an einem U-Express Supermarkt vorbei. Ob der überhaupt Fleisch an Bord hat? Sonderlich groß ist er nicht.
Ich rufe Claudia in Kiel an und berichte ihr von unterwegs: "Wir sind jetzt in einem kleinen Ort, der heißt Le Clusaz. Getankt hab' ich schon, aber ich muss noch einkaufen. Hier ist bloß so ein winziger Supermarkt, ich glaub nicht, dass die Fleisch haben."
"Der U-Express? An der Durchgangsstraße? Den hab ich mir auf Google Maps schon genau angesehen. Die haben laut Fotos einen Fleischtresen und eine Käseabteilung. Sieht beides sehr gut aus."
Hinterm Tresen steht eine Frau, was in Frankreich selten ist. Es sind meistens Männer, die am Fleischstand mit einem breiten Lächeln in der einen und einem großen Messer in der anderen Hand nach unseren Wünschen fragen.
Dies ist eine willkommene Gelegenheit, eines meiner Sprachkärtchen zu zücken und daraus den berühmten Satz Nr.1 aufzusagen: "Une grosse Entrecôte avec beaucoup de grasse, s'il vous plaît", ein großes Entrecôte mit viel Fett bitte.
Allmählich flutscht es mit dem Französisch sprechen. Es reicht vielleicht noch nicht, um bei der UNO als Simultandolmetscherin zu bestehen, aber für Käse und Wein, Fleisch und Croissant funktioniert es prima, auch wenn die Kärtchen im Lauf der Reise ein wenig gelitten haben. Die Dame lächelt und säbelt mit geübter Hand einen mördergroßen Lappen der gehobenen 400 g Klasse herunter.
Am Käsestand lege ich zwei kleine Ziegenkäse dazu und auf dem Weg zur Kasse landen noch ein Päckchen Käsegebäck und zwei halbe Flaschen Rotwein im Einkaufskorb, ein Médoc und ein Bordeaux. Damit sollten wir in der Schweiz die nächsten beiden Tage über die Runden kommen.
Eine Stunde später verfärbt sich das Display meines Garmin. Die gesamte linke Hälfte wird blau. Straßen und Schrift verschwinden. In meiner Ratlosigkeit werfe ich einen Blick aus dem Helm und tatsächlich: Links alles blau. Wir sind am Genfersee!
Camping Les Grangettes liegt direkt am Ufer des Genfersees. Die Anlage ist riesig. Ein wenig müde von der Fahrt parke ich die Honda vor der Rezeption und gehe hinein. Ein junger Mann begrüßt mich mit einem freundlichen Lächeln. Sein Name ist Silvain. Das spricht sich wie der Wein Silvaner, nur ohne die letzte Silbe.
Das Check-In auf einem Zeltplatz in der Schweiz ähnelt dem Versuch der Einreise nach Nordkorea ohne Visum. Während fast überall sonst in Europa das KFZ-Kennzeichen und ein Zehneuroschein genügen, verlangt man am Genfersee den Lebenslauf der Familie, ein großes Blutbild und einen 53-Euro-Schein für zwei Nächte auf der Zeltwiese. Andere Länder, andere Sitten.
Silvain ist ein total witziger Typ. Ich duze ihn, wie ich es meistens tue, aber er bleibt hartnäckig beim Sie. Sowas macht mich kirre, einfach fremde Menschen zu siezen: "Ich komme aus Schleswig-Holstein. Wir siezen nur den Ministerpräsidenten und den höchsten Chef. Und sonst nur die, die wir nicht leiden können. Du bist ziemlich sicher keins von Beiden. Lass uns bitte beim Du bleiben, ja?"
Silvain scheint das witzig zu finden, aber er ist einverstanden und lädt mich ein, mir den Platz zu zeigen. Er schließt das Büro ab und wir stiefeln los. Es ist ein großer Platz.
Es ist Mitte Juni und das Camp ist dicht belegt. Eine Hälfte nehmen die Dauercamper ein, der Extremtyp mit Gartenzwerg, Zaun und Klingel, die andere Hälfte gehört den Touristcampern wie Pieps und mir.
Keine Stunde später sitzen wir im Campingrestaurant. Während ich Tagebuch schreibe, überlegt Pieps, wieviele der fremden Scheine und Münzen man wohl für einen richtig fetten Becher 'Köörsch-Eis' brauchen würde: "Geh einfach zum Tresen, mein Schatz. Die sollen es zu dem Wein auf die Rechnung setzen." Ein Fehler, wie sich später herausstellen wird.
Gegen 19 Uhr ist der Schatten der Platane so weit gewandert, dass unser Zelt im Schatten steht. Ich gieße Olivenöl in die Pfanne und werfe den Kocher auf höchster Stufe an. Es zischt, als ich das große Steak ins Fett gleiten lasse.
Morgen werden wir einen Jokertag am See einlegen und ein wenig ausspannen, bevor es weitergeht in Richtung Norden.
Am Genfersee
Es ist erstaunlich ruhig im Camp. Nur einmal in der Nacht höre ich einen Uhu, aber vielleicht habe ich den auch nur geträumt. Um kurz nach sieben öffne ich das Zelt und werfe einen ersten verschlafenen Blick auf den See. Es verspricht ein herrlicher Tag zu werden.
Mit mir und der Welt zufrieden beiße ich in ein Croissant und sehe zu, wie das Camp allmählich zum Leben erwacht. Nach und nach öffnen sich die Türen der Wohnwagen und die Menschen kommen zum Vorschein.
Als Erster spaziert der alte Dandy mit dem schütteren blonden Haar und der goldenen Spiegelbrille vorbei. Er führt seinen Pudel an der Leine und sieht ein wenig aus, wie der fehlende Dritte bei Siegfried und Roy. "Bonjour Madame", sagt er höflich, "Bonjour Monsieur", erwidere ich ebenso höflich. Sein Wohnwagen steht ein Stück die Straße runter und er kommt hier mehrmals täglich mit seinem Pudel vorbei.
Kurz darauf erscheint die Blonde aus dem Megamobil eine Straße weiter. Sie hat es eilig zum Waschhaus zu kommen. Ihr Mann und sie hatten gestern Abend Gäste. Man hat Rotwein getrunken. Deutlich mehr und deutlich lauter als ich. Sie sieht ein wenig zerknittert aus.
Als letztes öffnet sich die Tür des bunt bemalten Mercedes Kastenwagen, der uns gegenüber steht, und der Hippy mit den beiden großen Hunden kommt aus seinem selbstgebauten Wohnmobil.
Ein Campingplatz am Morgen bietet feinstes Reality-TV und für ein Camp am Genfersee gilt das noch einmal extra. Ein älteres Dämchen aus Kiel und eine gewisse Maus sehen interessiert zu und bemerken dabei nicht, dass sie selbst längst ein Teil der Show sind.
Nach dem Frühstück fahre ich einkaufen. Im Dorf nebenan gibt es einen großen COOP Supermarkt. Wir parken direkt am Eingang und gehen in den riesigen Laden.
Entrecôte kostet 85,50 Euro pro Kilo, Filet 95,80. Wir sind in der Schweiz. Die Steaks sind winzig. Dafür sehen die Schweinekoteletts sensationell gut aus. Mit 20 Euro pro Kilo sind sie das günstigste Angebot im Tresen. Und das fetteste. Es ist Liebe auf den ersten Blick.
Auf der Rückfahrt zum Zelt fallen mir die LIDL, ALDI und MIGROS Märkte auf. Discounter, hier am noblen Genfersee? Meine Theorie ist, je reicher Leute sind, desto weniger wollen sie für Lebensmittel ausgeben, denn ich glaube nicht, dass man hier auf den Rappen achten muss, wie der Pfennig in der Schweiz genannt wird.
Heiß ist es am Genfersee, jedenfalls viel wärmer als in Kiel. Ich werde die Motorradsachen los und lege ich mich in den Schatten einer Platane. Sozialstudien machen müde.
Die Rotweinflasche steht seit Stunden in der Sonne und ich denke nicht, dass 32 °C die empfohlene Trinktemperatur für einen Médoc ist. Nicht einmal für einen billigen aus dem Supermarkt.
Am Waschhaus steht eine Tiefkühltruhe für die Gäste. Da werde ich den Wein etwas abkühlen. Ich darf nur die Zeit nicht vergessen, denn -18 °C seien für einen Médoc wiederum zu kühl, sagt man.
Hin und wieder kann ich einen Erholungstag genießen, an dem nichts geschieht und wenig zu sehen ist, aber wirklich nur in homöopathischen Dosen. Es wird Zeit, dass wir morgen früh weiterfahren.
Das Kotelett hat eine Schwarte von der Dicke eines Maurerdaumens. Ich schneide sie ein paarmal tief ein, damit sie schön knusprig wird.
Pieps und ich gehen jetzt Zähneputzen und dann ab in die Heia.
Gute Nacht, Welt.
zum nächsten Tag...
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