Tag 4 - Die Färöer
Das Meer ist unruhig heute Morgen. Nicht dramatisch, aber es schaukelt so, dass ich nicht mehr geradeaus gehen kann. Ungefähr wie nach einer Flasche Blanchet. Ein Schluck mehr und ich müsste mich festhalten. Während wir beim Frühstück sitzen, werden draußen vorm Fenster die Shetlands vorbeigezogen.
Im Grunde will ich nur zwei Brötchen mit Butter essen und sehr viel Kaffee dazu trinken. Der Koch von gestern, "You are welcome back", backt Pancakes im Akkord. Die Gäste reißen sie ihm aus den Händen. Pfannkuchen kann ich leicht widerstehen, aber wie kommt man ungeschoren an einer Wanne voller Knusperspeck vorbei? Oder an einem ganzen gepökelten Schweinebauch? Oder an dieser Leberpastete mit Kräutern obendrauf, die wie eine Torte geschnitten ist und die man auch genauso essen kann?
Ich muss dringend an meiner Impulskontrolle arbeiten, denke ich, als ich den dritten vollen Teller an unseren Tisch balanciere.
Die Mahlzeiten an Bord lohnen sich. Ja, sie kosten, man muss ein wenig Geld in die Hand nehmen und vielleicht isst man nicht alles ab, aber allein die Auswahl und das Erlebnis, an diesem tollen Buffet teilzuhaben, sind jeden Cent wert. Es geht dabei nicht nur um Nahrungsaufnahme, sondern auch um Zeitvertreib, um Unterhaltung und auch ein wenig Luxus.
Ich rette Pieps, bevor sie vollends in der Wanne mit Mousse au Chocolat verschwindet ‐ nicht ohne Protest, wie ich hinzufügen möchte ‐ und gehe mit ihr an Deck. Die Shetlandinseln ziehen ganz nah an Backbord vorbei, wie links auf Schiffen gern genannt wird, selbst von Landratten wie mir, wenn sie angeben wollen.
Es sind die Billigflieger, die am Niedergang der Schiffe Schuld sind. Man fliegt heute für 29 € "Last Minute" nach Sonstwohin, mietet sich da einen Toyota Aygo und steht nach fünf Tagen wieder am Flughafen. Nein, das ist nicht 'The Svenja-and-Pieps-Way'. Wir mögen das nicht.
Wir lieben Schiffe und die Möglichkeiten, die sie uns eröffnen: Von Kiel starten jeden Tag majestätische Fähren nach Klaipeda, Göteborg und Oslo. Die warten nur darauf, dass Svenja und Pieps mit ihrer Enduro an Bord rollen, um uns gemütlich ans Ziel zu schippern, während wir wild schlemmend am Buffet sitzen, oder selig in unserer Koje schlummern. Fähren sind einfach klasse!
Kinder werden früher oder später unleidlich, wenn es nichts zu tun gibt. Pieps früher. Aus der Not, die kleine Maus zu unterhalten, gehe ich mit ihr in den Duty-Free-Shop der Norröna, ein kleiner Supermarkt mit nur drei Abteilungen: Alkohol, Süßigkeiten und Parfümerie. Während ich nach meinem Lieblingsduft schaue, nebelt sich Pieps großzügig ein mit Testern von Versace, L'Occitane und Old Spice.
Wir setzen die Entdeckungsreise durch die Norröna fort. In der Lounge auf Deck 5 wird Bingo gespielt. Um mitzuspielen muss man eine Karte kaufen, aber das Spiel läuft schon. Wir bleiben am Eingang stehen und sehen zu, wie die Zahlen gezogen werden.
Nach einer Weile höre ich ein schüchternes "Bingo". Eine alte Dame, die überhaupt nur deshalb zu hören ist, weil es ansonsten totenstill ist im Saal. Sie darf nach vorne kommen, der Conférencier überprüft ihre Karte und überreicht ihr feierlich unter dem Applaus der Mitspieler ein Körbchen voller Süßigkeiten.
"Wie geht das?", möchte Pieps artig wissen.
"Der gewinnt, der zuerst Bingo ruft."
Im selben Moment ahne ich, dass es ein Fehler ist, Pieps nur die Management Version der Bingoregeln zu geben, doch zu spät:
"B I N G O ! B I N G O ! B I N G O !"
Pieps gibt Dauerfeuer und stürmt im selben Moment auf den Tisch mit den Preisen zu. Chaos, Stimmengewirr, ein Glas kippt um, Süßigkeiten kullern über den Teppich.
Wow, so schnell sind wir noch nie irgendwo rausgeflogen.
Am zweiten Nachmittag auf See wird mir auch langweilig. Es ist diese ganz spezielle Sorte Langeweile, die sich irgendwie gut anfühlt und bei der man spürt, wie erholsam sie im Grunde ist. Eine Art von Wellness für die Seele.
"I'm pickin' up good vibrations,
She's giving me excitations..."
Die Seereise, die Färöer, Island, dieser Song. Tränen von Ergriffenheit schießen mir in die Augen. Ich bin solch ein Weichkäse, denke ich kopfschüttelnd und sehe zu, dass ich unter Deck und ins Bett komme.
zum nächsten Tag...
zurück nach oben
Fünfhundert Kilometer nördlich von hier liegt Island. Morgen Mittag werde ich endlich wieder die Endurojacke anziehen...