Gedanken zu Island
Seit Monaten schon brüte ich über dem Fazit der Islandreise und komme zu keinem rechten Schluss. Ist Island tatsächlich so grandios, wie es die einhellige Meinung zu sein scheint? Island war unbestritten die großartigste Reise meines Lebens und zugleich die ätzendste Tour, die ich je gemacht habe. Wie passt das zusammen?
Endurofahren im Hochland
Ich bin nach Island gereist zum Endurowandern. Ich wollte Sprengisandur durchqueren, die größte Wüste Europas, und ich wollte die 622 fahren, von der ich grandiose Aufnahmen bei Most dangerous Roads in the World gesehen hatte. Ich wollte Flüsse durchqueren, im Hochland zelten und ein letztes Mal ausprobieren, was noch geht.All das wollte ich alleine erleben und durchstehen. Wer mit einer Gruppe Kumpels unterwegs ist, die sich für jedes Selfie in die Arme springen und Abends im Guesthouse zusammen ihr Bier trinken, kann nicht mitreden. Allein ist völlig anders. Ich weiß das, ich habe beides erlebt.
Auf Sprengisandur bin ich gescheitert. Der Gletscherfluss auf der Hälfte der Strecke war zu tief. Ich bin umgekehrt. Hinter diesen schlichten Sätzen vom Wollen, Scheitern und Ausweichen, verbirgt sich - für mich - eine unfassbar aufregende Geschichte. Ich habe Wüsten durchquert, bin über Geröll und durch tiefen Sand gefahren, habe Flüsse durchquert und habe dem Wetter getrotzt.
Die Ringstraße
Island lässt sich grob gesagt in zwei Abschnitte unterteilen, die jede eine völlig unterschiedliche Reise ergeben: Das Hochland und die Ringstraße. Die Ringstraße, oder schlicht die 1, führt auf 1.341 km einmal um die Insel herum. Sie ist nahezu vollständig asphaltiert, hervorragend ausgebaut und fährt sich ganz prima. Dazu braucht man weder eine Enduro noch Stollenreifen. Es gibt Tankstellen, Dörfer, Supermärkte, Cafés, Guesthouses und Campingplätze. Kurzum: Eine Reise auf der Ringstraße ähnelt einer Fahrt durch Norwegen.Dennoch gibt es genügend kleine Abstecher ins Landesinnere, die man auch ohne Enduro gut bewältigen kann. Auf diese Weise erreicht man den Geysir, Dettifoss, Asbyrgi und die meisten anderen Attraktionen.
Geplant war eine Enduroreise durch eines der am dünnsten besiedelten Länder der Erde. Was ich dabei völlig außer Acht gelassen hatte ist, dass Island ein hoch touristisches Land ist, das längst aus allen Nähten platzt, ein wahres Venedig der Artkis. Während ich am Mont Saint Michel genau damit gerechnet hatte, war ich darauf in Island völlig unvorbereitet. Die Enttäuschung war groß.
Die Anzeichen vom Overtourism, einem überbordenden Tourismus, der alle Grenzen zu überschreiten droht, sind nicht zu übersehen. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Der Verkehr auf der Ringstraße ist noch immer recht überschaubar. Doch am Ende des Tages finden sich alle Reisenden auf den wenigen Campingplätzen, in Hotels und Guesthouses zusammen. Nie habe ich derart überfüllte Plätze erlebt, deren "Facilities" dem ungebremsten Ansturm der Gäste in keiner, wirklich keiner Weise gewachsen sind. Island ist grässlich!
Zelten
Jeder einzelne Campingplatz war komplett ausgelastet, wenn nicht überbelegt. Am auffälligsten war die Zusammensetzung der Gäste. Es gab einige geübte Outdoor Typen, aber die Mehrzahl waren junge Leute aus ganz Europa, Party People, die typischen Festivalbesucher im ALDI-Zelt.Würde ich auf Island noch einmal zelten? Ja, aber nicht mehr an der Ringstraße. Wenn es sich gar nicht vermeiden ließe, würde ich mir ein noch so teures Zimmer leisten. Und den Fehler, im Sturm mein Zelt aufzuschlagen, würde ich kein zweites Mal begehen. Das war eine Fehlentscheidung, ich hätte nach dem Matratzenlager fragen sollen.
Wer nie zuvor gezeltet hat, sollte in Island nicht damit anfangen. Es ist wie beim Bergsteigen: Der erste Aufstieg mit der neuen Ausrüstung sollte nicht gleich die Eiger-Nordwand sein.
Die Westfjorde
Die Westfjorde liegen sehr weit ab vom übrigen Island. Man muss mehrere Tage extra einplanen, um sie zu bereisen. Lohnt sich dieser Umweg? Ja, wenn man die Zeit hat, unbedingt.Enduro, Reifen und Benzin
Mit dem 10 Liter Tank der Honda Rally bin ich gut ausgekommen. Den 1,5 Liter Reservekanister habe ich nicht gebraucht. Es war trotzdem sehr beruhigend, ihn an Bord zu haben: 50 km weniger schieben.Die längste direkte Strecke zwischen zwei Tankstellen beträgt 243 km. Mit einer Reichweite von 350 km inklusive Notbenzin ist man auf Island auf der sicheren Seite, es sei denn, man hat besondere Hochlandpläne und will es tagelang nicht verlassen.
Es ergibt keinen Sinn, an eine BMW GS Adventure mit 600 km Reichweite noch zwei Kanister anzuschrauben. Das wirkt auf Außenstehende cool, ist aber so sinnvoll, wie der Klappspaten am SUV vor der Eisdiele.
Enduroreifen spielen auf der Ringstraße keine Rolle. Everything goes. Im Hochland kann ich derbe, grobstollige Reifen empfehlen. Besonders die Furten entlang der F88 waren tief und das Flussbett weich. Da braucht man Traktion.
Auf den Schotterpisten und selbst auf der Sprengisandur funktioniert im Grunde jeder Reifen, aber die Tiefsandpassagen erfordern Erfahrung. Dort dürfte es am häufigsten zu Stürzen kommen. Grobes Profil ist gut, aber das allein macht es nicht.
Anreise mit dem Schiff
Die 2 x 2,5 Tage auf der Norröna waren die tollste Seereise, die ich je gemacht habe. Die Unterbringung und das Essen an Bord sind prima. Nennenswerten Seegang hatten wir nicht, aber das kann auch ganz anders sein. Reisetabletten aus der Apotheke helfen. Rechtzeitig nehmen und leicht überdosieren.Besonders auf der Heimreise habe ich die Erholung an Bord genossen. Ich war zerschlagen, wie nach einem Zirkeltraining und konnte die Ruhe für Muskeln und Gelenke gut gebrauchen. Nach zwei Nächten im weichen Bett war alles wieder in Ordnung.
Einen Zwischenstopp auf den Färöer Inseln schließe ich für mich aus. Auf dem Hinweg war ich ganz auf Island gepolt und wollte auch kein Risiko eingehen. Ich brauchte das Motorrad, die komplette Ausrüstung und mich selbst in Mint Condition, wenn ich auf Island ankommen würde.
Werde ich wieder nach Island reisen?
Ich weiß es nicht, aber ich denke fast jeden Tag darüber nach. Schon auf der Heimreise habe ich Gedanken dazu in mein Moleskine geschrieben. Oben drüber steht fett Nie wieder Island! und eine Seite weiter beginnt bereits die Planung, was ich beim nächsten Mal anders machen würde.Für mich war Island gerade zwischen den ausgeschilderten Sehenswürdigkeiten am schönsten. Da, wo nichts war. Es ist die graue Mondoberfläche aus Lava, Asche und Sand, die mich so sehr fasziniert.
Fazit
Island war die Reise meines Lebens. Es war überwältigend, unfassbar grandios und jeden Cent und jeden Urlaubstag wert. Das Wetter ist besser als sein Ruf, kann aber auch die gesamte Reise zu Fall bringen. Man braucht eine gute Ausrüstung und sollte wissen, was man tut.Wovon man nur wenig benötigt, das ist Motorleistung. Ich weiß gar nicht, ob ich je die vollen 25 PS der Honda ausgeschöpft habe, außer in Furten, wenn ich mich im ersten Gang Vollgas ans Ufer gerettet habe.
Ansonsten gilt: Jedes Kilogramm weniger ist mehr wert als 10 PS mehr Leistung. Gepäck sparen und sich selbst in Form bringen, fit werden, vielleicht ein paar Kilo abnehmen. Für eine Reise nach Island lohnt sich der größte Aufwand. Island ist toll.
Aber auch ein bisschen ätzend :-)
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Das Resümee einer Reise ist immer auch ein Fazit der eigenen Persönlichkeit. Im Grunde schreibt man über sich selbst. Man offenbart Vorlieben, gibt Abneigungen preis und demonstriert Aufgeschlossenheit ebenso wie Kleinmut und Engstirnigkeit. Jetzt bin ich gespannt auf eure Beiträge. Würdet ihr, oder würdet ihr nicht, nach Island fahren? Zum ersten Mal? Erneut?