Tag 22 - Great Yarmouth - Harwich
Heute ist mein letzter Tag in England. Es ist 7:41 Uhr und ich bin startklar. Die Isomatte ist eingerollt, der Schlafsack gestopft und das Zelt trocken abgebaut.
Die Fähre legt heute abend von Harwich ab und morgen bin ich schon wieder in Dänemark, von wo es nur noch ein Katzensprung nach Hause ist.
Nach einer Stunde erreiche ich die erste Stadt. Es ist Beccles und ich beschließe, mir hier ein Frühstück zu suchen. Inzwischen habe ich mich richtig daran gewöhnt, morgens bei der ersten Gelegenheit anzuhalten und zu frühstücken.
Das Motorrad stelle ich vor einer hübschen Konditorei im Zentrum von Beccles ab. Bevor ich mich hineinsetze, gehe ich schräg gegenüber zu CoOp, um Lebensmittel für die Überfahrt einzukaufen. An Bord kostet ein Sandwich 6 € und bei dem Preis vergeht mir der Appetit.
Ich kaufe eine Dose Chili con Carne, die man prima kalt essen kann und zwei Dosen Bier dazu. Außerdem habe ich noch etwas Shortbread, das soll reichen. Den Einkauf verstaue ich im Tankrucksack und sehe mir danach neugierig die Speisekarte der Konditorei an. Kaffee trägt darauf die merkwürdigsten Namen und kostet unverschämt. Das scheint so eine Kette wie Starbucks zu sein, teuer und trendy. Nein, da fühle ich mich zuhause schon nicht wohl. Das ist irgendwie nicht echt, sondern wirkt alles nur gemacht. Im zweiten Gang tuckere ich auf dem Motorrad langsam durch die weniger schicken Seitenstraßen und entdecke das Town House Café. Die Zielgruppe hier ist klar: Arbeiter und Handwerker, die Hunger haben und Wert auf heißes Essen und günstige Preise legen. Das ist genau mein Laden. Die Bedienung am Tresen nennt mich Darling als sie nach meiner Bestellung fragt. Mit ein paar Scheiben Toast, etwas Butter und einer Tasse White Coffee setze ich mich an einen der billigen, aber sauberen Resopaltische. Natürlich liegt auch hier die SUN auf dem Tisch. Auf der Titelseite prangt fettgedruckt die Frage "How German are you?". Nach Meinung der SUN tragen wir Deutschen gerne Socken und Sandalen, rasieren uns nie die Achseln, bauen dafür aber super Autos. Nun, auf mich trifft nichts davon zu, aber der Test ist trotzdem lustig.
Der restliche Weg zur Fähre geht jetzt schnell, denn immer häufiger lese ich das Schild "Dual carriage way" und es geht zweispurig weiter.
In Ipswich fahre ich über die große Brücke, kann aber kaum etwas sehen, weil das Geländer so hoch ist. Ausgerechnet jetzt fängt es an zu regnen, aber ich habe schon vorher die Regenkombi angezogen und reite den kurzen Schauer einfach ab.
In Harwich haben die Engländer sich noch einmal eine ganz besondere Gemeinheit für mich ausgedacht: Das letzte Geschäft auf englischem Boden, direkt hinter der Zufahrt zum Harwich International Port, ist ausgerechnet ein Schuhgeschäft. Nicht irgend ein kleiner Laden, sondern ein Brantano Megastore mit unglaublichen Angeboten. Oh, sind die gemein die Engländer.
Ich halte kurz an, auch wenn ich genau weiß, dass ich nichts kaufen werde. Aber wenigstens etwas umschauen möchte ich mich bei Brantano. Als Frau habe ich zum Glück die Fähigkeit, mich jederzeit umzuentscheiden und so kaufe ich schließlich doch wenigstens eine Kleinigkeit. Gummistiefel zum Minirock sind in England der letzte Schrei und sogar in den Schottischen Highlands habe ich sie im Straßenbild gesehen.
Als Europäische Mode-Missionarin beschließe ich, diesen Look auch in Kiel ein wenig populärer zu machen und kaufe ein paar flippige, bunte Wellies mit dem Union Jack drauf. Die werden total geil aussehen zum Minikleid mit dünnen Strumpfhosen.
Dann kaufe ich für Claudia noch eine Handtasche und für mich ein weiteres Paar weiße Ballerinas mit Schleifchen vorne drauf.
Ich steh auf Ballerinas und auch wenn ich schon zwei Paar weiße zu hause habe, brauche ich diese unbedingt auch noch. Bei meinen ist die Schleife irgendwie anders gebunden und das Weiss ist auch ein bisschen anders...
Es ist gar nicht so einfach, die Tasche mit den Schuhen auf dem Motorrad unterzubringen, aber notfalls hänge ich mir die Tüte eben an den Lenker. Sie passt aber gerade noch unter die Gepäckgummis, die auch das Zelt halten. Zufrieden lege ich die letzten Meter zum Hafen zurück und stehe als zweites Fahrzeug am Terminal von DFDS Seaways. Ich bin ein paar Stunden zu früh dran, aber das macht nichts, denn ich setze mich in das völlig leere Wartehaus und ziehe mir einen Kaffee aus einem der vielen Automaten. Während draußen ein sagenhaftes Gewitter mit vielen Blitzen niedergeht, sammele ich die letzten Münzen aus meiner Hosentasche und füttere damit den Kaffeeautomaten. Jetzt habe ich Zeit, die letzten Erlebnisse in mein Reisetagebuch zu schreiben. Inzwischen liebe ich das englische Wetter, denn es ist so wechselhaft, dass auch immer wieder die Sonne scheint. Kurz darauf stehe ich mit der Green Cow bei strahlendem Sonnenschein am zweiten Wartepunkt direkt vor der Fähre. Jetzt dürfen wir gleich an Bord. Die Motorradstellplätze an Bord der Dana Sirena sind prima vorbereitet. Es gibt genügend Befestigungspunkte für die reichlich vorhandenen, nagelneuen Spanngurte und im Nu steht die Kawasaki sicher vertäut unter Deck. Wie immer nehme ich nur den Tankrucksack mit in die Kabine, alles andere bleibt am Motorrad. Das Auslaufen des Schiffes erlebe ich auf dem hinteren Sonnendeck, wo ein Soulsänger mit seiner Gitarre romantische Songs von Liebe und Fernweh singt. Ich muss aufpassen, dass ich nicht zu heulen anfange, denn durch die schöne Musik falle ich in eine warme, melancholische Stimmung, während England allmählich achteraus verschwindet.
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