Reise nach Island Tag 1: Kiel - Silkeborg Tag 2: Silkeborg - Hirtshals Tag 3: Hirtshals - Norröna Tag 4: Shetlands - Färöer Tag 5: Seyðisfjörður - Möðrudalur Tag 6: Vormittag: Zur Askja Tag 6: Nachmittag: Zur Herdubreid Tag 7: F88 - Dettifoss - Ásbyrgi Tag 8: Ásbyrgi - Myvatn Tag 9: F26 - Sprengisandur Tag 10: F821 - Akureyri - Blönduos Tag 11: Kjölur - Kerlingarfjöll Tag 12: Kjölur-Geysir-Pingvallavatn Tag 13: Pingvallavatn - Holmavik Tag 14: Holmavik - Flokalundur Tag 15: Svalvogur - 622 Tag 16: Flokalundur - Budardalur Tag 17: Budardalur - Pingvellir Tag 18: Selfoss - Landmannalaugar Tag 19: Landmannahellir - Vik Tag 20: Vik - Skaftafell Tag 21: Skaftafellsjökull Tag 22: Skafta - Eislagune - Höfn Tag 23: Höfn - Djupivogur Tag 24: Djupivogur Tag 25: Djupivogur - Seyðisfjörður Tag 26-29: Heimreise Fazit der Reise
Zwei Tage Djupivogur
Die Welt ist nass heute Morgen. Ich packe eilig zusammen und fahre nach Höfn hinein. Das Café am Hafen ist noch geschlossen, aber die Olis Tankstelle im Dorf hat frischen Kaffee und warme Croissants aus dem Backautomaten, extrem fettig und sehr lecker.
Draußen fährt ein Bus vor und ein Rudel aus 16 Amerikanern entert den Laden. Laut und besitzergreifend nehmen sie den Verkaufsraum für sich in Beschlag. In ihrem Southern Drawl bestellen sie Cola, Kaffee und Energy Drinks. Einige kaufen Schokoriegel dazu. Nur die bekannten Marken. Nicht das fremde europäische Zeugs.
Heute fahre ich nur eine kurze Tagesetappe. Mein Ziel heißt Djupivogur und liegt nur 110 km entfernt. Ich lasse mir Zeit und fahre kaum die erlaubten 90 km/h. Ich will nicht mittags schon am Ziel sein.
Sechzehn Straßentunnel gibt es auf Island und Almannaskarðsgöng ist einer der kürzeren. Auf dem Motorrad macht es immer wieder besonderen Spaß durch einen Tunnel zu fahren. Keine Ahnung wieso, aber das Gefühl ist ganz deutlich.
Die Ringstraße verläuft auf einem schmalen Streifen Land, das Meer auf der einen und die Berge auf der anderen Seite. Am Fuß der Gletscher sind riesige Sander zu überqueren. Hier hat das Eis seinen Abfall liegen lassen, Sand, Kies und Geröll.
Auf einer schmalen Brücke überquere ich die weite Schotterebene unterhalb des Myrdalsjökull. Es rinnt nur wenig Schmelzwasser aus dem Eis, aber wenn der Vulkan darunter in Stimmung kommt und den Ofen vorheizt, kann selbst die stabilste Brücke aus der Verankerung gerissen und in den Atlantik gespült werden. Die Isländer bauen dann einfach eine neue hin. Man kennt es nicht anders.
Auf halber Strecke hat Claudia einen POI, einen Point of Interest, in die Karte gezeichnet. Dort soll ein Leuchtturm stehen. Inzwischen weiß ich, dass ich keinen kitschigen Leuchtturm aus dem Bilderbuch erwarten darf. Leuchttürme sind hier reine Zweckbauten. Dieser ist orange mit einem Sendemast daneben, der höher als der Turm selbst ist. Westerhever ist weit weg.
Ich lasse das Motorrad am Fuß des Turms stehen und wandere hinunter zum Strand. Die Brandung ist schier unglaublich. Solche Gewalt, solche Brecher. Erst als ich die winzigen Menschen im Spülsaum bemerke, wird deutlich, wie groß die Wellen sind, die dort an Land brechen.
Am Leuchtturm Kiel-Friedrichsort kann man weit ins Wasser gehen. Erst kurz vor der Fahrrinne wird es schlagartig tief. Hier dagegen, am Black Beach of Iceland bedeutet schon der zweite Schritt ins Wasser irgendwas mit Kreischen, Panik und Ertrinken.
Der Strand ist schwarz und grob, der Kies glatt wie Treibsand.
Dazwischen Muschelschalen, Schneckengehäuse und jede Menge Krebsscheren.
Ein dunkler, ein bedrohlicher Strand.
Kein Ort, an dem man mit Flip Flops und Sonnencreme auf seinem Handtuch liegen möchte. Selbst dann nicht, wenn es im August einmal wärmer als 9 ˚C sein sollte.
Wie ein Lindwurm bewege ich mich in der Kolonne aus Mietwagen und Wohnmobilen die Küste entlang.
Strände wie diesen gibt es mehrere auf der Strecke.
Das Wetter wird mit jedem Kilometer besser. Die dunklen Wolken sind verschwunden und Djúpivogur empfängt mich mit tief blauem Himmel. Laut Wikipedia gilt das Dorf mit den bunten Häusern als eines der schönsten Islands. Die Messlatte hängt allerdings nicht sehr hoch.
Djúpivogur ist im Halbkreis um die Bucht herum gebaut.
An der schönste Stelle liegt der Campingplatz.
Er ist stufenförmig angelegt.
Man hat von jedem Platz einen wunderschönen Blick auf den Hafen. Wobei man hier vermutlich von jedem Ort aus einen wunderschönen Blick auf den Hafen hat, außer vielleicht aus dem Weinkeller des Hotels, denn Djupi ist winzig.
Inzwischen weiß ich, dass es nichts zu bedeuten hat, wenn außer mir nur ein Wohnwagen und ein Landrover mit Wohnkabine auf dem Platz stehen. Da kommen später noch Leute, im Zweifelsfall Spanier.
Ich baue das Lager auf und stelle die Honda in zwei Metern Abstand vom Zelt auf. So will ich verhindern, dass sich nachts jemand auf Armeslänge neben mich stellt. Oh, wie naiv ich bin.
Als das Zelt steht, schnappe ich mir Pieps und die Kamera. Wir wollen uns Djupivogur ansehen. Schon bei der Ankunft sind mir die vielen Menschen aufgefallen, die mit umgehängten Fotoapparaten neugierig durch den Ort schlendern. An den Gesprächsfetzen höre ich, dass es US-Amerikaner sind, die hier an Land gegangen sind.
In der Bucht liegt ein Kreuzfahrer vor Anker, die Rotterdam, das Flaggschiff der Holland-America Line mit Sitz in Seattle. Ein elegantes Schiff mit blauem Rumpf und weißen Aufbauten. Die Passagiere wurden mit den Rettungsbooten des großen Überseeschiffs ausgebootet.
Auf der Pier stehen etwa 50 Passagiere und warten darauf, zurück an Bord gebracht zu werden. Ich sehe ihnen zu, wie sie in Zweierreihen geduldig auf ihr Check-In warten. Eine ältere Dame mit weißem Haar und dem lieben Gesicht einer Oma aus dem Werbefernsehen, beginnt unvermittelt zu singen: "Oh, say can you see by the dawn's early light..."
Sie hat eine schöne, klare Stimme und ihr Gesang trägt über die Bucht. Im Nu stimmen andere Passagiere mit ein und kurz darauf schallt im Chor The Star Spangled Banner, die Hymne der USA übers Wasser. Ich bin ein wenig ergriffen, auch wenn es gar nicht mein Hymne ist. Die Amis haben Glück, dass ihr Nationalstolz und ihre Hymne nicht negativ besetzt sind.
Unvorstellbar, dass ich mit unserem Kegelclub am Kai stehe und Gisela Baumann plötzlich"Deuuutschland, Deuuutschland..." anstimmt. Ihr Mann, Günther würde ihr was husten. Der ist in der SPD.
Als die letzten Amis wieder an Bord sind, lichtet die Rotterdam den Anker und dampft langsam aus dem Berufjörður hinaus auf die offene See. Im Ort ist es schlagartig leer geworden.
Wir gehen einkaufen. Es gibt einen einfachen Supermarkt im Dorf und Pieps wünscht sich "Wööstschen mit Katoffelsalat." Nicht gerade mein Lieblingsgericht, aber ich suche eine Packung aus, die noch am ehesten an unsere klassisch deutschen Wiener Würstchen erinnert.
Während wir im Zelt sitzen und Würstchen mampfen, füllt sich der Platz allmählich. Vor uns bauen Spanier ihre Zelte auf, junge Paare mit Kindern. Die Zelte sind Billigburgen aus dem Supermarkt, aber für dieses Wetter sind sie gut genug.
Island muss in Spanien einen Ruf genießen wie Donnerhall. Oder vielleicht geht ihnen die Hitze im eigenen Land einfach auf die Nerven. In jedem Fall sind Spanier mit Kindern deutlich angenehmer als die ohne. Es sind Eltern und keine Idioten.
Die Würstchen hingegen entpuppen sich als die miesesten Fleischfinger, mit denen ich je das Missvergnügen hatte. Ein feiner Brei aus geriebenen Schweinepfoten, Blutserum und Schlachtabfällen im Plastikdarm. Trotz unserer gekachelten Mägen grummelt es im Bauch. Pieps ist zufrieden, aber das nächste Essen such ich wieder aus. Irgendwas Gebratenes.
Bis in die Dunkelheit treffen Camper ein. Auf den Wiesen bleibt kein Meter frei. Ich liege längst im Bett und stehe an der Schwelle zwischen Wachsein und Schlafen, als ich jemanden ganz dicht neben unserem Zelt höre: "I think wie can move it."
Eine sehr junge Stimme. Unverkennbar ein Amerikaner. Die wollen mein Motorrad umparken, um da ihr Zelt hinzustellen. Ich muss jetzt ganz ruhig liegen bleiben. Bloß nicht bewegen. Jeder Schritt vors Zelt kann nur mit einer langen Haftstrafe und dem Verlust meiner Pension enden.
Während ich hellwach und stocksteif mit riesigen Fledermausohren im Schlafsack liege und jedem Geräusch lausche, ruft eine andere Stimme: "Jeff! Over here. We can put it up next to the reception."
Schritte entfernen sich und ich höre, wie sie über den Kies vor der Rezeption gehen. Vermutlich stellen sie ihr Zelt jetzt auf den Parkplatz zwischen die Autos. Glück gehabt. Ich hasse Konfrontationen dieser Art. Entweder stecke ich feige zurück, oder ich überziehe. Dann fühle ich mich zwar besser, aber das Ergebnis ist nicht gut. Für niemanden.
Der zweite Tag
Es hat zwei entscheidende Vorteile, wenn es morgens regnet. Erstens ist es total gemütlich im Bett und trotz Kälte kuschelig warm im Schlafsack, und zweitens ist es dunkler und man schläft länger. Es gibt aber auch einen großen Nachteil: Es regnet.
Das spanische Pärchen im Zelt nebenan könnte mir fast leidtun, wenn es nicht Blödlinge in Tarnfleckkleidung wären. Ihr Zelt hat ein Leck unterhalb der Wasserlinie und droht zu sinken. Hastig packen sie im strömenden Regen ihr Zeug zusammen.
Es gibt also doch einen Unterschied zwischen einem Kinderzelt für 49 € aus dem Baumarkt und einem 4-Jahrszeiten Expeditionszelt.
Mit einer Genugtuung, die kein gutes Licht auf meinen Charakter wirft, drehe ich mich wieder um, kuschele mich in die warmen Daunen und schlafe weiter. Pieps hat sich nicht einmal gerührt.
Als ich Stunden später wach werde, prasselt noch immer Regen aufs Zelt. Zum Glück haben wir alles da für ein erstes Frühstück. Wir haben Skyr mit Blaubeeren, Erdnüsse und einen Riegel KitKat Chunky Peanut Butter. Ich koche mir Kaffee dazu. Wir frühstücken im Bett.
Wer je etwas Abfälliges über löslichen Kaffee gesagt hat, Typen wie ich also, hat ihn nie bei 9 ˚C im feuchten Zelt getrunken, wenn der Wind am Gestänge rüttelt und der Regen aufs Dach prasselt. Besseren Kaffee hab ich nie getrunken.
Ich habe keine Lust, bei diesem Sauwetter abzubauen und in meiner Regenkombi die 1 runterzudüsen. Wir bleiben liegen und machen uns einen gemütlichen Tag im Bett.
Am Nachmittag muss ich trotzdem raus, um neue Vorräte zu kaufen. Ich ziehe meine Regensachen über und danke dem Internet für diese wunderbaren Gummistiefel. Die Entdeckung des Jahres.
Es ist gar nicht so einfach, etwas Essbares für uns zu finden. Ratlos schlendere ich durch die Gänge des kleinen Supermarkts. Eine Familie Engländer streift neben mir durchs Revier. Plötzlich ein Ausruf reinsten Entzückens: Man hat augenscheinlich die Büchsen mit den grünen Erbsen entdeckt. Erbsen!
Es sind freundliche und anspruchslose Menschen, diese Kelten, denke ich, während ich eine Dose Ölsardinen und einen Becher Kartoffelsalat in den Korb lege. Dazu eine Handvoll Schokoriegel für Pieps. So fantasievoll wie auf dieser Reise habe ich mich zuletzt mit 16 ernährt. Ich kann es nicht erwarten, auf der Norröna endlich am 1st Class Buffet Platz zu nehmen.
Auf dem Rückweg zum Zelt peitscht mir der Regen waagerecht von vorn ins Gesicht. Es ist gar nicht so einfach, in der kleinen Apsis meine Regensachen auszuziehen und dabei kein Wasser ins Zelt zu tragen.
Morgen fahren wir weiter. Die letzte Tagesetappe auf Island. Abends zelten wir schon in Seyðisfjörður, wo wir am nächsten Morgen wieder an Bord der Norröna gehen.
Aber jetzt möchte ich noch ein wenig lesen. Ich drücke mich tiefer in den Schlafsack und nehme das Kindle in die Hand...
Ich finde die beiden Tage langweilig. Es gab wenig zu erzählen, aber Claudia sitzt neben mir im Ohrensessel und meint: "Das ist eben ein Ferientag auf Island. Kein Arbeitstag. Und Ferien ... sind Ferien."
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