Auf der F88
Das schöne Wetter ist über Nacht verschwunden, aber was macht das schon? Wasser von oben ist heute das kleinere Problem. Voller Tatendrang verzurre ich den Zeltsack und singe in bester Laune leise vor mich hin: "Go West young Girl. We will fly so high..."
Drei Furten sind auf den 60 km zur Ringstraße zu queren. Die erste, ein Seitenarm der Lindaá, markiert den Rand der Oase Herðubreiðarlindir und liegt nur 150 m hinterm Camp.Östlich der Herdubreid sieht die Piste völlig anders aus. Erstaunlich, wie das Hochland ständig ein neues Gesicht zeigt. Hier ist die Piste schwarz und schwer, eine Pampe aus Lava, Asche und Sand. Ich bin ständig auf der Suche nach festem Grund und meide die Aschefelder so gut es geht.
"It is strongly advised that people travel together in 2 or more cars. [
]
To drive this trails, you must have supreme confidence in your vehicle and your driving skills. [
]
The road is in dreadful condition and requires strong nerves to negotiate it. [
]
Try not to travel by yourself and even wait for another car to cross an unbridged river with you. [
] This road has humbled many egos."
Quelle: dangerousroads.org
Das ist eine ganze Menge Wasser, aber auf den ersten Blick sieht es gut machbar aus. Trotzdem will ich diesmal ganz ohne Gepäck fahren. Es ist nämlich ganz erstaunlich, wieviel leichtfüßiger sich ein Motorrad mit nur 24 Kilo weniger fährt.
Ich schnalle Tankrucksack und Zelt ab und wate vorsichtig in den Fluss. Immer nah am Seil. Der Untergrund ist ganz anders, als bei den Furten gestern auf der F910. Dort lag Felsgestein, aber am Grund der Lindaá liegen glatte Flusskiesel und ich wate wie durch ein Becken voller Smarties. Der Untergrund bietet wenig Halt.
Ich bin auf dem Rückweg etwa in der Mitte des Flusses, als hinter mir wie aus dem Nichts der Linienbus zur Askja auftaucht, ein hochgelegtes Allradmonster der XXL-Klasse. Ohne Fahrt wegzunehmen pflügt der Bus zwei Meter neben mir durch den Fluss. Seine Bugwelle testet meine Wathose. Mit erhobener Faust entbiete ich den internationalen Gruß für "Blödmann". Busse im Hochland sind nicht gerade für ihre defensive Fahrweise bekannt. Am besten man geht ihnen aus dem Weg.
Die Strömung macht das Gehen anstrengend, aber dem Motorrad dürfte das weniger ausmachen, denke ich. Doch, das schaffen wir. Das Wasser ist nicht zu tief für die Honda. Der Luftfilter liegt ganz vorne direkt unter der Sitzbank. Ich muss nur oben bleiben, dicht am Seil fahren und darf auf keinen Fall im Fluss stehenbleiben.
Die Beiden haben hier im Grunde nichts zu suchen, denn die Straßenbehörde safetravel.is hat eine Warnung herausgegeben, dass kleinere Jeeps nicht versuchen sollten, auf der F88 zu furten.
"Wenn es zu Fuß nicht geht, kannst du immer noch fahren", oder "Die Füße verlassen die Fußrasten erst, wenn der Lenker den Boden berührt." Typische Machosprüche aus der Frühzeit des Trialfahrens, aber einen Zweck erfüllen sie ziemlich gut: Sie geben Selbstvertrauen.
Ich starte den Motor und hole noch einmal tief Luft. Es ist einer dieser Pflaster-ab-Momente des Lebens: Eine Situation, vor der man sich fürchtet, die man aber hinter sich bringen muss.
Ich lege den Gang ein und stelle mich sofort in die Rasten. So langsam die Übersetzung es zulässt, fahre ich in den Fluss. Dicht, ganz dicht am Seil. Meine Güte, ist das weich. Ich verliere an Fahrt. Die Honda beginnt zu wühlen. Sie verliert die Traktion, der Hinterreifen gräbt sich tief in den Flusskies. Jetzt bloß nicht stehenbleiben, dann kippen wir um. Ich gebe Gas, das Heck schlingert, mehr Gas, wir kommen frei und nehmen wieder Fahrt auf. Meter für Meter ackert die Enduro sich durch das Flussbett. Schlamm quirlt hoch, das Heck schwingt herum, ich verliere den Kurs, wir halten auf die Flussmitte zu. Vielleicht noch 20 cm Luft bis zum Ansaugstutzen. Jetzt liegt das rettende Ufer direkt voraus. Ich drehe das Gas bis zum Anschlag und strecke den Dubs weit nach hinten raus: "Alle Mann nach Achtern!"
Der Titanauspuff brüllt aus voller Kraft und die Rally fräst sich trompetend ihren Weg Richtung Festland. In einem wahren Befreiungsschlag lassen wir den Fluss hinter uns und powern hoch ans Ufer. Wasser schäumt aus jeder Öffnung.
Eines ist sicher: Wie immer die nächste Furt aussieht, zurückfahren werde ich auf keinen Fall. Und das nicht nur, weil uns irgendwann das Benzin ausgehen wird. Die Tankuhr zeigt noch einen Balken.
Ich lade alles wieder auf und ziehe die Gurte fest, als ein Kia Sorento in die Furt fährt. Der fette SUV wühlt sich mit Allrad und Untersetzung durch das Flussbett. Er fährt auf dem Seil. Die Wattiefe des Sorento ist mit 45 cm angegeben und die Lindaá ist tiefer, aber er schafft es ohne Probleme.
Ich wate zurück. Inzwischen ist auch der Kia eingetroffen. Der Fahrer steht neben seinem Wagen und beobachtet wie ich den besten Weg suche. Als Gegenleistung für meine Scoutdienste bietet er an, den Rest des Gepäcks im Auto rüberzufahren. "Danke, das ist nett. So spare ich einen Weg."
Markus, so heißt der nette Sorento, fährt vor mir durch den Fluss. Als sich das Wasser beruhigt hat, starte ich die Maschine und fahre hinterher. Diesmal gelingt es mir besser den Kurs zu halten und ich bleibe zielgenau in den Spuren meiner Gummistiefel.
Gegen die vorige war diese Furt ein Klacks, auch wenn das Motorrad für solche Aktionen zu lang übersetzt ist. Hinten sollten zwei Zähne mehr drauf sein. Für Island würde ich das nächstes Mal so machen.
Ich lade das Gepäck auf und ziehe die Jacke an. Es beginnt zu regnen. Jetzt ist es noch etwa eine Stunde bis zur Ringstraße. Ein Königreich für etwas Asphalt, denke ich, während die Piste mich durchschüttelt.
Die Ringstraße ist hervorragend ausgebaut. Glatter Asphalt der Premiumklasse, nur die einspurigen Brücken sind gewöhnungsbedürftig. Man fährt mit zweimal 100 km/h frontal aufeinander zu und gewonnen hat der, der zuerst an der Brücke ist. Nicht ungefährlich, aber ich fahre so langsam und defensiv, wie ich das auf der Straße immer tue.
Die Schonzeit für Rücken und Fahrwerk dauert exakt 3000 m. Dann biege ich auf die 864 ab zum Dettifoss. Eine Schlaglochpiste der übelsten Sorte. Nicht schwierig zu fahren, aber grässlich rumpelig.
Solch einen Knacks hat mein Selbstbewusstsein nicht mehr einstecken müssen seit dem verlorenen Völkerballspiel in der dritten Klasse. Für andere sind Furten offenbar überhaupt keine Schwierigkeit, bloß für das Mädchen vom Lande auf ihrem Ackermofa. Darüber muss ich erstmal nachdenken. Vielleicht brauche ich ein größeres Motorrad. Nachdenklich stiefele ich durch den Regen zum Wasserfall.
Island lehrt Verantwortung. Dieses Land bietet unzählige Möglichkeiten, sein Fahrzeug, seine Gesundheit, oder sogar sein Leben zu verlieren und es ist jedem selbst überlassen, wie weit er geht. Niemand hindert mich an die Kante zu treten. Da ist kein Geländer und keine Absperrung. Ebenso bei den Furten: Wer sein Fahrzeug im Fluss versenken will, ist herzlich dazu eingeladen.
Jedes Jahr geschehen auf Island fatale Unfälle, weil wir es nicht mehr gewöhnt sind, Verantwortung für unser eigenes Handeln zu übernehmen. Im Rahmen des modernen Haftungsrechts tun das längst andere für uns: Ein Geländer, ein Verbot, eine Brücke, ein Sicherheitsmann. Wenn das fehlt und wir alles tun können, was uns in den Sinn kommt, dann passieren manchmal Dinge und der Mensch empört sich: "Das hätte aber doch niemals erlaubt sein dürfen, oder zumindest ein Geländer, ein Schild, eine Absperrung. Wieso hat mich denn keiner zurückgehalten?"
Das macht zugleich den Reiz dieses unfertigen Stück Planeten aus. Hier ist noch Abenteuer zu finden, zumindest für Pieps und mich auf unserer Enduro. Ich muss bloß immer gut auf uns drei aufpassen.
Die Tankstelle ist so nordisch, wie sie nur sein kann: Ein riesiger, viel zu großer Platz mit einer einzelnen Tanksäule, dazu in einigem Abstand das Diner, das mit dem Benzinverkauf nichts zu tun hat. Ohne Plastic Money ist man aufgeschmissen. Zur Sicherheit habe ich zwei Kreditkarten bei mir, eine VISA und eine MasterCard.
Wir können das jetzt noch gar nicht wissen, aber uns werden unterwegs mehrfach Biker begegnen, die Flaschen voll Benzin bei sich haben. Sie wollten keinen Tropfen verschenken und haben bis zum reservierten Höchstbetrag in jedes Gefäß gezapft. Notfalls in Coca-Cola Flaschen. Ich hab selten so gelacht.
Ich drücke auf den Button mit der Aufschrift 3000 ISK und fange an zu zapfen. Bei 9,2 l ist der Tank voll. Das sind 3,4 l auf hundert. Das ist ok für die Art Strecke, die ich gefahren bin. 900 ml waren noch im Tank.
"Onetwentyfive!", schallt es durch den Raum. Die Bedienung sieht sich mit zwei Tellern in der Hand suchend um: "Onetwentyfive!" Ich bin kurz davor selbst "Hier!" zu rufen, aber ein Gast kommt mir zuvor und nimmt das Essen im Empfang.
Eine junge Italienerin mit strengem Gesicht schreit stakkatoartig ihr Handy an und einen Tisch weiter unterhalten sich US-Amerikaner im breiten Slang, als hätte sie heiße Kartoffeln im Mund. Das Diner selbst wird von Asiaten geführt, die sich auf chinesisch, oder sonstwas unterhalten. Das Einzige, das man auf Island selten hört, ist Isländisch. Es gäbe gar nicht genug Einheimische, um sämtliche Arbeitsplätze der Tourismusindustrie mit Isländern zu besetzen.
Die Speisekarte liest sich wie ein Who-is-Who des Fast Food. Heute darf Pieps aussuchen. Die kleine Maus entscheidet sich klug für Cheeseburger with Fries and Vegetables. Gemüse? Zum Hamburger?
Ich kann Entwarnung geben: Die Vegetables entpuppen sich als ein Blatt Salat und vier Scheiben saure Gurke, die ich auf Hamburgern absolut hasse. Pieps ist das egal und ich muss eher aufpassen, dass ich keinen Finger verliere, wenn ich im falschen Moment zum Essen greife.
Bevor ich das Diner verlasse, frage ich am Tresen nach den Öffnungszeiten für morgen, denn dann ist Sonntag: "Will you be open for breakfast tommorrow?"
Der Chinese zeigt stumm auf das Schild mit den Zeiten: 08-20. Every Day! Sein Blick scheint zu sagen, welche Stelle von "Every Day" verstehst du nicht? Nun gut, dann sehen wir uns morgen früh um acht zum Frühstück.
Als ich nach einer Stunde und unzähligen Bechern Kaffee wieder aufs Motorrad steige, ist der Regen verschwunden und ich stelle mein Zelt im schönsten Sonnenschein auf dem Campingplatz hinter der Tankstelle auf.
Eine Besonderheit von Ásbyrgi ist sein Wald. Bis vor einigen Jahren war es der einzige Wald auf ganz Island und die Einheimischen sind von weit her gefahren, um einmal einen leibhaftigen Wald zu sehen.
Ich überlege einen Moment, ob ich mein dienstliches Gesicht aufsetzen und das Ding requirieren soll. Ich darf nur nicht vergessen, nach der Remote und den Ersatzakkus zu fragen. Und nach dieser einen süßen Tasche, die dazugehört. Und natürlich ein angemessenes
zum nächsten Tag...
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Drei Tage bin ich jetzt auf Island und habe schon mehr Enduro-Abenteuer erlebt, als auf allen bisherigen Reisen zusammen. Island fordert mich ganz schön, aber bisher ist alles gut gegangen und ich passe auf, dass es möglichst so bleibt.