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Carrières de Lumières
Es regnet die ganze Nacht über. Immer wenn ich kurz wach bin, höre ich das Prasseln der Tropfen auf dem Zelt. Meine Güte, ist die Provence nass. Irgendwann nach Mitternacht muss ich kurz raus und nehme Pieps vorbeugend gleich mit. Die offizielle Version der Ereignisse lautet: Wir hasten bei Regen und Wind quer über den Campingplatz runter zum Waschhaus.
Die andere Version - die offiziell nie bestätigt wurde - berichtet von zwei unbekannten Gestalten in Snoopy-Nachthemden, eine groß, die andere klein, die bei strömendem Regen in die Büsche gepischt haben. Doch wie gesagt, diese Version ist offiziell nie bestätigt worden.
Am Morgen hört der Regen schlagartig auf. Als ich das Zelt öffne und die Nase herausstrecke, liegt Nebel wie ein nasses Handtuch überm Camp. Ich muss in die Strümpfe kommen, wenn ich beim Carrières de Lumières nicht endlos anstehen will.
Es sind bloß 30 km bis zum Steinbruch der Lichter, aber noch bevor ich Saint-Rémy-de-Provence erreiche, hat die Sonne den Nebel vom Himmel gebrannt und es ist ein wunderbar warmer Morgen.
Ja! So habe ich es mir vorgestellt. Vielleicht hatten wir nur einen doofen Start, die Provence und ich. Fangen wir noch einmal von vorne an.
Die D27 zum Carrières de Lumières führt durch die Bergkette der Alpilles und ist eine geniale Motorradstrecke, Kurven, nackter Fels, Pinienwälder, und über allem der betörende Duft französischer Küche. Das sind wilder Thymian, Rosmarin und einige andere Kräuter, die ich sonst nur von der Zutatenliste auf der Pizzaschachtel kenne.
An einer besonders schönen Stelle lasse ich die Honda stehen und steige ein Stück in die Felsen, um zu sehen, was auf der anderen Seite ist. Der Blick öffnet sich und unter blauem Himmel liegen die Felsen von Les Baux.
Les Baux ist eines der Les plus beaux villages de France, der schönsten Dörfer Frankreichs. Auch Beynac gehört dazu. Am liebsten würde ich die komplette Liste mit Greeny, Zelt und Schlafsack komplett abfahren. Das wäre ein tolles Projekt, würde eine Menge Spaß machen und eine endlose Kette guter Geschichten und Fotomotive ergeben. Ich mache eine gedankliche Notiz in meine Reiseliste.
Wir sind eine halbe Stunde zu früh am Carrières de Lumières, aber das ist perfekt, denn noch bevor die Kasse öffnet stehen hinter uns schon 300 Leute wie die Wiesenhof-Hähnchen an. Pieps und ich sind die Nummern Eins und Anderthalb. Sicherheitshalber lasse ich aber ein älteres Ehepaar vor, damit ich abgucken kann, wie das hier funktioniert.
Es ist 09:30 Uhr. Die Show soll gleich beginnen, aber bevor wir rein dürfen, erfolgt zuerst die amtliche Verdonnerung des Publikums. Ein drahtiger Typ in Security Uniform und Springerstiefeln der Luftlandetruppen stellt sich breitbeinig vor uns auf, die Arme hinterm Rücken verschränkt, und gibt im militärischen Tonfall den Tagesbefehl heraus. Die Kurzfassung lautet:
Fotos ja! Blitz nein!
Keine Filmaufnahmen!
Und im Übrigen: Kopp dicht!, Ruhe also.
Der Commander sagt es zweimal in jeder Sprache: Auf Französisch, auf Englisch und sogar auf Deutsch. Dabei wippt er lässig auf den Fußballen. Im Grunde ist der Kerl bloß ein halber Hahn, aber sein Ego reicht locker für ein ganzes Bataillon Donkosaken.
Selbst Pieps ist beeindruckt und hält für einen Augenblick den Mund.
Endlich kommt Bewegung in die Sache. Die Kassen sind geöffnet und wir schieben uns in Babyschritten vor zum Einlass. Die Security überprüft den Inhalt jeder einzelnen Tasche und sieht in jeden Rucksack.
Durch eine Schleuse aus Vorhängen geht es ins Innere des Steinbruchs. Ich stehe in einer nahezu stockfinsteren Halle. Die Größe der unterirdischen Felsenkammer lässt sich nur erahnen. Teenager einer Schulklasse spielen gelangweilt auf ihren Handys.
In diesem Moment beginnt die Show. Wunderschöne klassische Musik erfüllt den Raum. Die Akustik ist grandios.
Auf allen Wänden und selbst auf dem Boden erstrahlen in leuchtenden Farben die berühmten Motive Vincent Van Goghs. Die Bilder wechseln, überblenden, bewegen sich. Bild und Ton spielen virtuos zusammen. Es ist spektakulär.
Die Hallen haben große Tiefe, gewaltige Räume, einzelne Steinquader, verschachtelt, unübersichtlich. Die Gemälde Van Goghs wirken in der Projektion durch ihre Farben besonders eindringlich. Mitunter sind nur Ausschnitte von Bildern zu sehen.
In diesem Moment wechselt die Musik. Bereits nach den ersten Noten erkenne ich das Stück. Nessun dorma, alles schläft, aus Puccinis chinesischer Oper Turandot.
Eine meiner allerliebsten Opernarien.
Oh, diese wundervolle Musik. "Nessun dorma!
Und dann noch Luciano Pavarotti. Der Meister selbst.
Noch bevor wir bei "Tu pure, oh Principessa" angekommen sind, bin ich in Tränen aufgelöst.
Dieser verflixte Hang zur Rührung. Ich bin solch ein Weichkäse.
Opern ertrage ich nur mit wasserfestem MakeUp.
Zum Glück ist es hier drinnen finster genug, um wenigstens etwas Würde zu bewahren.
Ich lenke mich ab durch Fotografieren und knipse eine Aufnahme nach der anderen. Die Bilder hier auf der Seite sind etwas zu hell. Mit Absicht, sonst hätte man auf den Fotos nur wenig erkannt.
Die Security hätte ihre Ansprache auch auf Mandarin halten sollen, denn die Chinesen filmen ungeniert die gesamte Aufführung durch. Man kann es auf den Dispalys ihrer Telefone deutlich erkennen. Ab und zu blitzt es auch. Chinesen. Man kann ihnen nicht einmal böse sein.
Die Bilder wechseln ununterbrochen, scheinen zu schweben, werden überblendet, Farben und Motive bewegen sich, fließen ineinander. Ich bin zugleich hingerissen, begeistert, überwältigt und zu Tränen gerührt. So etwas habe ich zuvor noch nicht gesehen.
Es wird dunkler und plötzlich erstrahlt alles in leuchtendem Blau. Sternennacht. Das hat Van Gogh nur wenige Kilometer von hier gemalt.
In der Nervenheilanstalt von Saint-Rémy.
Dazu spielt Don McLeans Starry Starry Night. Der Titel bezieht sich auf eben dieses Gemälde. Der Sänger hat es als Hommage an Van Gogh geschrieben. Der offizielle Titel lautet Vincent und ist nach American Pie sein erfolgreichstes Stück. Den Song kenne ich seit Kindertagen, hab aber den Sinn dahinter nie kapiert. Heute geht mir ein Licht auf.
Als letzte Projektion ein Selbstbildnis Van Goghs. Es bleibt nur kurz stehen und dann beginnt der Nachspann. Die Menschen drängen zum Ausgang. Wie im Kino.
Nach 32 Minuten ist die Show vorüber, die Projektion erlischt und das Licht geht an. Man sieht die nackten Kalksteinwände. Bevor ich zum Ausgang wandere, muss ich mich einen Moment lang sammeln. Das war grandios, jeden Cent und Kilometer wert. Ich würde gerne einmal wiederkommen, am liebsten zu einer Gustav-Klimt-Show.
Draußen ist es noch wärmer geworden, jedenfalls kommt mir das nach den kühlen 15 °C im Steinbruch so vor.
Ich starte die Honda und fahre weiter. Die Provence ist wunderbar. Sie duftet und blüht, Insekten schwirren, Farben leuchten.
Das schlimme Wetter von gestern ist vergessen.
Für dieses hier wird mir niemand auch nur einen Topfen Wein ausgeben, fürchte ich.
Am Fuß der Burg von Les Baux parken die Reisebusse in Reih und Glied. Man muss sich wohl entscheiden zwischen dem Steinbruch und der Burg. Nur eines lässt sich Morgens vor der Ankunft der Busse anschauen.
In Saint-Rémy ist heute Markttag.
Die ganze Stadt ist auf den Beinen und dann noch einmal die fünffache Menge an Touristen.
Viele Engländer sind zu hören.
Ich habe richtig Lust, im Sonnenschein durch die Gassen zu schlendern und mir alles anzusehen.
Schon am dritten Marktstand bleibe ich stehen. Eine junge Frau gebietet über ein Reich aus Paprika, eingelegtem Knoblauch und Oliven. Es gibt grüne und schwarze, gefüllt und ungefüllt, mit und ohne Kerne. Ich lasse mir eine Tüte Mélange einpacken, eine bunte Mischung von allem.
Zwei Gassen weiter fasziniert mich der Stand eines Gewürzhändlers.
Vanille Bourbon Madagascar, Curry, Tandoori, Mélange Provencal und sogar Safran. Ein Gramm kostet 16 €. Vermutlich ist es nicht zum Sattessen gedacht.
Am Wurststand kaufe ich zwei Salamis, eine mit grünem Pfeffer und eine mit Camembert. Nebenan beim Käsemann erstehe ich etwas Roquefort, korrekt grün durchgeschimmelt, und schließlich eine halbe Flasche Bordeaux. Zufrieden trage ich die Beute durchs Gedränge zurück zum Motorrad und verstaue alles im Tankrucksack.
Wir fahren zurück zum Campingplatz.
Direkt vor der Zufahrt zum Camp liegt ein kleiner See. Ein Wasserskilift spannt sich quer über das türkise Wasser. Der Campingplatz mit seinen Wohnwagen und Zelten ist im Dickicht der Bäume und Büsche nicht zu erkennen.
Ich schnappe mir Pieps, die Kamera und etwas Geld und wandere am Seeufer entlang zum Kiosk der Wasserskianlage. Einige der jungen Leute sind sehr geschickt und nutzen jede Rampe zu gewagten Sprüngen.
Eine junge Frau dagegen knallt so spektakulär aufs Wasser, dass der Life-Guard rausschwimmt und sie zur Anzahl hochgehaltener Finger befragt. Das sah übel aus, aber sie kann aus eigener Kraft ans Ufer schwimmen. Ich hole ein Eis für Pieps und wir sehen eine Weile zu, bevor es langweilig wird und wir zurück zum Zelt wandern.
In der Provence wachsen die merkwürdigsten Dinge. Rosmarin und Thymian kenne ich schon, aber was sind diese prallen gelben Früchte, die wie Aprikosen aussehen? Oder die rissigen braunen Knollen, die so knorrig zwischen den grünen Nadeln hängen? Ich weiß es nicht.
Auf dem Rückweg gehe ich bei der Rezeption vorbei und kaufe ein Baguette. Ich will nicht unhöflich sein und trinke ein Glas von dem leckeren kühlen Weißwein, während ich mich mit dem Mädchen an der Bar unterhalte. Die sind wirklich sehr nett hier.
Bei der Planung der Reise hatte ich beinahe Befürchtungen, ob ich ohne Reservierung überhaupt einen Zeltplatz bekommen würde, und nun steht mein Zelt ganz allein in seiner Reihe. Die Wohnwagen stehen weiter unten beim zentralen Waschhaus, da wo die Stromanschlüsse sind.
Wir bekommen allmählich Appetit. Zeit fürs Abendessen. Es gibt Salami und Baguette, dazu eingelegte Oliven mit Knoblauch und einen Roquefort, der in der Abendwärme sogleich seinen ersten Fluchtversuch unternimmt. Erfolglos, übrigens.
Der Bordeaux schmeckt wunderbar dazu, auch wenn er natürlich zu warm ist, doch zusammen mit dem Schimmelkäse und einem winzigen Stück Salami feiert er geradezu ein Fest im Mund.
Das war ein grandioser Tag. Die Carrières de Lumières ist eine der drei beeindruckendsten Sehenswürdigkeiten all meiner Reisen. Die anderen Beiden waren Mont Saint Michel in der Bretagne und der Berg der Kreuze in Litauen.
Als die Sonne untergeht und es endlich kühler wird, steht der Mond schon hoch am klaren Himmel der Provence.
Nach dem Zähneputzen geht es ins Bett. Ich lese Bruno, Chef de Police weiter und Pieps hat ein Pixi-Buch, in dem es um einen abenteuerlustigen Maulwurf geht, der ans Meer reist.