Tag 18 - Osmotherley - Pocklington
Seit einer Viertelstunde liege ich wach in meinem Schlafsack und genieße für eine Weile noch die kuschelige Bettwärme. Auch heute Nacht habe ich wieder super geschlafen, aber draußen regnet es und am liebsten würde ich einfach liegenbleiben.
Ja, schon, aber ganz bestimmt nicht hier in Cote Ghyll, denn der Platz ist total doof und deshalb stehe ich jetzt auch auf.Im Waschhaus ist an diesem Samstagmorgen schon ordentlich Betrieb. Während es draußen in Strömen regnet, stehen ein halbes Dutzend Mütter mit ihren Töchtern im geheizten Waschraum und gehen ihren elterlichen Pflichten nach: Sie beaufsichtigen die Mädchen beim Waschen und Zähneputzen, flechten Zöpfe und schlichten kleine Streitereien.
Ich stelle mich mittendrin an das einzige freie Waschbecken und fühle mich überhaupt nicht wohl in meiner Haut. Mir wird in diesem Moment bewusst, dass ich alle anderen um mindestens einen Kopf überrage und zwar nicht nur die Kinder.
Nach ein paar kurzen Seitenblicken auf die große, dunkle Frau, die von Kopf bis Fuß in schwarze Motorradsachen gekleidet ist, werde ich von niemandem weiter beachtet. Ich habe mich schon daran gewöhnt, dass es in diesem Land keine Einzelwaschkabinen gibt und bin inzwischen der Meinung, dass die Bedeutung von Intimsphäre ohnehin weit überschätzt wird.
Ausgiebig putze ich mir die Zähne, stecke die Haare mit einer Spange zur Helmfrisur und male mir ein Gesicht für den Tag, etwas MakeUp, ein dünner schwarzer Lidstrich und eine großzügige Portion Wimperntusche. In bester Laune schneide ich meinem Spiegelbild eine blöde Grimasse und stapfe durch die Pfützen zurück zum Zelt.
In Rekordzeit bin ich abreisebereit und fahre, eingehüllt in meine Regenkombi, tiefer in den North York Moors National Park hinein. Schon wenige hundert Meter hinter dem Campingplatz bin ich wie in einer anderen Welt. Mit seinen dichten Farnwäldern, den alten Bäumen und der schmalen, gewundenen Straße wirkt der Park wie eine Zauberlandschaft aus Der Herr der Ringe. Mein Plan ist es, heute bis nach Pocklington zu fahren, wo ich vor zwei Wochen bei bestem Wetter gezeltet habe und ich freue mich schon jetzt auf die Wärme und den Sonnenschein dort. Ich hoffe nur, dass sie am Wetter nichts geändert haben, dann kann ich heute abend im T-Shirt draußen sitzen und Fleisch braten.
Langsam fahre ich mit dem Motorrad durch den kleinen Ort Hovingham und sehe aus den Augenwinkeln ein Schild, auf dem Tearoom stehen könnte, oder steht es nicht? Ich lese nur Spa_oom. Ich bin schon beinahe wieder aus Hovingham heraus, als endlich der Entschluss fällt: Bremsen, anhalten, umdrehen, zurückfahren und — hoffentlich — frühstücken! Das einzig Schäbige am Spa Tearoom ist tatsächlich das Schild an der Wand, denn innen erwartet mich ein geschmackvoll eingerichteter Gastraum, wo aus unsichtbaren Lautsprechern leise ein klassisches Klavierkonzert zu hören ist.
Eine Dame in einem eleganten Kostüm steht hinter dem Tresen und faltet Servietten. Sie ist very british und wirkt leicht unterkühlt. Diese distanzierte Art mancher Briten verunsichert mich, weil sie mir stets etwas abweisend vorkommt.
Entschlossen gehe ich deshalb zum Gegenangriff über, indem ich sie mit Freundlichkeiten zu ihrem Lokal überschütte. Ich lobe die geschmackvolle Einrichtung, preise die angenehme Musik und füge mindestens zweimal das Wort lovely in meinen Vortrag ein. Schon vor dem Ende meiner kleinen Ansprache geht ein freundliches Lächeln über ihr Gesicht und wir fühlen uns beide wohler.
Ich bestelle Kaffee, Roggentoast mit Butter und zum Nachtisch ein Slice of Rhubarb and Strawberry Cake. Rhabarberkuchen ist meine Schwäche und der im Hovingham Tearoom ist besonders gut.
Freundlich verabschiede ich mich von der netten Lady aus dem Tearoom und mache mich wieder auf den Weg.
In Norton-on-Derwert halte ich zum Tanken und will auch den Reifendruck kontrollieren. Luft und Wasser sind an englischen Tankstellen allerdings nicht umsonst zu haben. Erst nach meiner Heimkehr werde ich in der Kieler Nachrichten lesen, dass auch in Deutschland das Ende kostenloser Druckluft naht. Doch das kann ich jetzt noch gar nicht wissen....
Ich tippe die Sollwerte des Hinterreifens in das Display des Kompressors, der ungefähr die Größe eines Kühlschranks hat, werfe eine 50 Pence Münze ein und setze den Schlauch aufs Ventil. Es zischt, es piept, alles perfekt. Der Druck hat vorher schon gestimmt. Es ist erst kurz nach Mittag, als ich den South Lea Caravan Park erreiche und die Enduro auf dem Kiesweg vor der Schranke abstelle. Die Rezeption ist leer, die Tür steht offen, aber über die Sprechanlage rufe ich Louise, die Betreiberin des Platzes, herbei. Sie erinnert sich sofort an mich und besteht darauf, dass ich ihr in Kurzform einen Reisebericht der letzten beiden Wochen gebe. Es ist wirklich schön, wieder hier zu sein. Mein Zelt baue ich an derselben Stelle auf, wo es schon am dritten Tag meiner Reise gestanden hat. Für Motorradfahrer mit Zelt ist South Lea geradezu ein Geheimtipp.
Die Rasenflächen sind so weitläufig, dass man selbst mit einer Gruppe von Bikern immer einen prima Platz finden sollte und auf einem besseren Untergrund hat mein Zelt niemals gestanden. Außer vielleicht beim Probeaufbauen in meiner Wohnung, aber da habe ich die Heringe nicht in den Teppich gekriegt...
Anders als noch vor zwei Wochen, stehen heute nagelneue Picknickbänke auf dem Platz. Ich organisiere mir eine davon und stelle sie direkt neben mein Zelt. Das wird mein Abendbrottisch. Aber zuerst einmal muss ich einkaufen fahren.
Ich sattele die Green Cow und fahre zurück nach Pocklington zum Salesbury Supermarkt mit seiner erstklassigen Fleischabteilung. Ich entscheide mich wie immer für mein Lieblingsessen: Rib Eye Steaks, eine kleine Dose Heinz Beanz und eine Flasche Firsty Ferret.
Den Abend verbringe ich genauso, wie ich es liebe. Ich sitze vor meinem Zelt, brate Steaks, trinke ein Bier dazu und schreibe in mein Reisetagebuch, bevor ich recht früh in meinen Schlafsack krabbele, noch ein wenig lese und dann in einen tiefen und erholsamen Premiumschlaf falle. Ein perfekter Urlaub...
weiter zu Tag 19
zurück nach oben