Heimreise
Wie ich Zelten hasse! Auch wenn ich sonst nicht müde werde, das Gegenteil zu behaupten, heute Morgen hasse ich es, und zwar alles daran: Den Dreck, die Nässe, den Matsch, die Pfützen, den Regen und die Nähe der vielen fremden Menschen.
Island hat mir das Zelten verleidet. Nicht das Wetter, das war besser, als auf vielen meiner Reisen, nein, es waren die vielen hyperaktiven Touristen der Generation Instagram. Campen an der Ringstraße ist wie Zelten auf dem Kamener Kreuz.
Ob ich einmal einen Guesthouse Urlaub probiere? Wie würde das meine Art zu reisen verändern? Ist das überhaupt was für mich? Was fällt weg, was ist zu gewinnen?
Ich setze eine schlummernde Maus liebevoll in ihren Tankrucksack und rolle vom Hof. Für die Fähre ist es noch zu früh, aber das Hotel Aldan im Dorf öffnet gerade, als ich davor einparke. Helm und Regensachen lasse ich auf dem Motorrad und gehe rein.
"It´s 2000 Crones and everything is free except from the Espresso Machine. But there is Filter Coffee as well. Just help yourself."
Der junge Isländer, dem der Laden wohl gehört, trägt einen Zopf nach Art der Wikinger. Ein finsterer Bursche, doch seine herzliche Art straft den archaischen Look Lügen. Er ist sichtlich stolz auf sein schönes Café.
Ich hänge die Jacke über einen Stuhl und schlendere ans Buffet. Es sieht perfekt aus. Unter einem Küchenhandtuch ruht ein frisch gebackenes Brot. Alles ist mit viel Liebe angerichtet.
Als partout kein Bissen mehr reingeht, ziehe ich meine Jacke an und verabschiede mich: "Yours was the nicest Café of all", sage ich dem Wikinger zum Abschied. Er freut sich über das Kompliment.
Donnerstags herrscht Ausnahmezustand in Seyðisfjörður. Die Straße Bjólfsgata wurde als Aufstellplatz requiriert. Ein alter VW Bus mit offener Schiebetür dient als Abfertigungsschalter. Ein Typ mit Vollbart macht daraus das Check-In: "Good Morning. Are you the Reception?"
"Yes, I am", lacht er mich freundlich an und überreicht mir den Kabinenschlüssel. Ich sehe auf die Karte: 8029. Dieselbe Kabine, wie auf der Hinfahrt. Hoffentlich hat da inzwischen einer saubergemacht.
Endlich hebt der Einweiser die Hand und gibt das Zeichen, dass wir an Bord dürfen. Ich lege den Gang ein und rolle in der Kolonne der anderen Motorräder über die stählerne Rampe an Bord.
Einen Moment lang bleibe ich regungslos in der offenen Tür stehen und lasse den Anblick auf mich wirken. Die frische Bettwäsche, die weißen Frotteehandtücher, die Abgeschiedenheit von allen Menschen, der Luxus. Es ist zum Niederknien.
Mit einem Jubelschrei und einer Arschbombe aufs Kopfkissen weiht Pieps das Bett ein und der Moment ist vergangen. Ich freu mich auf die Seefahrt, die Tage an Bord, das tolle Essen, die aufmerksame Bedienung, auf das ganze Komfortpaket.
"It´s Table nineteen. You have it for ninety Minutes. Please enjoy yourself", winkt mich die hübsche junge Bedienung durch zu meinem Tisch.
Fast hatte ich vergessen, wie umwerfend reichhaltig und gut das Dinnerbuffet an Bord der Norröna ist. Eine opulente Zurschaustellung völliger Dekadenz. Es gibt die leckersten Sachen und von allem zu viel.
Pieps und ich wissen, was wir wollen und gehen zielstrebig zu dem Koch mit der hohen weißen Mütze, der an seiner Station damit beschäftigt ist, frische Braten für die Gäste aufzuschneiden. Wir nehmen zwei Scheiben Rinderbraten, zwei Scheiben Lamm und zwei Scheiben wunderbar fetten Schweinekrustenbraten. Um nicht unverschämt zu wirken, lege ich einen Löffel Grillgemüse als Beilage dazu.
Die Färöer Inseln
Mitten in der Nacht. Irgend etwas hat mich aufgeweckt. Unruhe draußen auf dem Gang. Türen schlagen. Entweder sinken wir, oder sind schon bei den Färöer Inseln und legen gerade an.
Schlaftrunken steige ich in die Motorradhose und schlüpfe in die grünen Gummistiefel. Im Vorbeigehen nehme ich die Jacke vom Haken und trete neugierig raus auf den Gang. Es ist keine Menschseele zu sehen.Nächster Tag
An Schlaf ist für den Rest der Nacht kaum zu denken. Hinter den Färöern kommt etwas Seegang auf und ich rutsche auf dem glatten Bettlaken hin und her. Ein Königreich für eines dieser rauen Frotteelaken, wie ich sie zuhause habe. Frottee? Ich lege das große weiße Duschhandtuch auf die Matratze und falle kurz darauf in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Den Tag verbringe ich damit, mich abwechselnd in jeden Lounge Sessel zu setzen, zu lesen, einen Kaffee an der Bar zu trinken, Marzipan zu kaufen, beim Bingo zuzusehen, zu schreiben und zu faulenzen. Mir ist langweilig und ich koste jede Minute dieses wunderbaren Müßiggangs aus. In der Langeweile liegt die wahre Erholung.
Highlight eines jeden Tages auf See ist das Dinner Buffet. Dabei ist es interessant zu beobachten, wie Menschen auf Seereise mehr und mehr den Anstand verlieren. Männer in Turnhosen und Flipflops, alte Herren mit albernen Mottoshirts "Bier formte diesen wunderschönen Körper". Ein junger Mann liegt breitbeinig in einem Sessel, die Füße auf dem Tisch. Everything goes. Man hat schließlich gebucht.
Zur selben Zeit eine Crew aus Köchen, Kellnern und Bedienungen, die wie aus dem Ei gepellt und ohne eine Miene zu verziehen, die "Gäste" bedient.
Man müsste das einmal umkehren. Vielleicht kann ich das mit der Crew arrangieren. Nur einen Abend lang. Wenn die Proleten zum Dinner Buffet erscheinen, tritt die Crew als Familie Flodder in Flip Flops auf. Der Koch, sonst in blütenweißer Uniform, in einem Shirt "Sorry Girls. Schon vergeben", die sonst so elegante Kellnerin in einem Schlabbershirt mit Birkenstocks, und der Empfangschef fläzt breitbeinig an seinem Platz, die Füße auf dem Tisch und fertigt die Gäste - ohne Lächeln - lapidar mit der Ansage ab: "Table 42. 90 Minutes max." Das wäre wirklich witzig. Doch ob überhaupt alle den Unterschied bemerken würden?
Auf jeden Fall bin ich in schwarzer Motorradhose und einem schwarzen, eng anliegenden Shirt nicht der am schlechtesten angezogene Mensch. Und dann wäre da noch Haltung, doch leider machen die Gummistiefel meine Aura adeliger Eleganz wieder zunichte.
Schade.
Wir legen an
Als ich am nächsten Morgen das Schott zum Sonnendeck aufstoße, bereite ich mich innerlich auf den kalten Wind vor, der die ganze Nacht für Seegang gesorgt hat, aber stattdessen ist es angenehm mild. Obwohl mir nach dieser Reise vermutlich jedes Wetter noch eine Weile als angenehm mild erscheinen wird.
An der Rezeption frage ich nach dem Wetter für die Ankunft in Hirtshals."It should be fine", antwortet ein junger Offiziersanwärter der Handelsmarine in blütenweißer Uniform. Er ist offensichtlich kein Biker, aber das wird erst in ein paar Stunden deutlich.
Gegen Mittag legen wir in Dänemark an. Ich werde noch ein paar Stunden fahren und dann irgendwo mein Zelt aufschlagen. Morgen sind wir wieder zuhause, Pieps und ich. Es wird auch dringend Zeit, denn das defekte Lenkkopflager macht sich mit jedem Kilometer stärker bemerkbar.
Die Norröna ist das einzige Fährschiff nach Island. In der Saison ist sie ständig bis auf den letzten Platz ausgebucht. Die Fahrzeuge im Cardeck sind aufgestellt wie ein Logikrätsel für Physiker über die Verteilung unregelmäßiger Körper auf einer unregelmäßigen Fläche in X Ebenen. Wie durch ein Labyrinth suche ich den Weg zu meiner Enduro und muss mehr als einmal umkehren, weil Fahrzeuge press aneinander stehen.
Nach Hause
Am nächsten Morgen bin ich schon früh auf der Landstraße. Ich will endlich nach Hause, zu meiner Claudia, meinem Bett, meinem Kühlschrank und meiner Badewanne. Pieps vermisst ihr Spielzeug.
zum nächsten Tag...
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Mein Plan war es, den letzten Reisetag mit einem Fazit zu beenden, aber das schaffe ich heute nicht mehr. Nie war es so schwierig, ein faires Resümee einer Reise zu formulieren. Gebt mir Zeit bis nächsten Sonntag. Schon jetzt bin ich gespannt auf eure Gedanken dazu.