Grandes Alpes - Teil II
Es ist ein grandioser Moment, wenn man morgens das Zelt aufzieht und einen Anblick wie diesen hat. Ich sitze auf der Isomatte und sehe hinaus. In der Ferne leuchtet ein Berg in der Sonne, während unser Zelt noch im Schatten steht. Es sieht nach einem weiteren perfekten Tag in den Alpen aus.
Dabei habe ich vergessen, dass unser Schlafplatz bereits in 1.490 m Höhe lag. Vermutlich war es deshalb heute Nacht auch so lausekalt. Nur nicht in unserem Schlafsack. Daune rulez!
Ich stelle die Enduro vorm Hôtel Des Glaciers ab. In den großen Fenstern des Hotels spiegelt sich der Col du Galibier. Da oben wollen wir rauffahren. Aber noch nicht jetzt: Zuerst gibt es für Pieps und mich ein Frühstück.
Was ist das nur in den Alpen, das die Läden drinnen so finster sind? Nicht zum ersten Mal fällt mir das auf. Jedesmal beim Eintreten denke ich, Oh, die haben noch gar nicht auf und bloß vergessen, die Tür abzuschließen. Entschuldigen Sie, ich wollte nicht stören.
Aber nein, der Laden ist offen und bereits voll unter Dampf. Wenn ich wüsste, wo der Schalter ist, würde ich sämtliche Lampen anknipsen und etwas Licht ins Dunkel bringen, so wie es mein Beruf ist. Stattdessen wandere ich durch den halbdunklen Saal an einen freien Tisch und bestelle Kaffee und Croissants.
Nach einem eher unspektakulären Frühstück setze ich mich wieder aufs Motorrad und fahre weiter. Schräg gegenüber vom Hotel zweigt die Straße ab zum Col du Galibier. Schon jetzt herrscht reger Betrieb auf der Strecke. Gruppen - wieso eigentlich immer Gruppen? - von Motorrädern kommen den Pass herunter, während andere erst dorthin unterwegs sind.
Ein genialer Trick, um völlig stressfrei unliebsame Mitfahrer loszuwerden. Besonders mit LKW funktioniert das ganz prima. Anstatt wie eine Gehörnte vorbeizurasen und anschließend den 40-Tonner dräuend im Rückspiegel zu wissen, warte ich kurz und Zack! ist er verschwunden. Die meisten seh' ich niemals wieder. Überholen Svenja-Style.
Wenn ich zu Hause bin, werde ich jedes gelungene Bild sofort kaufen. Die baue ich dann in den Reisebericht ein und tue so, als hätte ich sie selbst gemacht mit irgendeiner total coolen Technik, um die ich ein Riesengeheimnis mache. Zumindest in Kiel kommt da kein Mensch drauf.
Oben auf der Scheitelhöhe ist es erstaunlich menschenleer. Für einen Moment habe ich die Aussicht für mich allein. Der Pass ist zugleich die Grenze zwischen der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur und der Region Auvergne-Rhône-Alpes.
So muss sich der Papst fühlen, wenn er gelangweilt in einer Kneipe sitzt und der Typ auf dem Barhocker nebenan ihn fragt, ob er sich wohl rein zufällig mit Katholizismus auskenne und irgendwas darüber sagen könne. Ich könnte nicht glücklicher sein.
Irgendwann muss der Franzose weiter. Er hat wohl noch einen wichtigen Termin. Schade, ich war noch nicht einmal halb durch. Zufrieden darüber, dass ich ein wenig helfen konnte, starte ich den Motor der Honda, die für Island tatsächlich sehr geeignet ist, und rolle die Nordrampe des Iseran hinunter.
Jetzt ist es nicht mehr weit, bis wir Feierabend machen können. Unser Camp für die Nacht heißt Camping Le Reclus und liegt am Ortsrand von Bourg-Saint-Maurice.
Ich checke ein und suche einen hübschen Platz für unser Zelt. Bevor ich unser Schlafzimmer fertig einrichte, breite ich alles in der Sonne aus. Die Matte, der Schlafsack, das Zelt, das Handtuch, alles ist noch etwas klamm von der vergangenen Nacht.
Während Pieps und ich auf unserer traditionellen Platzrunde durchs Camp wandern, rollt eine ältere BMW GS auf den Platz. Diesmal ist es aber kein knurriger Misanthrop, sondern ein sehr netter und auch gesprächiger Biker aus Frankfurt.
Als Dirk später beim Abendessen sitzt, drängen Pieps und ich uns spontan als Gesellschaft auf. Den Hauptgang hatten wir bereits, aber den zweiten Gang aus Ziegenkäse, Olivenbrot und Rotwein teilen wir gerne, obwohl Pieps misstrauisch Wache über ihren Käse hält.
Inzwischen haben die Mücken uns entdeckt und damit wird es Zeit, sich zu verabschieden. Das war ein sagenhaft schöner Fahrtag in den Alpen. Jetzt liegen elf von sechzehn Pässen der Route des Grandes Alpes hinter uns. Morgen fahren wir die letzten Fünf der Route und zelten abends schon am Genfer See.
Den letzten Becher Rotwein nehme ich mit ins Zelt. Ich möchte noch ein wenig lesen und bin neugierig, wie es im vierten Fall von Bruno, Chef de Police weitergeht. Ob wirklich die militanten Tierschützer dahinterstecken? Zuzutrauen wärs diesen Typen, aber irgendwas scheint mir faul zu sein an der Sache.
Ich lege mich ins Bett und schalte das Kindle ein. Jetzt bitte nicht mehr stören. Gute Nacht, Welt.
zum nächsten Tag...
zurück nach oben