Tag 4 - York - Hardknott Pass
Mitten in der Nacht wache ich völlig durchgefroren auf und ziehe meine rote Fleecejacke an. Danach mache ich den Schlafsack soweit zu, dass nur noch meine Nasenspitze aus der Daunenkapuze herausguckt.
Im dichten Berufsverkehr fahre ich weiter in Richtung York. Mein Magen knurrt und als ich ein Hinweisschild "Café open" sehe, folge ich dem Schild und komme zu einem total schraddeligen Café, das aus zwei alten Blechcontainern zusammengeschweißt wurde. Es sieht nicht gerade einladend aus, aber ich habe Hunger und brauche ein Frühstück. Auf dem Schild am Eingang steht "Breakfast from 3.70 £". Ich stelle das Motorrad vor dem Café auf den Seitenständer und gehe hinein.
"Good morning.", werde ich vom Besitzer und seiner Frau freundlich begrüßt. Sie haben gerade erst aufgemacht und sitzen selbst noch bei ihrem ersten Becher Kaffee. Ich bestelle mir das Breakfast für 3.70 £ und während seine Frau in der Küche das Frühstück brät, verwickelt ihr Mann mich in ein Gespräch.

Als ich schließlich vor meinem ersten English Breakfast sitze, weiß ich, dass diese Insel wie geschaffen ist für mich. Zum Frühstück gibt es in England richtiges Essen und nicht irgendeinen jämmerlichen Blubberlutsch aus Magermilch und Müsli.
Stattdessen gibt es gebratenen Speck mit gebackenen Bohnen, Spiegeleier und Bratwurst, gebratene Tomaten und ein daumendickes Stück Weißbrot mit Butter. Ein großer Becher Kaffee gehört ebenfalls dazu und das alles für 3.70 £ (ca. 4,20 €).
Fast eine Stunde verbringe ich in dem kleinen Café und obwohl es etwas heruntergekommen wirkt, ist es doch ein echter Geheimtipp. In allerbester Laune, pappsatt und zufrieden fahre ich bei strahlend blauem Himmel nach York hinein.
Die Stadtmauer von York
Wohnhäuser mit vielen Schornsteinen sind ein typischer Anblick in England
Wo Svenja nicht hinfahren kann, das kann sie auch nicht besichtigen und so verlasse ich die Stadt, ohne das York Minster gesehen zu haben, in Richtung Yorkshire Dales. Ich nehme mir aber fest vor, die Besichtigung nach meiner Rückkehr in Wikipedia und Google Street View nachzuholen.
Eine Landschaft wie verzaubert, die Yorkshire Dales
Endlose Stonewalls in den Yorkshire Dales
Mir ist kalt und ich lege eine Pause ein, um irgendwo einen heißen Becher Kaffee aufzutreiben. Außerdem will ich der Frage auf den Grund zu gehen, was hier los ist und warum soviele Motorräder auf der Main Street stehen. Ich halte vor einem kleinen Café, stelle die Green Cow auf dem letzten freien Platz davor ab und stapfe in meiner Regenkombi zum Eingang. Über der Tür hängt ein Schild "Penny Garth Café".
Es ist kein einziger Platz mehr frei und als ich merke, dass ich als Einzige kein Leder trage, komme ich mir mit der lustigen Ente auf dem Rücken meiner orangen Regenkombi ein bisschen blöd vor. So lasse ich das Stimmengewirr hinter mir und setze mich mit meinem Kaffee auf die Bank vor der Tür.
Ich bitte jemanden, ein Foto von mir zu machen und dabei lerne ich Lesley kennen, eine pensionierte Lehrerin, deren blaue Kawasaki ER5F am Straßenrand gegenüber steht und gerade neugierig von einem Huhn beäugt wird. Von Lesley erfahre ich, dass Hawes und das Penny Garth Café der Treffpunkt für Biker ist. Viele kommen von weit her, um sich zu treffen und um die berüchtigte Motorradstrecke zur Devil's Bridge zu fahren.
Noch während ich mit Lesley beim Kaffee sitze, fährt die erste Ambulance mit heulenden Sirenen am Penny Garth Café vorbei und biegt kurz darauf von der Main Street ab auf die schmale Straße in Richtung Devil's Bridge.
Die Straße kurz hinter Hawes weiter in Richtung Lake District
Ich lenke die KLX auf eine große ESSO-Tankstelle mit angeschlossenem SPAR-Markt. Die Symbiose aus Tankstelle und Supermarkt begegnet mir in England häufig und ich finde das ausnehmend praktisch. Die Preise in den Märkten sind dabei absolut ok.
Für den Abend kaufe ich noch eine Flasche Bier, ein Wasser und eine der berühmten Ordnance Survey Karten, die zu den besten Landkarten gehören, die ich je gesehen habe. Damit werde ich auch den kleinsten Weg in die Berge finden. Langsam fahre ich das Ufer des Windermere entlang. Viele Inder und Pakistani, die hier Urlaub machen, prägen das Straßenbild. Windermere ist ansonsten ein typischer Badeort mit Booten, Wasserskifahrern, Hotels und Andenkenläden.
Der River Brathay kurz hinter Ambleside

Die Zufahrt auf die Passstraße nach Eskdale ist gar nicht so einfach zu finden und beinahe verpasse ich die unscheinbare Einfahrt. Little Langdale steht auf dem kleinen Schild.
Am Ortsrand von Little Langdale steht ein auffällig großes Warnschild, das die Autofahrer vor der gefährlichen Strecke warnt. Für Motorradfahrer aber ist es das reinste Werbeschild:

Der letzte Satz weckt in mir die Hoffnung, dass der Campingplatz in Eskdale ein gemütlicher Zeltplatz ohne Wohnwagen und große Wohnmobile sein wird.
Die Straße durch Little Langdale weiter zu den Pässen ist so unglaublich eng, dass zweitweise sogar mehrere Autos ein ganzes Stück rückwärts fahren müssen, um endlich eine Stelle zu finden, an der sie sich in Millimeterarbeit aneinander vorbeiquetschen können.
Selbst mit dem Motorrad ist es nicht immer einfach, sich an den Autos vorbeizumogeln.
Heute ist Samstag und wohl deshalb sind viele Ausflügler auf der schönen Strecke unterwegs. Es geht nur sehr, sehr langsam voran und wenn ich einmal 50 km/h auf dem Tacho sehe, dann nur auf einem der kurzen Verbindungsstücke zwischen zwei Kurven und bin damit eigentlich auch schon zu schnell.

Auf jeden Fall erkenne ich die kleine Farm wieder, wo es nach rechts über eine alte Steinbrücke geht. Gleich danach beginnt der Anstieg zum Wrynose Pass.
Die Strecke erinnert dabei eher an einen etwas breit geratenen, alten Radweg, als an eine Straße. Es ist ein steiler Anstieg, auf dem man nicht gerne stehenbleibt, weil es gar nicht leicht ist, das Motorrad ohne rauchende Kupplung, aber auch ohne Wheely wieder in Fahrt zu bringen.
Bei Gegenverkehr kann ich mit der leichten, hochbeinigen Kawasaki aber auch in das Geröllfeld, oder auf die Schafweide neben der Piste ausweichen und brauche nicht jedesmal anzuhalten.

30% Steigung sind tatsächlich noch einmal ein wesentlicher Unterschied zu den 25%, die ich schon mehrfach gefahren bin.
In den unteren Gängen sind Wheelies "just with a twist of the wrist" möglich und über den zweiten Gang komme ich gar nicht erst hinaus. Viel zu eng ist die Straße und die Kehren sind nur im ersten Gang zu schaffen.
Am Wegesrand grasen immer wieder Schafe mit ihren Lämmern. Zäune gibt es nicht, nur diese endlosen Trockenmauern.
Auf der Straße werden die Schafe durch Cattle Grids am Ausbüchsen gehindert. Diese groben Metallroste in der Fahrbahn können Huftiere nicht überqueren, außer der Green Cow natürlich, für die das überhaupt kein Problem ist :-)
Oben auf dem Pass lege ich eine Pause ein. Die Enduro stelle ich auf einem Felsen neben der Straße ab, trinke einen Schluck Wasser und fühle mich in diesem Augenblick so wach und lebendig, so jung und so stark, dass ich mir wünsche, dieser Tag möge niemals enden.
Die Abfahrt vom Hardknott Pass in Richtung Eskdale
Ein Dutzend Mal hatte ich mir diese Stelle zuvor in Google Street View angeschaut
Die Zufahrt zum Eskdale Campingplatz

In der Rezeption stehe ich als Fünfte in der Warteschlange. So richtig glücklich bin ich mit dem Platz nicht, denn es ist viel junges Partyvolk mit dem Zelt unterwegs.
Als ich an der Reihe bin, zahle ich 8,48 £ und bitte um einen möglichst ruhigen Platz. Der Mann hinterm Tresen will wissen, ob ich es mir zutraue, mit dem Motorrad auf einer schmalen Steinplatte einen Bach zu überqueren. Dann hätte er nämlich den perfekten Platz für mich. Ja, sowas kann ich und kurz darauf steht die Green Cow als einziges Fahrzeug auf einer leicht sumpfigen Wiese.
Nur ein paar Wanderer stehen hier mit ihren Zelten. Als ich mein Zelt aufstelle und darin die Isomatte ausrolle, bilden sich sofort zwei nasse Flecken unter meinen Knien. Mist, der Zeltboden meines Vaude Campo ist nicht mehr dicht, das Laminat hat sich teilweise gelöst. Davon lasse ich mir die gute Laune aber nicht verderben. Auf meiner neuen Therm-a-rest Matte liege ich hoch genug über dem nassen Zeltboden.

Das Firsty Ferret schmeckt aber ganz prima und ich merke mir die Flasche mit dem durstigen Frettchen auf dem Etikett.
Gegen 20 Uhr ist es so kalt, dass ich in meinem Zelt verschwinde. Der Zeltplatz ist schön, aber auf der nassen Wiese fühle ich mich nicht wohl. Obwohl ich meine Fleecejacke im Schlafsack anlasse, werde ich nachts zweimal wach, weil mir kalt ist. Anfang Juni wird es nachts noch ziemlich kalt in den Bergen und ich falle in einen unruhigen Schlaf.
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