Tag 11 - Scourie - Durness
Drei Frauen stehen dicht nebeneinander an einer langen Reihe von Waschbecken. Sie putzen ihre Zähne, waschen und schminken sich oder zupfen an ihrer Frisur herum. Ich bin die Große mit den dunklen Haaren, die sich gerade die Wimpern tuscht.
Einzelwaschkabinen sind in England und Schottland noch weitgehend unbekannt und so stehe ich, wie jeden Morgen, neben den anderen Frauen gleichmütig vor meinem Waschbecken und tue so, als ob ich ganz alleine wäre.Gesprochen wird dabei kaum. Alle sehen starr geradeaus in den Spiegel und sind bemüht, ihre Nachbarinnen so gut es geht zu ignorieren. Unauffällig werfe ich einen Blick zur Seite. Die Blonde neben mir ist mindestens zehn Jahre jünger und fünf Kilo schlanker als ich, aber dafür könnte man ihre Krähenfüße sogar in Google Street View erkennen. Welch ein schöner Tag.
North and West Highlands Tourist Route zwischen Scourie und Durness
Auf dem Weg nach Durness. Die Schafe ignorieren mich weitgehend
Auf der B801 nach Kinlochbervie
Badcall an der B801
Nach einer Weile wird es noch einsamer, denn jetzt sind sogar die Schafe am Wegesrand verschwunden.
Die Straße wird enger und der Asphalt rauher. Ich bin aufs Neue überwältigt von der wilden Schönheit dieser Landschaft.
Gerade als ich mich frage, ob man auf dieser Straße bis an den Rand der Welt gelangt, komme ich durch ein winziges Dorf.
"Post Office" verkündet ein leuchtend rotes Schild an einer Baracke. Davor steht blitzblank eine Zapfsäule mit Diesel und Bleifrei.
Tankstellen gibt es in den Highlands zur Genüge. Allerdings sind ihre Öffnungszeiten an das zugehörige Geschäft gebunden. Das kann ein Tante Emma Laden sein, ein Hotel, ein Outdoor Shop, oder wie in diesem Fall, ein Postamt.
In Kinlochbervie endet mein Weg am Hafen vor einer großen Halle, in der Fisch verladen wird. Ich wende und fahre zurück nach Rhiconich, wo ich wieder auf die A838 nach Durness einbiege. Durness ist der größte Ort in den nordwestlichen Highlands. Das 400 Seelen Dorf scheint fest in der Hand der MacKays zu sein, eines alten schottischen Clans, der in dieser Gegend schon im 14. Jahrhundert sehr einflussreich war. Der Mittelpunkt von Durness ist der SPAR-Markt der MacKays, zu dem auch zwei Zapfsäulen, ein kleines Postamt und ein funkelnagelneuer Geldautomat gehören. Ich stelle die Kawasaki vor der Zapfsäule ab, nehme den Tankrucksack herunter und fülle zwei Liter Benzin nach.
Ein junger Mann kommt aus dem SPAR-Markt zu mir herüber gelaufen. Er hat seinen Platz an der Supermarktkasse verlassen, um sich zwischendurch kurz als Tankwart zu betätigen. Sowie ich die Münzen zu 3,24 £ in seine Hand gezählt habe, rennt er im Laufschritt zurück in seinen Laden, wo die Kunden an der Kasse geduldig auf ihn warten. Ich schiebe das Motorrad auf die andere Straßenseite und stelle es vorm Eingang ab. Ich brauche Fleisch, Bier und Bohnen. Das Gas zum Kochen wird noch zwei, drei Tage reichen, aber schon bald werde ich mich nach einer neuen Gaskartusche umsehen müssen.
Der Laden verblüfft mich. So ungefähr stelle ich mir eine Handelsstation für Trapper am Yukon vor. Von Baked Beans über Fleisch, Haushaltswaren, frisches Brot, ein Postamt, Benzin, bis zu einer kleinen Campingabteilung mit Schlafsäcken, Isomatten und Brennstoffen gibt es hier alles, was das Trapperherz begehrt.
Sogar eine Ersatzkartusche für meinen Kocher finde ich hier und bin einigermaßen erstaunt, dass sie nicht teurer ist als im Outdoor-Shop zuhause in Kiel.
Der Laden ist überraschend voll und es sind sogar zwei Kassen geöffnet. In einer langen Schlange stehe ich zum Bezahlen an.
Kein Wunder, dass soviel los ist: Entweder man kauft hier ein, oder man fährt 100 km über Single Track Roads bis nach Ullapool oder Lairg zum Einkaufen, wo die Geschäfte auch nicht wesentlich größer sind. Gerade deshalb bin ich so erstaunt, dass die Preise im Laden ganz normal und nicht überhöht sind.
Ich kaufe mir zwei Croissants zu 1,35 £, die großzügig mit Speckwürfeln und Käse überbacken sind. Das Brot ist noch warm und im Nu ist die Papiertüte durchgefettet. Ich mampfe sie draußen genüsslich aus der Tüte in mich hinein und schlendere langsam die Straße hinunter zum Campingplatz, der nur 100 m entfernt liegt.
Der Blick von der Klippe auf dem Campingplatz in Durness
Heute aber ist es sonnig und nur leicht windig. Hier will ich bleiben. Hastig wolfe ich das letzte Croissant herunter und hole mein Motorrad.
Die Rezeption ist verlassen, aber ein Schild fordert mich dazu auf, mir selbst einen Stellplatz zu suchen und abends zum Bezahlen noch einmal wiederzukommen. Ich bin entzückt, wie unkompliziert und sympathisch das ist. Wenn ich mich an der Ostsee einfach auf einen freien Platz mit Seeblick stelle, dann ist die Story am nächsten Tag auf CNN zu sehen, wo ein Reporter hektisch in sein Mikrofon schreit, während im Hintergrund Blaulicht und Absperrband zu sehen sind.
Zu Fuß erkunde ich den Platz, der auf einem weitläufigen Gelände um die Klippe herum liegt. Wie eine Wand stehen die Wohnmobile in der ersten Reihe und versperren den Blick auf die See.
Allerdings gibt es da einen Platz, wo niemand steht. Eine kleine Wiese ganz oben auf der Klippe. Ich bin unschlüssig, wieso steht dort keiner? Das ist doch mit Abstand der schönste Platz? Oder fliegt man, falls Wind aufkommt, wie ein Kitesurfer mit seinem ganzen Gerödel von der Klippe herunter ins Meer? Egal, no risk, no fun! Keine zehn Minuten später steht mein Zelt ganz oben auf dem allerschönsten Platz nur einen Steinwurf vom Rand der Klippe entfernt. Aus meiner Wäscheleine schneide ich zwei zusätzliche Sturmleinen und spanne das Zelt sorgfältig mit allen Leinen und sämtlichen Heringen sicher ab. Die Einrichtungen auf dem Campingplatz sind einfach, aber zweckmäßig. Es gibt eine Küche, die auch als Aufenthaltsraum bei Schlechtwetter dient. Das Kochen auf den alten Gasbrennern kostet nichts und in einer Kiste stehen sogar einige Lebensmittel herum, die man sich nehmen darf. Wie auf allen Campsites zuvor gibt es auch hier eine Stelle, wo man Bücher tauschen kann, aber nur ein zerlesenes "Illuminati" von Dan Brown wartet hier in holländischer Sprache auf einen neuen Leser.
Heute ist Waschtag. Ich hole die Dose mit den zerkrümelten Waschmitteltabs und weiche die Schmutzwäsche gründlich im Waschbecken ein.
Selbst etwas so Doofes wie Wäschewaschen macht im Urlaub Spaß. Der Raum wird von der Sonne durchflutet und in aller Ruhe knete ich die Wäsche im heißen Wasser langsam durch.
Kurz darauf wehen Socken und Unterwäsche rund um mein Zelt fröhlich im Wind. So wie es aussieht, wird alles in Rekordzeit wieder trocken sein. Der Blick aus meinem Zelt ist schier unglaublich: 35 m unter mir liegt türkisblau der Atlantik und eine mächtige Brandung rauscht mit gewaltigem Getöse auf den wunderschönen Strand. Nur eine knappe Meile vom Campingplatz entfernt liegt Smoo Cave, eine große Höhle in den Felsen am Meer, in der schon vor 6.000 Jahren Menschen gelebt haben. Das Besondere an Smoo Cave ist ein Wasserfall, wo durch ein Loch in der Höhlendecke ein Bach in einen unterirdischen See sprudelt. Ich bin gespannt, ob das wirklich so schön aussieht, wie John es mir auf der Fähre erzählt hat. Auf dem Weg zur Höhle biege ich auf einen steinigen Pfad ab, der mich bis unmittelbar an die Klippen heranführt und einen tollen Blick aufs Meer bietet. Direkt gegenüber liegt die Sango Sands Campsite und wenn ich die Augen ein wenig zusammenkneife, dann kann ich sogar mein Zelt erkennen. Ohne Gepäck fährt sich die Kawa bretthart, denn ich habe die Feder für den Urlaub stärker vorgespannt. Das Endurowandern macht aber trotzdem Spaß und ich lasse mich sogar etwas zum Herumcrossen verleiten, bis ich Angst um die Reifen bekomme und lieber im ersten Gang in den Rasten stehend die Steilküste entlang wandere.
Smoo Cave, Durness
Eine steile Treppe führt vom Parkplatz hinunter zur Smoo Cave
Blick auf den Atlantik mit dem Rücken zur Smoo Cave
Der Eingang zur Smoo Cave, Durness
Smoo Cave, der Eingang zum See mit dem Wasserfall
"Allt Smoo" heißt der Bach, der als Wasserfall in eine Kammer der Smoo Cave stürzt
Bruce und Svenja in Durness
Zurück im Camp ernte ich empörte Blicke von Pieps, die seit Stunden auf der kleinen Dose Heinz Baked Beanz sitzt und darauf wartet, dass es endlich Essen gibt.
In Windeseile mache ich den Kocher scharf und haue uns die Koteletts in die Pfanne. Dazu gibt es Cheddar Cheese, Baked Beans und eine Dose John Smith's Extra Smooth.
Langsam senkt sich die Nacht aufs Camp und die Abendstimmung vorm Zelt mit dem wunderschönen Blick aufs Meer beeindruckt mich tief.
Nachdem die Sonne verschwunden ist, mache ich schon früh das Zelt von innen zu, denn jetzt wird es rasch kalt und feucht. Auch heute habe ich wieder keine Midges erlebt und allmählich glaube ich, es ist wie mit diesem Loch Ness Ungeheuer. Ein Märchen für kleine Kinder.
Abendstimmung in Durness
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