Tag 6 - Carsphairn - Dunoon
Meine erste Nacht in Bed & Breakfast ist perfekt. Ausgeruht und in 1a Premiumlaune hüpfe ich aus dem Bett, male mir noch schnell ein neues Gesicht und eile nach unten in die Küche.
Marian schneidet gerade die Pilze für mein Full Scottish Breakfast. Eigentlich sollte ich im Guest Room sitzen, aber ich darf mit den Beiden in der Küche frühstücken, was mich sehr freut, denn ich liebe es, mich zu unterhalten.Ian stellt mir als Vorspeise einen Krug Milch und Cereals hin (=Cerealien, Müsli und so Zeug). So gesund die Engländer und Schotten auch frühstücken, vorher gibts immer noch Müsli und Cornflakes. Ich lehne entrüstet ab.
Endlich sind die Sausages und der Bacon fertig. Hungrig falle ich darüber her und wolfe alles in kürzester Zeit in mich hinein. Das wird sicher ein toller Tag, denn heute fahre ich nach Dunoon, wo ich Sabine besuchen will. Wir kennen uns bisher nur über unsere Blogs.
Straße in Südschottland auf dem Weg nach Ayr
Die Strecke nach Ayr lege ich in vollkommener Einsamkeit zurück. Erst als ich auf die Stadt zukomme, werden die Straßen breiter und ich düse in dichter Folge durch mehrere Roundabouts. Inzwischen habe ich den Bogen raus und es macht sogar Spaß, die Maschine im Kreisel abzuwinkeln und im zweiten Gang mit Power in die Ausfahrt zu beschleunigen.
Die Küstenstraße führt direkt am Firth of Clyde entlang und schon bald sehe ich in der Ferne einen Berg aus dem Wasser ragen. Da drüben liegt Dunoon. Jetzt muss ich nur noch nach Gourock und dort den Weg zum Fähranleger finden.
Ich orientiere mich an der Karte in meinem Tankrucksack. Die Route habe ich zuhause mit Textmarker eingezeichnet. Die Karte ist schon ziemlich zerknickt und etwas feucht geworden ist sie auch, aber das macht weder der Karte noch mir etwas aus. Ich fahre gerne nach Karte. Mit einem Navi am Motorrad kann ich mich noch nicht anfreunden, denn ich habe Angst, dass es von da bis zum Bluetooth gesteuerten Schuberth Helm mit Handyempfang nur noch ein kleiner Schritt ist.
Blick über den Firth of Clyde nach Dunoon
Jetzt ist es nicht mehr weit bis zur Fähre nach Dunoon
Als die Fähre in den Hafen einläuft, ist es ein alter Rostklopfer mit dem schwarzen Rumpf der Caledonian MacBrayne Reederei. Ich mag diese Schiffe, denn sie sehen aus, als könnten sie ihren Job auch bei schlechtem Wetter noch prima erledigen.
Beim Ablegen sind an Bord nur eine Handvoll Autos und eine dicke fette BMW GS, die mit mehr Gepäck beladen ist, als ich in meinem ganzen Leben besessen habe.
Zusätzlich ist an dem Motorrad jedes Zubehör aus dem Touratech Katalog verbaut, dass auch nur im entferntesten verspricht, noch etwas mehr Gewicht auf die Maschine zu bringen.
Während ich noch über die unterschiedlichen Ansprüche an das Urlaubsgepäck nachdenke, legt die Fähre mit einem ohrenbetäubenden Tuten vom Kai ab.
Green Cow aboard Dunoon Ferry Saturn
Dort muss ich mir am Eingang die Hände desinfizieren, indem ich sie einmal unter einen automatischen Sprüher halte. Sowas habe ich noch nie gesehen. Ob sie das wegen der aktuellen EHEC Hysterie installiert haben?
Ich nehme den Kaffee mit an Deck und lasse mir den Wind um die Nase wehen, da kommt auch schon die malerische Hafenanlage von Dunoon in Sicht.
Sabine hat in dem kleinen Küstenort ein Hotelzimmer für mich gebucht und die Anfahrtskizze dorthin liegt oben auf im Kartenfach meines Tankrucksacks. In diesem Augenblick legt die Fähre an und Sekunden später fahren wir von Bord. Das Western Hotel liegt in einer kleinen Häuserzeile neben anderen Hotels direkt am Wasser. Ich stelle das Motorrad vor dem großen Fenster der Lobby ab und wundere mich, dass soviele Inder darin sitzen. Jedenfalls tragen alle Hotelgäste einen Turban.
Die Inder wiederum sind genauso verwundert darüber, mich zu sehen. Einer von ihnen kommt sofort angelaufen und fragt, was ich hier will. "I have a reservation", antworte ich. "You're sure?", stellt er mich infrage und ahnt nicht, wie mich sowas aufregt.
"Of course, I'm sure! Svenja Kühnke from Germany and now...", als ich vor dem Hotel zwei Häuser weiter einen Mann sehe, der mich lachend zu sich heranwinkt.
Es ist Berry, der Inhaber des West End Hotels. Er ist Schotte, trägt vermutlich deshalb keinen Turban und hat mich außerdem bereits erwartet. Ich stehe nämlich irrtümlich vorm Western Hotel, anstatt vorm West End Hotel.
Der kleine Inder mit dem Turban auf dem Kopf lacht mich freundlich an und sagt: "Don't worry, that happens quite often."
Doofe Inder, denke ich. Hätten die ihren Laden zur besseren Unterscheidung nicht "Tadsch Mahal" nennen können, oder wenigstens "Zur Post"?
Das West End Hotel ist ein gemütlicher alter Plüschkarton wie aus einem Miss Marple Film und ich fühle mich auf Anhieb wohl. Der Kasten hat sicher schon bessere Tage gesehen, aber es ist sehr sauber und gepflegt.
Berry führt mich zu meinem Zimmer und als ich die Tür öffne, entfährt mir unwillkürlich ein lautes "Wow!" Ich habe das Turmzimmer im zweiten Stock mit einem wunderschönen Blick aufs Meer. Dabei kostet die Übernachtung bloß 29 £ mit Frühstück. Und einen kleinen Pub gibt es im Erdgeschoss auch noch. Vielleicht komme ich dort ja heute zu meinem ersten Besuch in einem Pub? Es bleibt nicht viel Zeit zum Aufbrezeln, denn Sabine wird mich gleich abholen. In Windeseile werde ich die Motorradklamotten los, werfe mich in einen Jeansmini, etwas Pinkes, ein paar Pumps und los gehts.
Sabine nimmt mich mit nachhause, wo nicht nur ihre Familie auf mich wartet, sondern auch ein sagenhaft großer, fetter Schweinebraten mit Kruste, genau so, wie ich es mag.
Wir unterhalten uns stundenlang über Gott und die Welt, essen, trinken Tee und merken kaum wie die Zeit vergeht.
Von Sabine erhalte ich Einblick in das schottische Alltagsleben, wie ich ihn als Touristin sonst nicht bekommen hätte.
Es ist schon spät, als ich mich verabschiede und durch die nächtlichen Straßen zurück zum Hotel stöckele.
In der Lobby brennt nur noch das Nachtlicht, aber in der kleinen Bar im Erdgeschoss scheint noch etwas los zu sein.
Das will ich mir ansehen. Ich bin nämlich total neugierig darauf, wie die Schotten im Pub drauf sind und ob sich die Stimmung wesentlich von der in Eddis Bierschwemme unterscheidet. Ich bin zwar nicht besonders angezogen und mein MakeUp könnte auch eine kleine Auffrischung vertragen, aber für ein letztes Bier vorm Schlafengehen und um mich kurz umzusehen, wird es wohl reichen.
Wenn ich heute gefragt werde, wie es dazu gekommen ist, dass ich schließlich als Barfrau hinterm Tresen gestanden habe, dann lässt sich das nur noch schwer beantworten. "Es hat sich einfach so ergeben.", trifft es noch am ehesten. Dabei fing alles ganz harmlos an. Ich öffne die Tür, stöckele mit klackernden Absätzen die wenigen Stufen ins Pub hinunter und setze mich auf einen freien Platz an der Bar, wie ich es schon hundert Mal zuvor an anderen Abenden in anderen Bars getan habe.
Ich bestelle ein Pint of Lager und setze Pieps auf den Tresen neben mein Bier. Sofort komme ich mit dem Barmann ins Gespräch, der von Pieps begeistert ist. Das ist "Mac Pieps the Mouse", stelle ich das kleine Plüschtier im Kilt vor und schnell nimmt der Abend Fahrt auf.
Als ich einige Zeit später hinterm Tresen ein Bitter aus einem der vielen Zapfhähne in ein großes Glas laufen lasse, nehme ich mir fest vor, in Zukunft keine blöden Fragen mehr zu stellen, wie: "What is it like, to work behind a bar with so many different beer taps...?"
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