In Okzitanien
Schlaftrunken stecke ich die Nase aus dem Zelt. Eine Montgolfière schwebt tief über dem Campingplatz die Dordogne entlang. Das harte Zischen des Gasbrenners hat mich aufgeweckt.
Ich bin kein Mensch, der zum Abschied hupt, im Grunde hasse ich das, aber diesmal mache ich es selbst. Mit Schwung fahre ich los und drücke dabei dreimal auf die Hupe: Wir kommen wieder!
Kurz darauf überqueren wir die Grenze nach Okzitanien. Der Name klingt noch immer neu und ungewohnt, weil er erst 2016 durch den Zusammenschluss von Languedoc-Roussillon und Midi-Pyrénées entstanden ist.
Souillac ist die einzige Stadt, durch die wir heute kommen. Hier will ich tanken und einkaufen. An der Tankstelle des E.Leclerc Hypermarche sind sämtliche Spuren belegt, an allen Säulen wird getankt, und auch der Parkplatz vorm Laden ist bis in die letzte Reihe voller Autos.
Hinterm Drehkreuz nehme ich mir einen Einkaufskorb vom Stapel und wandere den Hauptgang hinunter zur Fleischabteilung. Der Laden ist riesig. Ich hätte in der Campingabteilung ein Klapprad leihen sollen.
Wie in vielen französischen Supermärkten gibt es ein großes Angebot an fertig abgepacktem Fleisch und eine kleinere Bedientheke, wo man vom Boucher bedient wird und seine Wünsche äußern kann.
Ich würde gerne ein Cote de Boeuf probieren, ein Stück Rindfleisch, das wie ein Kotelett aussieht, aber die kleinste abgepackte Scheibe wiegt 1,1 kg und ist viel zu groß für die kleine Campingpfanne.
Ich gehe hinüber zum Bedientresen und vertraue mich dem Boucher an. Mit dem Finger deute ich auf einen Strang Basse Cote de Boeuf und zeige, welche Dicke ich mir vorstelle. Mit geschickten Bewegungen säbelt er eine gleichmäßige Scheibe Steak ab.
Ich habe Mühe alles zu verstauen, weil ich mich beim Kauf der Souvenirs in Beynac ein wenig von meiner Begeisterung habe davontragen lassen, aber mit Hilfe des Zeltsacks, der Gepäckgummis und der oberen Etage im Tankrucksack ist schließlich alles an Bord und wir fahren weiter.
Am Ortsrand von Autoire entdecke ich einen besonders schönen Platz. Er steht voll alter Nussbäume, die willkommenen Schatten bieten. Ich setze den Blinker und biege ein. Sämtliche Picknicktische sind besetzt. Leute unterhalten sich, essen, trinken und lachen, Flaschen werden geöffnet, Gläser klingen.
Die Butter wird allmählich weich. Ich setze den Deckel auf das Töpfchen, packe unsere Sachen zusammen und fange Pieps wieder ein: "Komm, wir fahren weiter, Mäuschen."
Ich stelle das Motorrad vor der Rezeption ab und gehe hinein. Dies ist einer der gefürchteten Plätze, die in keiner Weise auf nicht französisch sprechende Gäste eingestellt sind. Kein Wort Englisch, kein Wort irgendwas anderes als Französisch.
Selbstsicher zücke ich ein Kärtchen meines selbst gebastelten Sprachführers 'Französisch II für Motorradreisende mit Bratpfanne', es ist die mit dem Zeltsymbol, und sagen meinen Satz auf: "Je voudrai camper. Une petite tente, une moto et une madame. Une nuit, sil vous plaît."
Es ist alles etwas zäh, weil meine Aussprache fürchterlich ist und ich nicht gleich verstanden werde, aber es funktioniert. Doch dann werde ich übermütig und spreche den Satz, der Ereignisse in Gang setzt, die so niemand gewollt hat: "Je paye avec VISA", ich zahle mit VISA-Karte.
Ein Leuchten geht über das Gesicht der Rezeptionistin. Endlich ein realer Testfall für die neue Technik. Sie startet einen PC, der bisher unbeachtet in einer Ecke stand und der Monitor auf dem Tresen erwacht.
Vom Start des Betriebssystems bis zum erfolgreichen Connect des Card-Terminals vergeht ein Zeitraum, der sich anfühlt wie 14 Tage. Windows! Wie konnte sich dieses System so verbreiten? Ich verstehe es nicht.
Nach unendlichen Fehlversuchen bei der Einrichtung des Terminals und einem längeren Telefonat mit jemandem, der Jean Pierre heißt, stecke ich endlich die VISA-Karte ein, tippe die PIN und habe bezahlt. Die Dame hinterm Tresen ist glücklich. Ich bin genervt. Pieps ist verschwunden.
Ich nehme eines meiner Sprachkärtchen und schlendere hinüber zur Bar. Zeit, einen weiteren Satz am lebenden Objekt zu testen: "Une Verre de Vin rosé, s'il vous plait". Diesmal muss ich ihn zweimal sagen, aber dann funktioniert er und ich bekomme tatsächlich ein Glas Rosé dafür.
Die Frage, "springt sie endlich, oder springt sie nicht?", sah nie hoffnungsvoller aus als jetzt. Die Sonne scheint, das Wasser ist warm, es ist tief genug, doch nicht zu tief und der Bootssteg hat die perfekte Höhe.
Es herrschen optimale Bedingungen, bis bis zu dem Moment als Pieps die kleinen Fischlein unter sich im Wasser entdeckt. Nein, auch heute wird nicht gesprungen.
Eine Viertelstunde später ist es fertig und begräbt förmlich den kleinen Teller unter sich. Basse Côte de Bœuf ist ein naher Verwandter des Entrecôte. Die beiden sind Nachbarn im Rind.
Zum Nachtisch gibt es ein Stück Schokolade vom Chocolatier aus Sarlat. Dazu koche ich einen Kaffee.
Das war ein herrlicher Reisetag. Wir sind über verlassene Landstraßen gefahren, haben malerische Dörfer gesehen, ein Picknick gemacht, famos zu Abend gegessen, ich habe Wein getrunken und um Haaresbreite hätte die Welt Pieps ersten Köpper erlebt. Hat sie aber nicht.
Jetzt mache ich den Abwasch und dann möchte ich noch etwas lesen.
Morgen fahren wir weiter.
zum nächsten Tag...
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