Tag 21 - Gt.Carlton - Great Yarmouth
Das Chisitts Deli in Mablethorpe ist so winzig, dass die Kunden draußen sitzen und nur einzeln am Tresen bestellen können. So früh am Morgen ist es aber der einzige Laden mit der Aussicht auf Kaffee.
Der merkwürdige Name der Bar rührt von dem örtlichen Dialekt um Skegness her und ist die Kurzform von "How much is it?", oder kurz: "Chissit?".
"One pound, please.", erwidert die junge Frau, die aus Indien stammen könnte.
"How much?", frage ich nach, weil ich glaube, mich verhört zu haben.
"One pound, please", wiederholt sie freundlich.
Ein Frühstück für 1,11 €. Und da heißt es immer, England sei ein so teures Reiseland, nein, diese Erfahrung mache ich auf meiner Reise nicht. Ich bin so verblüfft über den Preis, dass ich sogar vergesse, Tip zu geben, worüber ich mich hinterher ärgere. Knauserig little Me! Die Strecke entlang der englischen Ostküste sieht auf der Landkarte sehr attraktiv aus. Dort schlängelt sich die Straße am Wasser entlang durch viele kleine Badeorte. Dennoch täuscht der Eindruck, denn die heruntergekommenen englischen Seebäder verströmen nur noch den morbiden Charme des Verfalls und nicht die bunte, fröhliche Ausgelassenheit, die ich mir in meinen Gedanken vorgestellt hatte.
Besonders Mablethorpe muss bessere Tage gesehen haben. Bingohallen, Take Aways und Nagelstudios reihen sich in renovierungsbedürftigen Häusern aneinander und sorgen für Tristesse. Was mag mit diesem Ort geschehen sein? Allein die Beach Huts am Strand sehen hübsch bunt aus. Beach Huts sind eine Art überdimensionierter Strandkörbe und fester Bestandteil der englischen Strandkultur. Man mietet sie tage- oder wochenweise und sie sind nicht einmal teuer. Während die Seebäder finanziell ausgezehrt wirken, reihen sich an ihren Rändern schmucke Trailerparks aneinander, wie ich sie bisher nur aus amerikanischen Spielfilmen kannte. Viel zu große, protzig aussehende Häuser auf Rädern stehen auf riesigen Arealen dicht an dicht an hässlich nebeneinander. Der absolute Höhepunkt aber ist Fantasy Island in Skegness. Ein Mega-Vergnügungspark, der sicher keine Wünsche offen lässt. Englische Familien buchen ihren Aufenthalt komplett mit allen Eintrittsgeldern und Übernachtung in einem der Wohnwagen und brauchen das Areal überhaupt nicht zu verlassen. Fast Food Included. Das Publikum, das an diesem Morgen zum Fantasy Island walzt, schockiert mich. Ob man ohne Tätowierung hier nicht reinkommt? Gegen Mittag komme ich durch Wisbech. Ich habe Hunger und die Cow muss tanken. Neben der Tanke gibt es eines dieser roten Little Chef Restaurants. Ich tanke das Motorrad voll und schiebe es hinüber auf den Parkplatz vor dem Restaurant.
Die Einrichtung gleicht der anderer Schnellrestaurants: Sachlich, praktisch, sauber und nicht gemütlich. Ich warte hinter dem Eingang an einem Schild darauf, dass ich platziert werde.
Meine Kellnerin heißt Jade und setzt mich an einen Fensterplatz. Sie ist so unglaublich hübsch, dass es mir die Sprache verschlägt. Mit über 1,80 m ist Jade so groß wie ich, hat wunderschöne dunkle Mandelaugen und wirkt an diesem Ort wie ein Supermodel im Straflager.
"If there's anything I can do for you, Miss, just shout." Sie nennt mich "Miss". Gut für mein Passing aber schlecht für alles sonst.
Die Gerichte auf der Speisekarte sehen vielversprechend aus und ich bestelle ein Steak and Ale Pie für 7,99 £ und Kaffee.
"Instant or ground?" fragt Jade, aber ich weiß nicht, was das bedeutet. "Ground? I don't know what it means. Is it filter coffee?", frage ich nach. Ja, ist es. Der Kaffee wird in einer dieser Selbstdurchdrückmaschinen serviert und schmeckt prima.
Das Essen ist entäuschend. Der Teig der Pastete ist fingerdick, so dass kaum Platz für die Füllung bleibt, eine Art Gulasch in Biersauce. Mein teuerstes Essen in England ist zugleich das schlechteste. Nein, tut mir leid, Jade, wir werden uns hier nicht wiedersehen. Außer ich darf dich abends mal von der Arbeit abholen.
Der Bureside Holiday Park kriegt mich an diesem Tag mit einem ganz andere Trick: Nachdem ich über acht Stunden unterwegs bin, suche ich einen Zeltplatz für die Nacht. Ein Schild "Campsite" an der Hauptstraße kurz vor Great Yarmouth zeigt nach rechts in die Pampa und ich folge ihm. Eine Entfernungsangabe ist nicht dabei. Es geht links und rechts, die Straßen werden immer kleiner. Nach guten zehn Meilen fahre ich über einen staubigen Sandweg zwischen Feldern hindurch und kann nicht glauben, dass ich hier noch richtig bin.
Bin ich aber, denn endlich erreiche ich den Bureside Holiday Park, der in Sachen Gastfreundlichkeit ganz eigene Akzente setzt. Der Platz steht auf einem ehemaligen Fabrikgelände und ist noch nicht ganz fertig gestellt. Dafür ist die Preisliste aber schon fertig und fordert tapfere 15 £ für eine Übernachtung im Zelt. Als ich mich beschwere, grinst der Typ am Tresen mich nur wortlos an. Wir wissen beide, dass ich jetzt nicht 16 km zur Hauptstraße zurückfahren werde, um mir einen anderen Platz zu suchen. Ich lächele zurück, bezahle und nehme mir vor, später im Waschraum irgend etwas kaputt zu machen, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Wie sich herausstellt, komme ich zu spät, das haben andere schon erledigt. Heute ist mein letzter Abend in England und ich bin ein bisschen traurig, dass ich ihn auf so einem ätzenden Platz verbringe. Morgen schlafe ich schon auf der Fähre nach Dänemark.
Schräg gegenüber zelten vier Typen, die den ganzen Abend Bierdosen öffnen, sich laut unterhalten und doof zu mir rüberglotzen. Nee, Freunde, auf euch hab ich nun gar keinen Bock. Als ich an ihnen vorbei zum Waschhaus gehe, mache ich mich noch ein paar Zentimeter größer als ich bin und habe vorsichtshalber sowieso meine Motorradklamotten angelassen. Es kommen aber keine dummen Sprüche und ich höre heraus, dass es Typen vom Militär sind, die hier ein Buddy Weekend verbringen und ganz in Ordnung sind. Den Abend verbringe ich mit Pieps und den Jungs vom Raumkreuzer Antares bei Bacon, Beans und Bier, bevor Pieps und ich schon sehr früh in unseren Schlafsack krabbeln.
Gute Nacht, Welt...
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