Heimreise und Fazit
Im Grunde ist es eine Tragödie: Niemand mag die Heimreise. Sämtliche Abenteuer sind bestanden, die Reisekasse ist erledigt und schon beim Gedanken an die Arbeit kriegt man miese Laune. Aber nicht heute! Ich bin finster entschlossen, diesmal auch aus dem letzten Tag noch irgendwas Interessantes rauszuholen. Bloß was?
Es gibt eine Burgruine in der Nähe, die könnten wir besichtigen, doch zuerst muss ich überlegen, wie ich heute Abend auf den Autozug komme. Dank des extra toughen Wilbers Fahrwerks liegt die Sitzbank der Africa Single nun bei 93 cm über Normal Null. Mit mir obendrauf ist das eindeutig zu hoch. Ich könnte einen kleinen Menschen mit extra langen Beinen engagieren, der die Honda für mich auf den Zug fährt, aber wo findet man so einen und was kostet er?Zufrieden mit meinem Plan biege ich ab auf die Straße nach Ferrette. Auf einem Felsen hoch über dem Dorf thront Château de Ferrette. Oder das, was davon übrig ist.
Ich parke die Honda vor dem Finanzamt von Ferrette. Da steht sie sicher. Denen fehlt die Phantasie, um sich für den Inhalt meines Tankrucksacks zu interessieren. Mit der Kamera um den Hals - wie jeder brave Tourist - folge ich dem Wegweiser zum Château.
Da ist eine Sache über Burgen, die man wissen muss: Sie liegen meistens oben und es ist jedesmal eine verdammte Kraxelei bis hinauf zum Tor.
Nachdem wir jede Mauer bestaunt und durch jede Schießscharte gezielt haben, wandern wir zurück zum Motorrad. Es geht so steil bergab, dass die Zehen sich vorne in die Motorradstiefel pressen.
Einerlei, wie sehr man trödelt und durch wie viele Schießscharten man glotzt: 45 km bis zum Autozug sind zu wenig, um einen ganzen Tag dafür zu brauchen. So laufen wir schon kurz vor Mittag in Lörrach ein.
Ich parke die Honda am Seiteneingang vom Rathaus. Genau vor den Bürofenstern der Beamten. Falls die mal hochgucken, haben sie mein Motorrad im Blick. Nur dass heute niemand an seinem Schreibtisch sitzt. Die Büros sind dunkel und auch die Fußgängerzone ist für Donnerstagmittag seltsam verlassen.
"Entschuldigung. Wieso ist hier alles zu? Irgendein Feiertag?"
"Ja."
"Welcher denn?"
"Keine Ahnung. Frozen Leichnam, oder so."
Will der mich veralbern? So einen Feiertag gibt es nicht. Wortlos drehe ich mich um und suche weiter nach etwas Essbarem für Pieps und mich.
Es beginnt zu regnen. Ich halte mich nah an den Geschäften. Am Bahnhof hat endlich einer geöffnet: Backwerk. In Dreierreihe stehen die Leute am Tresen an. Der macht heute das Geschäft seines Lebens.
Das Publikum ist bunt gemischt. Sehr bunt sogar. Lörrach ist nicht gerade Beverly Hills oder Baden-Baden, und es ist interessant still in einer Ecke zu sitzen und die Leute zu beobachten. Bloß keinen Blickkontakt.
Lörrach ist aber auch für wirklich gute Dinge bekannt: Für prima Wetter und für den Autozug. Die Gegend gilt als Die Toskana Deutschlands. Der Regen hat sich verzogen und die Sonne brennt im Nu das letzte Wasser aus der Landschaft.
Satt und zufrieden gehe ich zurück zum Motorrad und tuckere das kleine Stück hinüber zum Verladeterminal. Obwohl wir so früh sind, sind wir nicht die Ersten. An der Wartelinie stehen schon zwei Enduros. Einzylinder. Eine Yamaha XT600 und eine der frühen Ténérés.
Inzwischen kommt Thomas angefahren. Ihm gehört der kultige Imbisswagen am Verladebahnhof, wobei Imbiss ein wenig in die Irre führt: Hier gibt es richtig gutes, selbstgekochtes Essen. Thomas ist Koch aus Leidenschaft, auch wenn er in seinem ersten Leben etwas ganz anderes gemacht hat.
Ich freu mich, ihn wiederzusehen und noch mehr freue ich mich auf seine hausgemachten Frikadellen. Wir nehmen zwei. Sie schmecken köstlich.
Inzwischen sind Männer in Orange aufgetaucht und machen die Waggons fertig für die Verladung. Zeit für meinen Plan Autozug. Ich nehme den Tankrucksack runter und hänge ihn hinten ans Gepäck.
Ich bin schon oft auf den Autozug gefahren. Mit Greeny war das nie ein Problem, aber Hopsa hat längere Beine. Zum ersten Mal habe ich ein bisschen Schiss. Vorsichtig rolle ich als erste auf den Zug. Bloß den Kopf unten halten. Ich kann etwa einen Meter vorausgucken. Langsam, aber bloß nicht zu langsam, rolle ich von Waggon zu Waggon bis ganz nach vorne. Geschafft!
Fazit
Dies war schon unsere vierte Reise durch Frankreich. Nach den Vogesen, der Auvergne und Bretagne, waren wir diesmal im Périgord und sind der Route des Grandes Alpes gefolgt von Menton bis zum Genfer See.
In Frankreich gibt es alles, was wir am Motorradreisen lieben. Schmale Landstraßen mit wenig Verkehr, schöne Landschaft, gute Campingplätze, besseres Wetter, und natürlich das französische Essen, Croissants, Käse, Entrecôte und roten Wein. Und dazu wunderbar gelassene Menschen.Pieps und ich bekommen von Frankreich nicht genug. Nächsten Sommer fahren wir wieder hin. Der Autozug ist schon gebucht. Wir wollen nochmal am Fuß der Burg in Beynac zelten, wollen fahren und fotografieren, wollen besichtigen und bestaunen, morgens im Nachtzeug zum Bäcker spazieren, lesen, schlafen, Köpper üben und uns ausruhen.
Wir können es beide kaum erwarten.
Als ich nach 22 Tagen und 3322 gefahrenen Kilometern die Haustür aufschließe, wartet meine Claudia schon mit dem Frühstück auf uns. Nach der - wie üblich - tränenreichen Begrüßung zweier alter Tanten stoßen wir mit Blanchet an und Pieps beginnt zu erzählen...
"Nur Karo hat gesacht, ihr Bruder Dschastin hat gesacht, Franzosen immer nur Schnecken essen un manschmah soga Frösche! Aber stümmt ga nich. Iss bloß 'n Vorteil, näh?!"
"Ja, mein Liebling. Das ist bloß ein dummes Vorurteil. Franzosen essen ab und zu etwas, das heißt Escargot, aber das ist sehr lecker und überhaupt nicht eklig."
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