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Thines
Pfingstmontag. Zur Feier des Tages fahre ich hinunter ins Dorf und frühstücke mit Pieps im Café Le National. Wobei Frühstück, wie so oft in Frankreich, bedeutet: Man geht zum Bäcker nebenan, besorgt die Croissants, und geht dann ins Café, um dort Kaffee zu trinken und das mitgebrachte Gebäck zu essen.
Nächstes Mal nehme ich mir aber einen Teller mit, denn es ist irgendwie stillos, die Croissants aus der Tüte zu essen und dabei alles vollzukrümeln. Die Franzosen sind so lässig.
Nach einer Stunde, zwei Café, zwei Croissant und einem Pain au Chocolat sind wir fertig und brechen auf. Villefort mit seinen 550 Einwohnern ist die Metropole der Gegend. Es ist erstaunlich, wie viele Cafés und Restaurants es im Dorf gibt und sogar eine Bäckerei, einen Schlachter und einen Buchhändler. Für alles, was es im Ort nicht gibt, muss man weit fahren, um es zu besorgen.
Das Zelt habe ich im Camp La Palhère stehen lassen. Heute will ich das historische Bergdorf Thines ansehen. Ein Leser hatte es vor Jahren in seinem Kommentar zu einer anderen Reise empfohlen.
Am Stadtrand von Villefort beginnt die Einsamkeit. Die Straße windet sich am Fluss entlang zwischen Bergen hindurch. Löcheriger Asphalt, dichter Wald und schroffe Felsen. Ich fahre nur 50 km/h und bin dabei schon rasant unterwegs. Die Strecke ist der Hammer. Wir sind mitten in den Cevennen.
Ein paar Kilometer hinter dem Wasserkraftwerk bei Pied-de-Borne liegt das alte Bergwerk von Sainte-Marguerite-Lafigère. Die Mauern einiger Gebäude stehen noch wie vor hundert Jahren. Die verlassenen Stollen dienen jetzt als Schutzgebiet für Fledermäuse.
Wir sind eine Stunde unterwegs, als auf einem Bergrücken zum ersten Mal die Silhouette von Thines auftaucht. Kaum zu glauben, dass da oben noch immer eine Handvoll Menschen leben soll.
Einen Kilometer vor dem Ort ist die Straße gesperrt. Ab hier muss man zu Fuß weiter.
Motorisierter Verkehr ist in Thines nicht erlaubt. Nur die Gäste der Alten Einsiedelei, der Unterkunft im Dorf, dürfen bis nach oben fahren, um auszuladen. Danach müssen sie ihren Wagen wieder unten abstellen.
Der Parkplatz vor der Sperre ist leer. Hopsa steht ganz allein im Regen. Ich lege meinen Helm auf den Tacho und wandere langsam die Straße hinauf. In der Ferne rollt Donner und von Zeit zu Zeit durchzuckt ein Blitz den trüben Himmel.
Ich bin bester Laune, etwa bis zu dem Moment, als der dritte Renault an mir vorbeirauscht. Fröhlich fahren Familien im trockenen Wagen die steile Strecke hinauf, während ich schnaufend im Regen einen Fuß vor den anderen setze. Ich lerne es wohl nie: Verkehrsschilder haben in Frankreich allenfalls empfehlenden Charakter.
Endlich bin ich oben im Dorf. Alte Häuser aus grob behauenen Felssteinen, kleine Fensterluken, schmale Türen. Der Regen wird stärker. Ich stelle mich unter das Laubdach einer Platane. Eine alte Dame spricht mich an und winkt mir, ihr zu folgen. Ich habe nicht verstanden, was sie gesagt hat, aber ich gehe erstmal mit. Alles ist besser, als im Regen zu stehen.
Wir gehen ein Stück bis zu einem der größeren Häuser. Auf einer Planke steht Auberge de Thines, darunter mit Kreide "Bonjour". Die alte Dame stellt ihren Schirm ab und verschwindet im Haus. Ich gehe hinterher.
Eine Treppe, wie aus massivem Fels geschlagen, führt steil nach oben. Dort ist sie verschwunden. Einen anderen Weg gibt es nicht. Zögerlich steige ich die Stufen hinauf. Am Ende versperrt ein fadenscheiniger Vorhang den Blick.
Ich ziehe den dünnen Stoff zur Seite und werden von einem zottigen Hund freudig begrüßt. Dahinter ein niedriger Raum, derbe Tische, eine offene Feuerstelle und ein alter Kanonenofen. In einer Ecke hängen Zöpfe von geflochtenem Knoblauch. Ich stehe in der Auberge de Thines.
Ohne Georgeline, die Wirtin, hätte ich das Gasthaus nicht entdeckt.
Sie fragt, was ich gerne möchte.
Ich bestelle Kaffee und den Croque Monsieur.
Sie gibt die Bestellung nach hinten in die Küche, wo ein junger Mann, ein wahrer Riese von einem Kerl, Herrscher über einen Gasherd und eiserne Pfannen ist.
Inzwischen macht sich Georgeline daran, den Kanonenofen anzuheizen. Schon bald prasselt ein heimeliges Feuer im Ofen. Es ist kalt, aber der Ofen zieht gut und es wird allmählich wärmer in der Stube.
Der Croque ist auf genau die richtige Weise an den Kanten leicht angebrannt, oben drauf wunderbar leckerer Gruyère. Und - extra für eine gewisse Maus - dazu drei Kirschen.
Inzwischen kommen nach und nach weitere Gäste, darunter Freunde von Georgeline. Sie nicken mir freundlich zu, als sie sich an den Nebentisch setzen. Ich fühle mich rundherum wohl. Die rustikale Herberge, das leckere Essen, der warme Ofen. Es erinnert mich an das Café im Torfhaus auf Island, beides auf ihre Weise verzauberte Orte.
Ich bezahle und breche auf. Inzwischen hat der Regen nachgelassen. Das größte Gebäude im Dorf ist die Kirche Notre-Dame de Thines, die 1190 von Benediktinermönchen erbaut wurde.
Eine mittelalterliche Freitreppe, die auch in Game-of-Thrones mitspielen könnte, führt hinauf zum Kirchenportal. Auf halber Treppe führt eine Tür durch die Mauer in die Alte Einsiedelei, das einzige Quartier des Ortes.
Im Deckengewölbe hoch oben über dem Altar fliegt eine Fledermaus irre Kreise. Müsste die nicht längst im Bett liegen? Immerhin ist heller Tag. Während ich in der offenen Kirchentür stehe, rauscht sie direkt an mir vorbei und verschwindet nebenan in einem Mauerspalt.
Ich wandere den Berg hinunter zurück zum Parkplatz. Jetzt steht er voller Autos. Ich starte und fahre zurück nach Villefort.
In Villefort parke ich bei einer Gruppe von Motorrädern. Ich stelle die Honda Rally direkt neben einer Africa Twin ab. Die Motorräder ähneln sich, nur dass auf meinem Tank Africa Single steht.
Die französischen Biker kommen zurück und auch wenn niemand ein Wort Englisch oder Deutsch spricht und ich kein Französisch, entsteht doch so etwas wie eine Unterhaltung. Biker können das.
Der Fahrer der Africa Twin ist ganz aus dem Häuschen, dass es überhaupt eine Africa Single gibt. Auch sein Kumpel steht verblüfft vor der Rally. Nein, natürlich gibt es keine Africa Single im Honda Modellprogramm, den Sticker hat Claudia mir auf den Tank geklebt.
Wir albern noch eine Weile herum, bis die Jungs ihre Maschinen gestartet haben und gemeinsam losbrausen. Ich winke gut gelaunt hinterher.
Seit neuestem gibt es in Villefort auch wieder eine Tankstelle. Bei meinem letzten Besuch ist mir beinahe der Sprit ausgegangen, weil es weit und breit keine Tankmöglichkeit gibt. Die nächste ist in Les Vanes, etwa 25 km entfernt.
Das war ein schöner Tagesausflug. Die Bergstrecke ist klasse und der Besuch in Thines lohnt sich, auch wenn ich wegen des starken Regens nur wenige Bilder gemacht habe.
Inzwischen hat sich das Wetter um 180° gedreht und ich komme im schönsten Sonnenschein zurück ins Camp. Ich gehe mit Pieps hinunter zum Wildbach. In der Hauptsaison sitzen überall Menschen und sonnen sich, oder lassen die Füße ins Wasser hängen, aber jetzt habe ich die Felsplatten am Ufer noch ganz für mich.
Ich sitze mit dem Kindle in der Hand am Wasser und lese.
Das ist Urlaub. Die wundervollen Stunden zwischen Motorradfahren und Besichtigen. Die Stunden, in denen ich - manchmal durchaus gelangweilt - im Zelt liege, lese, schreibe, schlafe, oder Wein trinke. Jeder, der gern liest, sollte zelten. Zelte und Bücher, das ist seit Kindheitstagen fest miteinander verbunden. Ungefähr wie Pumps und Party.
Heute bleibt die Küche kalt. Es gibt knuspriges Baguette vom Bäcker aus Villefort, Trüffelwurst aus Sarlat und geräucherte Entenbrust aus Beynac. Dazu eine halbe Flasche Bergerac, dem Rotwein der Dordogne.
Wir haben den Platz fast für uns allein. Nur ein paar Dauercamper sind über die Pfingsttage in ihren Wohnwagen. Dabei war ich unsicher, ob wir ohne Buchung überhaupt einen Stellplatz bekommen würden, doch nun steht unser Salewa Zelt ganz allein zwischen den Maulwolfshügeln.
Es wird Zeit, in die Heia zu gehen. Ich bin heilfroh, dass Pieps inzwischen ein eigenes Snoopy Nachthemd hat. Was war das abends für ein Kampf, wer heute dran ist "mit das Schnuupie Nach'hemp."
Morgen fahren wir weiter. Am Nachmittag sollten wir die Provence erreichen und dort unser Zelt aufschlagen. Dann lerne ich eine weitere Landschaft Frankreichs kennen.
"La Provence..."
Wie das klingt. Nach Lavendel, Bouillabaisse und Sommersonne.