Im Gauja Nationalpark
Das Rauschen der Brandung dringt ganz allmählich in mein Bewusstsein. Ich schlage die Augen auf. Eine dichte Wolkendecke taucht das Zelt in gemütliches Halbdunkel. Es sieht nach Regen aus.
Auf diese Weise irre ich mit dem Motorrad durch die Straßen der Großstadt. Majestätische Stadthäuser aus einer anderen Zeit, ganz aus dunklem Holz, heute in verschiedenen Stadien des Verfalls, viele Fenster und Türen vergittert und vernagelt.
Von den Bauten, die Riga so berühmt machen, bekomme ich nichts zu sehen, dafür eine Menge von dem, wo Reisebusse nicht anhalten. Nein, die Stadt interessiert mich nicht. In Metropolen nehme ich nur das Hässliche wahr, ahne Schmutz und Verbrechen. Ich bin ein Mädchen vom Lande und froh, wenn ich wieder in der Pampa bin.
Nicht weit hinter Riga fahre ich auf einer abgelegenen Landstraße durch den Wald, als ich an einem Soldatenfriedhof vorbeirausche.
Ich stelle das Motorrad auf einem Waldweg ab und schlendere zwischen den Grabkreuzen hindurch. 38 deutsche und 79 russische Soldaten liegen hier begraben. Sie sind bei Gefechten im Herbst 1917 gefallen.
Der Ort ergreift und deprimiert mich zugleich. Ich mache ein paar Fotos und fahre weiter, bevor der morbide Charme des alten Waldfriedhofs mich unterkriegt.
Heute fahre ich in den Gauja Nationalpark, den ältesten und größten Nationalpark Lettlands. Morgen werde ich einen Jokertag einlegen und auf Entdeckungsreise gehen.
Die erste Stadt im Park ist Sigulda. Hier will ich einkaufen, denn bis zum Campingplatz wird es dazu vielleicht keine Gelegenheit mehr geben. Ich halte bei einem Rimi 1000 und hole mir ein paar große Stücke Schweinebraten aus der heißen Theke.
Das Wetter ist trübe und auch ich bin heute in keiner fröhlichen Stimmung. Ich reiße die Kilometer ohne rechte Begeisterung ab und als ich in Straup ein altes Schloss am Straßenrand entdecke, bin ich froh über die Abwechslung und halte an.
Vom Besucherparkplatz stiefele ich den Sandweg hinüber zum Schloss. Schloss Lielstraupe sieht ein wenig abgewohnt aus, aber das mag ich leiden. So ein Schloss sieht gebraucht viel echter aus, als die nagelneu hergerichteten Burgen, die wirken, als seien sie erst gestern für die Reisebusse dort aufgestellt worden.
Bevor die Patienten noch recht auf das ältere Dämchen in Motorradklamotten aufmerksam werden, drehe ich bei und gehe zurück zum Parkplatz. Nein, als Sehenswürdigkeit ist Lielstraupe nicht zu gebrauchen.
Schon als ich die Enduro vor dem Häuschen mit der Rezeption abstelle und mich umsehe, fällt mir auf, wie gepflegt und modern die Anlage wirkt. Der Mann am Empfang spricht perfekt Englisch und ich habe Glück, es sind genügend Plätze frei.
"WiFi is everywhere. 3 antennas, 3 networks and it's free. If you need anything, just ask", sagt er auf seine herzliche und super freundliche Art. Ich fühle mich sofort wie zuhause.
Ich breche mit Pieps zu einer Platzrunde auf. Im Fernsehraum läuft die Fußball EM 2016. Ein paar Schweizer sehen sich das Spiel England - Wales an.
Ich setze mich dazu und reiße genüsslich eine Dose Bier auf. Ein Wohnmobil aus Italien fährt im Schritttempo vorbei und biegt auf 'meine' Campingwiese ein. Salvatore Caravan viaggio steht auf der Fahrertür geschrieben, Salvatores Campingreisen.
Am Volant sitzt Salvatore himself und ihm folgen dicht an dicht sieben weitere Campingwagen voller Best Ager. Salvatore regelt alles: Er verhandelt mit der Rezeption, weist Plätze zu und weiß auf jedes Problem seiner Küken eine Antwort.
Kurz darauf steht eine Wagenburg aus acht Wohnmobile zwischen mir und der Aussicht. Salvatore trommelt die Männern zusammen, um sämtliche Picknickbänke einzusammeln und zu einer Festtafel für 16 Personen aufzubauen.
Sollte Salvatore unseren Tisch anrühren, gibt es Strafstoß gegen Italien. Meine Laune ist nicht die Beste. Erst als ich den Abendbrottisch für Pieps und mich vorbereite und den fetten Braten auf den Teller lege, steigt die Stimmung wieder.
Und die ganze Zeit wird laut palavert und gelacht. Hätte ich bloß unten am Seeufer gezeltet. Da sind zwar die Mücken, aber gegen die gibt es wenigstens ein Spray.
Wie können diese Menschen bloß dermaßen jedes Klischee erfüllen, das man über Italiener haben kann, inklusive Nudeln, Rotwein, Palaver und Goldkettchen? Die Deutschen sitzen hier doch auch nicht bei Schweinebraten mit Senf, trinken Bier und lästern mit vollem Mund sauertöpfisch über die Nachbarn ab.
zum nächsten Tag...
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Das war ein eintöniger Fahrtag. Lettland finde ich bisher nicht sehr begeisternd, aber ich habe ja auch noch nicht viel gesehen.