In der Auvergne
Die Sonne geht gerade erst auf, als ich mit dem Handtuch überm Arm zum Waschhaus gehe. Es ist noch ganz still auf dem Platz, nur die Putzfrau ist schon da, eine ältere Dame, robust gebaut, kurze, graue Haare, Gulloises Timbre. Sie schiebt einen Wischmop vor sich her. Ihre gelben Plastikschuhe quietschen beim Gehen. "Bonjour madame", "Bonjour madame".
Eine Stunde später fahre ich auf der Uferstraße des Lac des Settons entlang. Der See liegt glatt wie ein Spiegel in der Morgensonne. Das wird ein schöner Tag, denke ich bei mir, schalte hoch und lasse das Motorrad mit 85 km/h auf dem glatten Asphalt dahin laufen.
Meine Tagesetappen habe ich zuhause am PC mit kurviger.de geplant und als .gpx-Tracks auf mein Garmin kopiert. Schon gestern ist mir aufgefallen, dass die Streckenführung manchmal total unsinnig ist. Mitten im Ort leitet Kurviger mich über einen Hinterhof durch eine Gasse, nur um 70 m abzukürzen, was länger dauert und 20 Schaltvorgänge mehr erfordert. Erst wenn man ein Stück weiter wieder auf die Hauptstraße kommt, merkt man, welch ein Quatsch das war.
Auf freier Strecke leitet kurviger mich unvermittelt auf einen Feldweg. Ich ahne schon, dass es wieder ein Gag ist, aber ich will kein Spielverderber sein und biege ab. Beherzt drehe ich am Gas und lasse die Enduro fliegen. Der Michelin Anakee Wild bietet auf der Naturpiste Traktion wie eine Zahnradbahn. Im Gelände ist der Reifen eine Macht.
Ich gehe in die Tanke und halte der Frau an der Kasse die kaputte Ventilkappe unter die Nase. Sie sagt etwas, das ich wieder nicht verstehe, nimmt mir die Kappe aus der Hand und verschwindet durch eine Glastür nach hinten in die Werkstatt.
Der Luftdruck sitzt, der Tank ist voll, nur der Geradeauslauf hat sich durch die ganze Aktion leider kein Stück verbessert. Noch immer läuft der Reifen jeder Spurrille hinterher, selbst denen, die man bloß ahnen kann. Für Island wäre der Anakee Wild ein toller Reifen, aber auf der Straße macht er keinen Spaß.
Seit Stunden fahre ich durch die Auvergne, eine raue Vulkanlandschaft, vergleichbar mit unserer Eifel, nur dass die Auvergne fünfmal größer ist und ihre Berge mehr als doppelt so hoch. Sie gilt als die am dünnsten besiedelte und einsamste Region Frankreichs. Ich bin zum dritten Mal hier. Es ist meine absolute Lieblingsgegend in diesem Land.
Selbst wenn es im Land glühend heiß ist, sind hier oben am Berg ein paar erfrischende Grade weniger und nachts wird es angnehm kühl.
Die Französin, der das Camp gehört, ist ungefähr in meinem Alter. Eine schlanke Frau mit einer grauen Pagenkopffrisur. Sie ist noch genauso distanziert und hölzern, wie bei unseren ersten Besuchen. Nicht etwa unfreundlich, aber ihr fehlt das gewinnende Wesen, das Menschen haben, die man auf Anhieb mag. Vermutlich geht es ihr mit mir genauso. Vor allem Piep erscheint ihr höchst suspekt.
Es sind knapp 30 °C und ich suche eines der schattigen Hecken-Separees für unser Lager aus. Noch bevor ich das Zelt eingeräumt habe, ist Pieps zum Spielplatz verschwunden. Die sehe ich erst heute Abend wieder. Sowie es Abendessen gibt, wird sie aus dem Nichts angeflitzt kommen, dreckig, verschwitzt und völlig ausgehungert.
Am späten Nachmittag gehe ich noch einmal zur Rezeption. Ich will Brot vorbestellen für morgen früh und mir ein paar Flaschen kaltes Bier holen. Das Doriane blonde schmeckt richtig klasse, so fruchtig, hopfig und frisch. Die erste Flasche exe ich in fünf tiefen Zügen gleich vor der Rezeption.
Es ist erstaunlich, wie betrunken man von einer einzelnen Flasche Bier werden kann, wenn man in der Hitze den ganzen Tag gefahren ist und wenig getrunken hat. Tolle Wirkung für kleines Geld.
Gegen Abend fange ich an, das Essen vorzubereiten. Zuerst den Knoblauch. Eine frische Knoblauchzwiebel zu präparieren, ist eine ernste Angelegenheit. Nicht dass ich Expertin wäre, aber inzwischen habe ich es ein paarmal gemacht und es funktioniert ganz gut.
Es war ein trocken heißer Tag, aber als die Sonne am Abend hinter dem Berg verschwindet und das Camp im Schatten liegt, wird es innerhalb von Minuten angenehm kühl.
Pieps und ich verziehen uns in den warmen Schlafsack. Die kleine Maus hat ein Pixiebuch und ich lese Bruno, Chef de police weiter. Die Romane um den Kollegen aus dem Périgord sind nicht nur fesselnd geschrieben, sondern bieten auch tolle Küchentipps. Wenn ich zurück in Kiel bin, werde ich für Claudia das Omelette nachkochen, das Bruno für Isabelle macht. Aber jetzt will ich erstmal wissen, wer den alten Algerier ermordet hat und warum …
zum nächsten Tag...
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