Zurück nach Pingvellir
War es ein Fehler, in die Westfjorde zu fahren? Die An- und Abreise haben vier Tage gekostet. Nein, das war kein Fehler. Allein die Seegurke und die F66 waren es wert. Allerdings bin ich Tag 2 der Rückreise noch schuldig. Heute geht es zurück nach Pingvellir, wo ich vor vier Tagen in die Westfjorde aufgebrochen bin.
Doch zuerst wartet ein Frühstück auf uns. Es ist ungewohnt, die Füße aus dem Bett zu schwingen und auf Teppichboden ins Bad zu schreiten, statt unter freiem Himmel durch taunasses Gras zum Waschhaus.Ohne zu ahnen, dass der Teller eine One-Time Offer ist und nicht nachgefüllt wird, nehme ich vier der fünf Minicroissants für Pieps und mich. Bleibt einer für die übrigen Gäste. "Rücksichtslos, wie eine Spanierin", denke ich. Auch das ist Island. Selbst Schuld, wer lange schläft und erst nach Pieps und mir am Buffet erscheint. Das ist immer ein Fehler.
Die Regel lautet übrigens: Wenn du eins überfährst, muss du es bezahlen. Das weiß ich aus erster Hand von Claudia, auch wenn sie nicht selbst am Steuer saß. Das Gute ist: Danach gehört es dir. Du darfst es behalten und aufessen. Doof nur, wenn du keine Ahnung hast, wie man ein Schaf schlachtet. Oder Vegetarier bist.
Das Ganze scheint mir reichlich kompliziert zu sein und ich halte es wie alle anderen: Wenn Schafe am Straßenrand stehen, fahre ich vorsichtig und bremsbereit an ihnen vorbei.
Mein erster Halt ist die Tankstelle am Ortsrand, wobei man sich unter Tankstelle hier etwas ganz anderes vorstellen muss, als die große SHELL Station in Kiel, wo Tag und Nacht Betrieb ist und mehr Zigaretten, Schnaps und Pornohefte verkauft werden, als Sprit, wo Pakete abgeholt und Autos betankt werden. Die Tankstelle in Borgarnes ist lediglich ein viel zu großer, asphaltierter Platz mit zwei Automatentanksäulen.
Pieps wünscht sich zum Abendessen "Hemmbörger" und wir gehen auf die Suche nach den Elementen für vier fette Monsterburger. Schon bald liegen sämtliche Zutaten im Korb. Nur auf Brötchen verzichten wir. Und auf Käse, Gurken, Salat, Röstzwiebeln und Saucen.
Zum Nachtisch kaufen wir eine Tafel Nougatschokolade von Rapunzel. Eine BioMarke, aber in Island kann man nicht wählerisch sein und bio muss nicht zwangsläufig miese Qualität bedeuten.
Auf einer roten, üppig gepolsterten Couch sitzen ein Mann und eine Frau, beides urige Typen mit langen Haaren. Sie begrüßen mich mit herzlichen Worten und einem freundlichen Lächeln. Woher? Wohin? Ich soll mich erst einmal aufwärmen. Nach einer kurzen Unterhaltung vertieft sie sich wieder in ein zerlesenes Buch und er zieht seine Stiefel an und geht hinaus zu den Schafen.
Wenn man in Kiel einen kernigen Typen mit Vollbart, langen Haare und Holzfällerhemd sieht, dann ist es meist bloß ein Lavendel Tarzan, der seinen Latte mit Sojamilch trinkt. Auf Island dagegen ist er genau das: Ein kerniger Typ.
"Do you want Soup?", fragt eine zweite Frau, die ich nicht bemerkt hatte.
Is the Pope a Catholic? Aber laut sage ich: "Yes, please. And Coffee."
Sie kommt nach kurzer Zeit zurück und stellt einen Brotkorb, eine Flasche und ein Glas vor mich hin. Wenn ich noch unterwegs in Litauen wäre, würde ich es für Vodka halten, aber hier ist es frisches Quellwasser.
Das Brot und die Suppe sind der Hammer. Das Brot kommt frisch aus dem Ofen. Es ist fast zu warm, um es mit der Butter zu bestreichen. Dazu eine dicke Gemüsesuppe mit unendlich vielen verschiedenen Gewürzen. Sie wärmt mich von innen durch, bis mir nicht mehr kalt ist und ich auch die Fleecejacke ausziehe.
Plötzlich vibriert mein Handy. Claudia. Ich merke sofort ihre Aufregung. Sie berichtet, dass die 1 geschlossen wurde. Sie haben die Ringstraße dicht gemacht. Der Bardarbunga, einer der großen Vulkane an der Südküste beginnt vorzuheizen und hat über Nacht ein paar Millionen Kubikmeter Schnee und Eis abgeschmolzen. Die Ringstraße ist komplett überflutet. Laut Zeitung gibt es - noch - eine funktionierende Umleitung.
Die Sperrung betrifft mich heute noch nicht, aber sie liegt zwischen mir und dem Fährhafen zurück nach Dänemark. Falls auch die Umleitung geflutet wird, müsste ich einmal außen um die Insel herumfahren.
Ich ärgere mich über mich selbst: Ständig klugshice ich, dass man eine Islandreise mit dem Uhrzeigersinn plant. Der Grund? Weil es immer wieder geschieht, dass einzelne Brücken, oder ganze Straßenabschnitte komplett ins Meer gespült werden und das vorzugsweise an der Südküste, wo zwischen den Vulkanen und dem Atlantik nur ein schmaler Streifen Land bleibt, auf dem die 1 verläuft.
Wer dann einen Termin mit der Norröna hat, kommt schön ins Schwitzen. Aber natürlich gilt sowas nicht für mich: "Doch nicht für Svenja Svendura!" Wie dämlich kann man sein? Wie ein Lungenfacharzt, der selber raucht. Dabei hat dieser Ausbruch sich seit Monaten angekündigt.
Das Problem mit der Unterwasserringstraße stellt sich aber erst in ein paar Tagen. Noch haben wir neun Tage auf der Insel, bevor es zurück an Bord geht. Bis dahin haben die Isländer Zeit genug, um zu tun, was eben getan werden muss, um so einen Vulkan zu bändigen und in seine Schranken zu weisen. Das kann nicht mein Problem sein, ich habe schließlich gebucht. Sollen sie doch die Ranger schicken!
Das Diner ist proppenvoll. Ein Reisebus mit Amerikanern, ein paar Einzelreisende mit Wohnmobilen und zwei Beamte der Lögreglan, wie die Polizei Islands heißt, was natürlich jeder weiß, der Trapped - Gefangen in Island gesehen hat.
Ich habe noch keine Lust auf mein Zelt und besetze den letzten freien Tisch im Diner. Pieps bekommt einen Kuchenkringel und ich gönne mir einen weiteren Becher Kaffee. Ich kaufe eine Handvoll Postkarten und beginne zu schreiben. Das Wetter ist danach, am Fenster zu sitzen, raus in den Regen zu gucken und an die Lieben daheim zu schreiben.
Gegen Abend wird es Zeit für unser Projekt ´McDonald’s in a Tent´. Die Burger gelingen auf Anhieb und schmecken dabei ganz ausgezeichnet. Ehrlich gesagt hatte ich mir das schwieriger vorgestellt.
zum nächsten Tag...
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Im Grunde war heute nichts Besonderes, und doch war es ein schöner Reisetag. Wenn ich warm und wasserdicht eingepackt auf meiner Maschine sitze und durch die einsame Landschaft fahre, dann erfasst mich jedesmal eine tiefe innere Zufriedenheit. So war es auch heute.