In der Provence
Ein anderer Morgen, derselbe Ort. Ich sitze im Café Le National in Villefort, schreibe Tagebuch und esse nebenher ein Croissant. Um mich herum ein Gewirr aus Stimmen. Geschirr klappert. Das Radio hinter der Bar singt einen Chanson von der Liebe, aus dem Fernseher an der Wand plärren die Nachrichten und über allem das mächtige Fauchen der Espressomaschine.
Es ist schon kurz nach neun, als ich endlich in Villefort losfahre. Wir haben bloß 170 km vor uns und heute Abend zelten wir schon in der Provence.
Am Stadtrand von Alès entdecke ich ein riesenhaftes blaues L im Kreis. Ein Hypermarche von E.Leclerc. Mehr Konsum, mehr Lebensmittel und mehr Alles ist kaum möglich.
Auf dem Weg zur Kasse besorge ich die passende Flasche Rotwein dazu, Languedoc la Gravette. Ich habe zwar keine Ahnung, aber das Etikett ist hübsch gezeichnet und der Preis passt in mein Budget.
Bei Tarascon fahre ich auf einer Brücke über die Rhone. Hier endet Okzitanien. Wir sind in der Provence. Das Wetter ist so norddeutsch, wie in an jedem beliebigen Apriltag in Kiel.
In St-Rémy-de-Provence sehe ich einen ALDI-Markt. ALDI in Frankreich? Das will ich sehen. Ich parke das Motorrad unter dem blauen A und gehe hinein.
Trotz meiner 57 Jahre traue ich mich noch immer nicht, ein Geschäft zu verlassen, ohne etwas zu kaufen. Außer in Dänemark. Dort sagt man im Rausgehen lässig: "Tak for ingenting", danke für nichts, und das ist keine Unverschämtheit, sondern eine Höflichkeit. Ich liebe das. Es hat mir so manche Krone gespart.
Der Regen hat aufgehört. Jetzt gießt es. Der letzte Teil der Strecke ist öde: Dichter Verkehr, unzählige Kreisverkehre und ewig lange, schnurgerade Verbindungsetappen. Die Provence wird mächtig zulegen müssen, um mein Herz zu erobern.
Schließlich erreichen wir Orgon in der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur. Wie schön das klingt, auch wenn das Wetter noch nicht dazu passt, doch wir sind gekommen, um zu bleiben: Die nächsten beiden Tage verbringen wir im Camping La Vallée Heureuse. Google übersetzt es hartnäckig mit Camp Happy Valley.
Während es mir in den Nacken regnet und meine Haare erst feucht und dann nass werden, stelle ich das Zelt auf. Bis zu meiner Abreise aus Kiel waren hier wochenlang um die 30 °C. Die Erde ist steinig und verbrannt. Es gibt kaum einen Grashalm, aber damit hatte ich gerechnet.
Als das Zelt endlich steht und von innen so weit trocken gewischt ist, dass man es fertig einrichten mag, ist meine Laune am Tiefpunkt angelangt. Wie ich es hasse, dass mir jeder schöne Urlaub vom Regen versaut wird. Wenn ich 16 °C und Dauerregen will, dann kann ich auch in Kiel bleiben, oder nach Schweden fahren.
Natürlich ist es nicht jeder Urlaub, und ausgerechnet auf Island hatte ich sogar super Wetter, aber ich bin nicht in der Stimmung für Gerechtigkeit. Ich bin stinkig.
Ich stiefele hinunter in die Rezeption. Beim Einchecken hatte ich gesehen, dass sie auch eine Bar haben. Möge sie geöffnet und der Wein billig sein. Mir ist nach etwas Trost.
"Is the Provence always like this in June?"
"Never! Not once before."
Ich ahne natürlich, woran der Wettereinbruch liegt, bin aber klug genug, meinen Mund zu halten. Stattdessen sage ich: "I would like another glas of white wine, please. Alcohol helps."
Das nette Mädchen im türkisen Hoody schenkt mein Glas wieder voll und lässt die halbleere Flasche auf dem Tisch stehen: "It's on the house."
Seit dem Croissant morgens in Villefort habe ich den ganzen Tag nichts gegessen. Es wird Zeit fürs Abendessen. Es regnet ohne Unterlass und so müssen wir bei geschlossenem Zelt braten. Das ist immer ein bisschen Schweinkram, weil das Bratenfett aus der Pfanne fröhlich gegen die Wände spritzt, aber dafür riecht das Zelt gut und ist bestens imprägniert.
Ich gieße einen großzügigen Schluck Olivenöl in die Pfanne und stelle den Brenner auf die höchste Stufe. Es zischt, als ich die große Scheibe Entrecôte ins heiße Fett gleiten lasse. In meinem Moleskine wird später stehen: "Das beste E. der Reise bisher, bisschen schwarz aber lecker."
Mit dem letzten Bissen der Lammkoteletts lasse ich mich erschöpft - und vielleicht auch ein wenig angetrunken - nach hinten aufs Bett sinken. Ein leichter Regen prasselt unermüdlich aufs Zelt. Pieps schlummert bereits selig in meiner Armbeuge und im Nu bin auch ich fest eingeschlafen.
Meine Güte, schon 19 Uhr. Wir haben über eine Stunde geschlafen. Ich erledige schnell den Abwasch und dann ist es Zeit für die Käseplatte.
Ein unglaublicher ... Duft? erfüllt das Zelt, als ich die Packung öffne. Was für Stinker. Jeder schmeckt auf seine Weise cremig und intensiv mit einem Geschmack an der Grenze zu "kann der weg?", aber zugleich die besten Käse, die ich je gegessen habe.
Morgen erwartet uns ein besonderes Highlight, auf das ich mich seit Jahren freue, die Carrières de Lumières. "You should go early. Before 9.30. Otherwise you wait. It's overcrowded. Lots of tourists", hatte das Mädchen im türkisen Hoddy mich gewarnt.
Gegen Abend werfe ich einen letzten Blick auf mein Handy. Selbst mein Nokia 3310 hat eine einfache Wetter-App. Ich rufe meine Favoriten auf:
Orgon, France, 14° rain
Seyðisfjörður, Iceland, 17° sunny
Ich bin etwas pupig.
zum nächsten Tag...
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