Durchs Hinterland
Der Regen hat gerade aufgehört, als ich vom Campingplatz aufbreche und Richtung Moletai fahre. Die Enduro bollert gedämpft durch den tropfnassen Wald. Wird das der erste Regentag der Reise? Noch liegt die orange Regenkombi eingerollt im Gepäck.
Ich biege auf die Landstraße ein und wundere mich über den starken Verkehr. Wasser steht auf der Fahrbahn und ich fahre in der Gischt und dem aufgewirbelten Dreck hinter einem Laster her. An Überholen ist nicht zu denken.
Als ich eine große Raststation sehe, setze ich den Blinker und fahre unter das breite Dach der Tankstelle. Ich tanke voll und sehe mir die Kette an. Die muss dringend geschmiert werden. Ich sprühe sie mit SX90 ein und gehe frühstücken.
An der Kasse bezahle ich Benzin und Kaffee und suche mir ein Stück Gebäck aus. Eine Käsestange mit Sesam, die so dick gefüllt ist, dass der Käse an den Seiten rausquillt, doch der erste Bissen ist eine Überraschung: Das ist nicht Käse, das ist Marzipan! Ich hätte besser einen Hotdog nehmen sollen, denke ich, aber zumindest Pieps ist begeistert.
Inzwischen sind zwei Minibusse vorgefahren und Dutzende Frauen entern die Tankstelle. Die Fahrer stehen mit ernsten Gesichtern bei den Bussen und rauchen. Innerhalb von Sekunden bildet sich eine Schlange am Kaffeeautomaten und vor der Toilette.
Hinter Moletai wird der Regen stärker. Die Straße führt schnurgerade zum Horizont und wenn ich dort angekommen bin, dann geht es geradeaus weiter zum Nächsten. In meinem Kokon aus Regenkombi und Melkerhandschuhen sitze ich warm und trocken und schaue durch das nasse Visier hinaus in die öde Landschaft. Jeder Motorradfahrer kennt diese Tage: Regen, stürmischer Wind von vorne und miese Laune.
Nach einer Weile biege ich von der Hauptstrecke ab und schon kurz darauf endet die Asphaltdecke. Der Regen lässt nach, aber man muss kein Kachelmann sein, um den Himmel voraus zu lesen. Entweder ist das schon Independence Day III, oder die böse Stiefmutter aller Unwetterhimmel.
An der nächsten Tankstelle halte ich wieder an. Zwei Biker aus Kaiserslautern stehen unter dem Dach der Tankstelle und machen sich gerade startbereit. Sie rauchen noch rasch eine Zigarette und ich stelle mich dazu, aber die haben selbst so miese Laune, dass sich kein Gespräch ergibt, außer einem kurzen "Shice Wetter" und "Gute Fahrt."
Die Piste ist wirklich die Hölle. Ich blicke in den Rückspiegel und sehe, dass mein Gepäck verrutscht ist. Der blaue Zeltsack ist nur noch in einem Spiegel zu sehen und nicht mehr in beiden, wie noch vor ein paar Minuten. Ich halte an und rette das Zelt vor dem Abwurf. Sowas ist mir noch nie passiert. Außerdem fehlt die Dose Bier, die ich unters Gepäckgummi geklemmt hatte. Das allerdings ist mir schon passiert: Auf dem Aursjönvegen, einer der tollsten Strecken die ich gefahren bin.
Der Campingplatz liegt am Ortsrand auf einem alten, wunderbar erhaltenen Gutshof. Kurz bevor ich das Dorf erreiche, endet die Piste. Langsam rolle ich über die schwarz geteerte Straße an der Basilika vorbei. Sie ist groß, überraschend groß für eine so kleine Siedlung im Nirgendwo. Die werde ich mir noch näher ansehen, aber zuerst will ich das Zelt aufstellen, denn es sieht schon wieder nach Regen aus.
Camping Kurtuvenai gehört zum Gutshofpark. Das Anwesen wirkt nobel und gepflegt, wie ein edles Gestüt. Die Wege geharkt, die Wiesen gemäht, Hecken und Bäume beschnitten. Sogar die Hinweisschilder sind auf rustikale Weise stilvoll.
Der Platz ist viel moderner, als es das hölzerne Servicehaus vermuten lässt. Wenn man eintritt, ist es wie ein Gang durch den Time Tunnel: Waschräume, Duschen, die Küche, alles neu und hochmodern. Ich bin so begeistert, dass ich gleich zwei Nächte buche. Hier hole ich den verlorenen Jokertag der Apfelinsel nach.
Dalia zeigt mir das Servicehaus und auch wo ich Strom zum Laden meiner Akkus finde. Ich zahle 20 € und mache mich auf die Suche nach dem schönsten Stellplatz.
Es sieht nach Regen aus, aber das schaffe ich noch. Ich ziehe das Zelt aus seinem Beutel, breite den Boden aus und fixiere ihn mit Heringen. Das Gras ist perfekt und die Heringe lassen sich mühelos in den Boden stecken.
Der Point-of-no-Return ist gerade überschritten, all mein Kram liegt ausgebreitet im Gras, da beginnt es zu regnen, anfangs zaghaft und dann immer kräftiger. So ein Mist! In Windeseile baue ich das Zelt auf, ohne einen Gedanken an die saubere Abspannung und an Sturmleinen zu verschwenden. Ich will nur schnell aus dem Regen.
Der Regen hört so schlagartig auf, wie er begonnen hat und kurz darauf scheint wieder die Sonne. Ich schnappe mir Pieps und wir starten zu unserer traditionellen Platzrunde, einer kleinen diesmal, denn Camp Kurtuvenai hat nur 15 Stellplätze. Dafür ist er wunderschön angelegt, wie ein Park komplett mit Fischteich und Enten.
Die Ehefrau lenkt das Gespräch auf die bevorstehende Abstimmung der Engländer über den Brexit und wir sind uns alle einig, dass es dazu nicht kommen wird. Sämtliche Prognosen sprechen für einen Verbleib der Engländer in der EU. Alles andere wäre "total Madness".
Während ich neben dem Wohnmobil stehe und wir uns durch das geöffnete Seitenfenster unterhalten, geht der nächste Schauer nieder. Ich verziehe mich hastig ins Zelt. Gerade rechtzeitig, denn die Beiden fangen an vom Erfolg ihrer Kinder zu schwärmen, wieviel Geld sie verdienen, die Enkelkinder und das tolle Haus am Strand. Ich kann solche Geschichten nicht ausstehen, die langweilen mich zu Tode.
Morgen legen Pieps und ich einen Jokertag ein. Wir werden ausschlafen und vormittags zum Berg der Kreuze fahren. Das ist eine der großen nationalen Gedenkstätten Litauens und gehört zum Standardprogramm jeder Baltikumsreise. Ich hab keine Ahnung, ob sich das lohnt, aber er liegt nur eine halbe Stunde entfernt und falls es blöd ist, drehe ich einfach wieder um.
Abends mache ich uns eine kleine Käseplatte zurecht und öffne eine Flasche Rotwein. Käse und Wein im Schlafsack, das ist so ungefähr der Gipfel von Gemütlichkeit im Zelt.
Im Reiseführer stand, man möge das nicht mit Unfreundlichkeit verwechseln. Es sei einfach nicht üblich, Fremde anzulächeln. Seitdem ich das weiß, starre ich kalt zurück. Tatsächlich, das fühlt sich gut an.
zum nächsten Tag...
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Der Campingplatz ist klasse und ich freu mich auf den Jokertag morgen. Ob sich der Berg der Kreuze lohnt? Viel verspreche ich mir davon nicht, aber das hatte ich vom Grukas Park vorher auch nicht. Ich werde ihn mir einfach ganz unvoreingenommen ansehen...