Tag 9 - Uig - Applecross - Gairloch
Am anderen Morgen weckt mich ein leichter Regen, der leise auf mein Zelt trommelt. Liquid Sunshine, wie die Schotten ihn humorvoll nennen.
Mit geübten Griffen packe ich meine sieben Sachen zusammen, stopfe den Schlafsack in seinen Beutel, rolle die Therm-a-Rest Matte zusammen und verstaue beides wasserdicht in der Ortlieb Tasche.Schwungvoll werfe ich Tankrucksack und Tasche hinaus ins nasse Gras, klettere hinterher und baue eilig das Zelt ab, was bei dem böigen Wind heute morgen etwas tricky ist. Ich knülle das Zelt eher zusammen, als das ich es zusammenlege und schnalle es mit ein paar extra Spanngummis oben auf die rote Tasche. Wie gut, dass ich nur diese drei Gepäckstücke habe.
Jetzt soll es sich in Ruhe abregnen, ich gehe solange ins B&B zum Frühstücken. Nach und nach trudeln auch die anderen Gäste im Frühstücksraum ein. Ein außergewöhnlich freundlicher britischer Gentleman gibt mir den Tipp, über Plockton zu fahren. Das malerische Fischerdorf sei ganz sicher einen Abstecher wert. Ich nicke nur, weil ich mit vollem Mund lieber kein Ti-Eitsch sprechen möchte.
Blick zurück auf Uig. Von links: Campingplatz, Bakur Bar, Tankstelle, Fähranleger
Diesmal geht es aber nicht mit der Fähre zurück aufs Festland, sondern über die Skye Bridge. Die Rückfahrt über die Insel ist auch heute wieder wunderschön, aber wegen des Regens traue ich mich nicht, die Kamera aus dem Tankrucksack zu holen.
Auf dem Weg von Uig nach Applecross fahre ich über die Skye Bridge
Ginster und Rhododendron sind ganz typisch für Schottland.
Nach 25 Meilen taucht der Abzweiger auf. Im Nachthemd bin ich hier schon viele Male vorbeigefahren, die Maus in der einen und den Kaffeebecher in der anderen Hand, aber heute sehe ich die roten und blauen Warnschilder zum ersten Mal nicht nur auf Google Streetview. Ich biege nach links in die Zufahrt ein und freue mich, als in diesem Augenblick die Sonne durch die Wolken bricht. Trotzdem lasse ich die Regenkombi lieber noch an. Wer weiß, welches Wetter mich auf dem Pass erwartet. Tatsächlich erwischt mich hinter der ersten Bergkuppe ein kurzer Regenschauer. Das Wetter wechselt jetzt im Minutenabstand, wie es für Schottland so typisch ist.
Der Bealach na Bà ist wunderbar flüssig und einfach zu fahren. Die Single Track Road ist gut ausgebaut und hat genügend Ausweichstellen. Kein Vergleich zum Hardknott Pass, der viel steiler ist und eher an einen alten kaputten Radweg erinnert.
Es macht viel Spaß, den Pass of the Cattle, wie die Übersetzung des gälischen Namens lautet, hinaufzudüsen. Mühelos schnurrt die KLX den Berg hinauf und ich mache es ihr leicht, indem ich in den unteren Gängen bleibe und die Drehzahl im mittleren Bereich halte. Während ich in bester Laune den Pass hochjage, wird mir immer deutlicher, dass eine leichte Einzylinder-Enduro noch immer das richtige Motorrad für mich ist. Damit komme ich weiter als auf jeder anderen Maschine und je schwieriger es wird, desto mehr Spaß macht es. Nur auf der Autobahn fühle ich mich wie die Bockwurst, aber da fahre ich ohnehin nicht gerne. Oben auf dem Pass stelle ich das Motorrad ab und klettere die letzten Meter zu Fuß auf den Gipfel, wo ich die Lumix auf den Erbsensack lege und ein Foto mit Selbstauslöser mache. Erst zuhause stelle ich fest, dass ich in der Regenkombi total fett aussehe. Aber immerhin trage ich ja auch zwei Schichten Thermowäsche, die rote Fleecejacke und die dicken Motorradsachen mit den Protektoren darunter... Nachdem der Pass überquert ist, beginnt der Abstieg nach Applecross. Insgesamt ist die Strecke etwas über zehn Meilen lang, gute 18 Kilometer. Applecross besteht aus einer Häuserzeile direkt am Ufer der Halbinsel, aus einem Campingplatz, der kleinen Tankstelle und aus dem Applecross Inn, dessen Zimmer leider außerhalb meiner Preislage sind. Für den Preis einer Übernachtung könnte ich eine ganze Woche lang zelten und Steaks braten. Mein Plan war es, heute in Applecross zu zelten, aber der Ort ist schon reichlich überfüllt. Auf dem Parkstreifen an der Wasserfront vorm Applecross Inn hätte ich Mühe, die Kawa zu parken. Außerdem ist es erst Mittag und ich könnte gerne noch ein paar Stunden fahren.
Viele Motorräder sind unterwegs und wie das meistens ist, kommen sie nicht allein, sondern in Gruppen.
Dabei stelle ich es mir total grässlich vor, in solch einer Gruppe mitzufahren. Was mache ich als Nummer 7, wenn ich ein Fotomotiv entdecke? Bremsen, anhalten, U-Turn, zurückfahren, fotografieren, erneut wenden und hinterher rasen? Nein, ich fahre lieber allein.
Selbst allein ist es oft tricky genug, zum Fotografieren anzuhalten. Der U-Turn muss flüssig gehen, um nicht lange auf der Straße herum zu stehen. Oft quetsche ich die KLX dicht an die Leitplanke, lasse den Motor laufen und düse nach dem Foto sofort weiter. Ich entscheide mich weiterzufahren und nicht auf Applecross zu bleiben. Soll ich über den Pass zurückfahren und denselben Spaß noch einmal erleben, oder lieber auf der Küstenstraße um die Nordspitze der Halbinsel herumfahren?
Ich nehme die Küstenstraße und bin schon nach den ersten Meilen froh, dass ich es getan habe. Die Strecke macht sogar noch mehr Spaß als die Fahrt über den Pass und am besten fährt man beide Wege, den einen hin und den anderen zurück.
Wester Ross Coastal Trail nahe Shieldaig
Zurück in den Highlands
Die Fleischabteilung hat leider nicht viel zu bieten. Nur zwei einsame Hähnchenschnitzel warten noch auf einen Käufer und die mag ich nicht. (die Schnitzel, nicht die Käufer...)
So kaufe ich nur eine Flasche Bishop's Finger, eine Pastete, ein Snickers und einen Cheddar Cheese, der mit seiner honiggelben Färbung und versprochenen 55% Fettstufe ausgesprochen lecker aussieht. Vielleicht finde ich später noch einen Butcher.
Von Kinlochewe aus geht es durch die Highlands nach Norden auf die Küste zu. Allmählich halte ich Ausschau nach einem Campingplatz.
Nach guten 20 Meilen erreiche ich Gairloch, eine kleine Stadt an der Küste mit 2.000 Einwohnern und einem schönen Campingplatz, der auf einer Terasse direkt über dem Meer thront und von dort einen tollen Ausblick auf die See bietet.
Auf dem Weg durch die Highlands von Kinlochewe nach Gairloch
Blick auf Gairloch von der Straße unterhalb des Camping Parks
Das Wetter ist prima, nur sehr windig, aber wenigstens trocknet dann mein Zelt schneller, das ich heute morgen in Uig bei Regen klitschnass eingepackt habe. Beim Aufbauen kann ich es kaum fassen, was für irre gute Rasenflächen sie hier haben. Ein dichter weicher Untergrund ohne Steinchen darin. Besser gehts wirklich nicht.
Leider muss ich ein bisschen was von dem schönen Gras kaputtmachen, als ich mir einen Picknicktisch organisiere, der viel zu schwer zum Schleppen ist. Also schleife ich das schwere Biest quer über den Platz zu meinem Zelt und hinterlasse dabei leider ein paar Kratzer im Gras. An der Rezeption bekomme ich den Tipp auf einen sehr guten Butcher in der Nähe und so mache ich mich auf den Weg sobald mein Zelt steht. Tatsächlich sind es nur 75 m die Straße runter bis zu Kenneth Morrison's Traditional Butcher Shop.
Wow, ein richtig altes, Traditionsgeschäft. Die Frau hinter der Ladentheke trägt eine altmodische Tracht und erlaubt mir sogar, ein Foto im Laden zu machen.
Das Fleisch im Tresen sieht ausgesprochen appetitlich aus. Wenig Schweinefleisch, aber sehr viel Rind und Lamm. Ich finde es toll, dass sie nicht irgendwelchen billigen Kram für 2,75 pro Kilo verhökern, sondern lieber richtig tolle Qualität anbieten.
Der Campingwart hatte mich allerdings gewarnt: "It's very good but a little expensive." Egal, ich habe heute kaum Geld ausgegeben und durch das Zelten spare ich ohnehin schon genug. Dafür gebe ich jetzt 16,90 £ für Fleisch aus: Ein Ribeye Steak, ein Sirloin Steak, ein Lambchop und etwas Burgerbeef. Ich schwebe im siebten Himmel, als ich die ansehnliche Fleischtüte zurück ins Camp trage.
Kenneth Morrison Traditional Butcher, Gairloch
Oh, ich liebe Camping. Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass ich noch nicht eine einzige von diesen Midges getroffen habe? Allmählich glaube ich, die sind nur eine Legende und in echt gibts die gar nicht...
Reparatur der Regenkombi mit Gewebeband
Außer dem Bordwerkzeug habe ich auf Reisen nur ein einziges Ersatzteil bei mir: Eine Rolle extrem gutes Gewebeband von Tesa. Damit ist es ganz einfach, den großen Riss in der Regenkombi zu kleben. Dabei klebe ich mir aus Versehen ein großes, schwarzes L auf die Kombi, Learner. Macht nichts, dann wissen die Schotten wenigstens gleich Bescheid und nehmen Rücksicht auf mich...
weiter zu Tag 10
zurück nach oben