Drei Burgen
In unseren Breiten spricht man von einer tropischen Nacht, wenn das Thermometer bis zum Morgen nicht unter 20°C fällt. In Deutschland sind sie selten, wir erleben kaum eine pro Jahr, aber heute Nacht in Estland ist die Temperatur im Zelt nicht unter 22° gefallen. Eine Tropennacht im Baltikum, hoch im Norden und tief im Osten. Wie gut, dass ich mich für den leichten Sommerschlafsack entschieden habe.
Nach einer Stunde stehe ich am Fähranleger. Es bleibt gerade genügend Zeit, um ein Foto zu machen, da springt die Ampel auf der Schilderbrücke über Lane 1 auf Grün und wir dürfen an Bord. Hastig setze ich den Helm auf, starte den Motor und fahre ohne Handschuhe durch die weit geöffnete Bugklappe aufs Schiff.
"Tärää!" trompetet mir die Frau an der Kasse entgegen. Tärää? Was soll das sein? Ich sehe sie misstrauisch an, sage kühl: "Hallo" und bezahle 7,85 € für das Frühstück. Als ich das Tablett aufnehme und mich zum Gehen wende, schallt es hinter mir erneut "Tärää!"
Zuviel Benjamin Blümchen gehört? Der Sache werde ich auf den Grund gehen, sowie ich wieder zuhause bin. Sorgsam schreibe ich "Tärää" in mein Tagebuch und male ein dickes Fragezeichen dahinter.
Später erfahre ich, dass es "Tere!" heißt und sowohl hallo, als auch tschüss bedeutet, aber so wie die Esten es aussprechen, klingt es tatsächlich ein wenig nach Benjamins "Törööö...!"
Nach einer halben Stunde legt die Fähre an und Minuten später bin ich schon auf der Nationalstraße 9 in Richtung Tallinn unterwegs. Von Zeit zu Zeit folge ich einer der braunen Hinweistafeln zu einer unbekannten Sehenswürdigkeit.
Gleich der erste Abstecher führt nach Koluvere zur alten Bischofsburg Lohde. Die Burg wurde mit EU-Mitteln aufwendig restauriert und ist nun in Privatbesitz. Durch die vielen Bäume ist nicht viel zu erkennen und nach wenigen Minuten setze ich mich wieder aufs Motorrad und fahre zurück auf die Landstraße.
Die Seite ist eine unschätzbare Quelle bei der Reiseplanung gewesen und auch die nächste Burg habe ich dort gefunden, Schloss Laitse. Heute ist in dem ehemaligen Rittergut ein Hotel untergebracht. Das Einzelzimmer kostet 70 € pro Nacht. Nicht zu viel, denke ich, als ich ehrfürchtig zum Turmzimmer hinaufblicke.
Dafür sind die Rasenflächen perfekt grün, dicht und eben, sämtliche Einrichtungen und die Waschhäuser erstklassig. Ich stelle das Motorrad ab und beeile mich, das Zelt aufzustellen, denn es dürfte jeden Moment anfangen zu regnen.
Ich drücke just den letzten Zelthering in den Rasen, da setzt ein Gewitterregen ein, der sogar einem Campingplatz am Amazonas zur Ehre gereichen würde. Falls es dort Campingplätze gibt. Ich schnappe mir Pieps und renne mit ihr hinüber in die Rezeption.
Das muss auch Spaß machen, denn die Menschen sehen glücklich aus, doch für mich ist es noch immer das Reisen auf dem leichten Motorrad mit Zelt und Schlafsack, das Entdecken, das Fotografieren, nass werden, frieren, schwitzen, auf dem Boden schlafen und am Ende des Tages vorm Zelt ein Stück Fleisch braten, bevor ich schließlich völlig erledigt in meinen Schlafsack krabbele, noch ein paar Seiten lese und dann so gut schlafe, wie ich das im Zelt immer tue.
In Svendura verbinden sich all meine Hobbys, meine Interessen und Leidenschaften zu einer, das Motorradfahren, Endurowandern, Fotografieren, Zelten und Lesen im Sommer, das Schreiben, Webdesign, Bildbearbeitung und neue Reiseplanung im Winter.
Dieses Mantra murmele ich starrköpfig vor mich hin, während ich durch das nasse Gras zurück zum Zelt stapfe, denn gerade ist die Stelle mit Schwitzen und Nasswerden dran, die bloß dann romantisch klingt, wenn man davon liest.
Ich stelle den Wecker in meinem Reisehandy auf 6 Uhr und sehe mir auf der Landkarte die Route für Morgen noch einmal genau an.
zum nächsten Tag...
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Das war ein reiner Fahrtag, um für Morgen früh eine gute Startposition nach Tallinn zu haben. Hoffentlich klappt alles mit den Fähren.