Tag 5 - Möðrudalur
Heute hat sich der Preis fürs Frühstück nicht gelohnt. Ich bin zu aufgeregt und selbst die sonst so phlegmatischen Busreiserentner sind wie auf Speed und rennen jeden um, der zwischen Kaffeeautomat, Rührei und Pancakes im Weg steht. Dann stopfe ich mich eben ohne Genuss voll. Der Plan bleibt derselbe: Möglichst lange satt zu sein, weil ich keine Ahnung habe, wann es das nächste Mal etwas gibt.
Es wird Zeit die Kabine zu räumen. Mit einem letzten prüfenden Blick ziehe ich die schmale Tür hinter mir zu und versuche mich zu erinnern, wo ich vor zwei Tagen reingekommen bin. Welches der vielen Treppenhäuser führt zu den Motorrädern und auf welchem Deck hinter welcher der vielen Türen steht meine Honda?Keine Fähre wird so dicht gepackt wie die Norröna und es dauert eine kleine Ewigkeit, bis sich das Chaos aus Geländewagen, Autos, Wohnmobilen und Motorrädern soweit entwirrt, dass ich endlich einen Gang einlegen kann. Einige Biker machen unserer Zunft Ehre und indem sie selbst auf den kurzen Geraden unter Deck heldenhaft überholen. Ich kann sie nicht genug preisen: Ohne mutige Männer wie sie, wäre unser Nimbus als hirnlose Idioten schnell dahin.
Auf dem Kai wartet der Zoll in Gestalt eines stattlichen jungen Mannes mit Vollbart. In seiner dunkelblauen Uniform starrt er den Neuankömmlingen finster entgegen. Allein sein Blick ersetzt zwei Drogenhunde, ein düsteres Vernehmungszimmer und ein halbes Dutzend dieser alten Geständnisleuchten, die wir noch im Keller haben, die man heute aber nicht mehr einsetzen darf.
Im Schritttempo rolle ich auf die Kontrollstelle zu, aber er winkt mich mit ernster Miene durch. Kein Stopp, keine Kontrolle, nichts. Ich musste nicht einmal meinen Ausweis zeigen.
Seyðisfjörður ist ein Ameisenhaufen: 800 Fahrzeuge rollen an Land und ebenso viele warten darauf, endlich an Bord zu dürfen. Die Tankstelle im Dorf ist im Nu overcrowded und vor dem Geldautomaten hat sich bereits eine Schlange gebildet. Jeder will sich zu Beginn der Reise mit isländischem Geld eindecken.
Jeder? Nein! Eine unbeugsame Maus und ihre wackere Svenja haben einen besseren Plan. Schon vor Monaten habe ich einen Geldautomaten ausgesucht, der einsam in einer Seitenstraße im nächsten Ort auf uns wartet, in Egilsstaðir.
Ohne noch einmal anzuhalten lasse ich die Norröna hinter mir zurück. Die Straße windet sich hinauf zur Fjarðarheiði. Dieses Wort muss man sich merken, denn Heiði ist das Gleiche wie ein Fjell in Norwegen, eine Hochebene. Wenn man das liest, geht es steil nach oben und es wird kalt.
Es nieselt, aber das nehme ich kaum wahr: Endlich sind wir in Island. Mögen die Abenteuer beginnen!
Der Geldautomat in Egilsstaðir ist genau so, wie er sein soll: Glänzend neu und ganz allein. Dieses Biest wartet nur darauf, mir ein fettes Bündel Isländischer Kronen aus der Wand reichen zu dürfen.
Ich steige aufs Motorrad und tuckere hinüber zu NETTO. Zu Hause würde ich da im Leben nicht einkaufen, aber hier ist es einer von nur zwei Läden und der andere hat zu.
In einer anderen Truhe liegt Lamm in Marinade aber die kleinste gehandelte Einheit ist das Kilo. Erst nach emsiger Suche ziehe ich von ganz unten eine mickerige 628 g Packung hervor. Dazu kaufe ich ein Brötchen, um später das Pfannenfett aufzusaugen.
Ich klemme das Fleischpaket unter die Gepäckgummis und ziehe das Regenzeug an. Selten hat mir Wetter weniger ausgemacht. Innerlich bin ich auf drei Wochen Regen, Kälte und Wind eingestellt. Ich rechne schlicht mit nichts anderem. Jeden Sonnenstrahl und jede trockene Minute werde ich dafür umso mehr feiern.
Die ersten Kilometer hinter Egilsstaðir fahre ich auf der Ringstraße. Auch mit 90 km/h geht es zügig voran, weil es keine Ortsdurchfahrten, keine Ampeln, keine Kreuzungen und schon gar keine Bahnübergänge gibt.
Die Eisenbahn muss auf Island erst noch erfunden werden.
Die erste Sehenswürdigkeit auf Island - wenn man die Lämmertruhe bei NETTO mal außen vor lässt - ist der Museumshof Sænautasel. Im Reiseführer ist die Rede von Kaffee und Pfannkuchen.
Der Hof liegt auf der anderen Seite eines Flusses. Zuerst kann ich überhaupt kein richtiges Haus erkennen, bis ich den grasbewachsenen Erdwall genauer ansehe: Ein Torfhaus! Dicke, solide Seitenwände aus Torf und mit Gras bewachsene Dächer.
Der Eingang ist so niedrig, dass ich mich bücken muss. Der Raum dahinter liegt im Halbdunkel. Ein Langhaus, ein schmaler Tisch durch die gesamte Länge des Raums. Und Wärme, wohlige wunderbare Wärme. Ein Hund kommt auf mich zu und begrüßt mich freundlich. Ein Australian Shepherd. Ich streichele seinen Kopf. Er ist warm und weich.
Am Tisch sitzen bereits einige Gäste. Ich nicke freundlich in die Runde und setze mich an den nächsten freien Platz. Auf der Bank liegen Decken und Felle. Der Kontrast zu der nassen Kälte draußen könnte nicht größer sein. Die dicken Torfwände, der Ofen, die Wärme, der Hund, die Felle. Es ist gemütlicher, als in Ragnars Langhaus bei Vikings.
"You want Pancakes?"
"Yes. Sure."
"Coffee or Chocolate?"
"Pancakes and Chocolate, please."
Er nickt mit ernstem Blick, dreht sich um und verschwindet durch eine schmale Tür. Dort hinten muss die Küche sein, oder was immer es in Torfhäusern so gibt.
In Steintöpfen sind verschiedene Marmeladen und es gibt eine Schüssel steif geschlagener Sahne. Die Pancakes sind warm, dick und ein bisschen angebrannt, aber sie schmecken köstlich.
Der Hund hat seinen Kopf neben mir auf das Schaffell gelegt, während ich abwesend seine Ohren kraule und in ein angeregtes Gespräch mit meinen Tischnachbarn vertieft bin. Der gesamte Raum brummt und ist auf wunderbare Weise überheizt.
Es gibt keine Speisekarte und ich habe keine Ahnung, wieviele Pancakes Pieps und mir zustehen, oder wie viele Tassen Kakao, aber als der Junge immer wieder nachbringt und nichts jemals zu Ende geht, wird deutlich, dass dies ein Pancakes & Chocolat All-you-can-eat ist.
Irgendwann kann ich keinen einzigen Schluck Kakao und keinen Bissen Pfannkuchen mehr runterkriegen und es wird Zeit aufzubrechen. Ich zahle 2500 Kronen, was etwa 20 € sind, und verabschiede mich herzlich.
Als ich durch die niedrige Tür ins Freie trete, hat der Regen aufgehört und ich starte ohne Regensachen. Die Kälte macht mir nichts aus.
Die Piste führt über eine Kuppe und plötzlich öffnet sich der Blick in die Ferne. Welch eine Landschaft. Die Firma, die zu Anbeginn der Zeit das Terraforming auf Luna erledigt hat, hat wohl auch den Auftrag für Island ergattert, jedenfalls sieht es hier genauso aus.
Der Wind ist so stark, dass ich im Stand Mühe habe, das Motorrad zu halten. Die Piste wird weicher und die Enduro schwimmt auf dem losen Untergrund. Vor mir fährt ein Grader, der den Weg ebnet und die Oberfläche weich macht. Mit einem beherzten Gasstoß überhole ich das gelbe 6-Rad-Monster und heize mit 70 Sachen daran vorbei.
Die Wände des Torfhauses sind fast einen Meter dick. Das Dach ist mit Gras bewachsen. Ich stoße die niedrige Tür auf und trete ein.
"Do you want Breakfast in the Morning?"
"Yes, please."
"It is served from seven to ten in here."
Die Übernachtung ist mit 10 € unerwartet günstig. Mein Lager baue ich im Schutz einer kniehohen Torfmauer auf. Ich beeile mich, denn über der Kirche ziehen dunkle Wolken auf.
Das liebe ich so in nördlichen Ländern: Sie heizen! Der Raum ist auf diese typisch nordische Weise überheizt. Ich hänge die Jacke über einen Stuhl und gehe mit Pieps zum Tresen. Ich bin noch satt, aber gerade jetzt wird von hinten aus der Küche eine Schale frischer Quarkbällchen gebracht und ich möchte nicht unhöflich sein: "One of these and Coffee, please."
Das Kaffee ist besucht, aber nicht überfüllt. Wärme, Stimmengewirr und Geschirrklappern, Regen läuft die Fenster runter und aus der Küche duftet es nach Zimt. Ich schreibe Tagebuch und nippe nebenher an dem heißen Kaffee.
Eine wunderbare Stimmung. Bis, ja bis draußen ein Reisebus vorfährt und das Café im Nu mit Dutzenden dieser Busreisetypen flutet. Das Café ist zu klein und so stehen sie in der offenen Tür, halb drinnen, halb draußen, und recken die Hälse, während die Wärme nach draußen entfleucht. Die ersten Teelichter wehen aus und es wird kühl im Raum. Ein Teil der Herde stellt sich in Kolonne vor dem einzigen Klo an. Hinterher möchte da keiner mehr wohnen.
Menschen in Gruppen verhalten sich eigenartig. Sie geben einen Teil der Verantwortung ab und benehmen sich so, wie sie es alleine nicht tun würden. Wir Motorradfahrer sind das beste Beispiel dafür. Insgesamt sind Leute mir überhaupt in hohem Maße suspekt und ich meide sie, wann immer es geht.
Der Regen hat nachgelassen. Ich frage am Tresen, ob ich mein Motorrad tanken darf. Ja, kein Problem. Es ist genug Benzin da. Ich soll vor den Schuppen fahren und warten.
Das Camp in Möðrudalur hat die coolste Tankstelle, an der ich je getankt habe: Die Fässer für Benzin und Diesel stehen in einem Torfhaus. Der Tankschlauch wird durch die Schuppentür nach draußen gezogen.
Ich frage den Mann am Fass nach dem Weg zur Askja. Soweit ich weiß, sind zwei Flüsse zu durchqueren: "The Road to Askja. Is it possible?"
Er sieht die Honda an, betrachtet die Reifen, das Gepäck, die Bodenfreiheit: "Yes", antwortet er bedächtig. "I think you can do it. Water is around 50 cm deep."
Er hätte etwas mehr Enthusiasmus in sein Yes legen dürfen und weniger zweifelnd gucken, aber für den Moment reicht mir seine Antwort. Morgen fahren wir zur Askja, Pieps und ich.
Auf dem Weg zum Zelt sitzt ein flauschig braunes Fellknäuel. Ein junger Polarfuchs. Im Winter wird sein Fell schneeweiß sein, aber jetzt sieht er aus wie ein zu heiß gewaschener Pudel mit Heimweh.
Die Kinder toben über den Platz und jagen dem Ball hinterher mit einer Begeisterung, die auch einer gewissen anderen Mannschaft gut zu Gesicht gestanden hätte. Dabei sind es bloß 7°C, es regnet und ein schneidender Wind fegt über den Platz. Die Mütter stehen lässig am Rand, unterhalten sich, scherzen und lassen sich nassregnen. Isländer sind einfach härter.
Allmählich wird es Zeit für ein richtiges Essen. Nach all den Süßigkeiten brauche ich endlich etwas Herzhaftes. Pieps brauche ich nicht zu fragen, ob sie schon hungrig ist. Das wäre so wie den Papst zu fragen, ob er katholisch ist.
Gegen Abend verziehen sich die Wolken und lassen einen klaren blauen Himmel zurück. Es wird rasch kälter und wir beide gehen in die Heia.
Gute Nacht, lieber Leser.
zum nächsten Tag...
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Morgen fahren wir tiefer ins Hochland hinein. Die ersten Flüsse warten und ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, ich hätte keine Angst...