Tag 20 - Pocklington - Great Carlton
Ich muss unbedingt aus diesem Schlafsack raus. Puh, ist das heiß hier drinnen, wenn die Sonne ungehindert aufs Zelt scheint. Jetzt aber raus.
Schon um kurz nach acht Uhr bin ich auf dem Motorrad unterwegs nach Süden. Ein festes Ziel habe ich heute nicht. Mal sehen, wie weit ich komme, aber zuerst möchte ich irgendwo einen Kaffee trinken.In Holme-on-Spalding-Moor sehe ich das Klappschild von Nita's Country Café und halte davor an. Der rote Backsteinbau sieht total einladend aus und kurz darauf lerne ich Nita kennen, eine hübsche Blonde, die fast so groß ist wie ich.
Mit einem großen White Coffee und zwei Scheiben Toast mit Butter setze ich mich an einen der kleinen Tische und werfe einen Blick in die SUN, die auf dem Tisch liegt. Auf der Titelseite lese ich eine Notiz über Amy Winehouse und blättere neugierig Seite fünf auf, wo der Artikel dazu steht. Amy ist nun einmal mein absolutes Popidol, auch wenn sie schon ziemlich lange nichts Neues mehr gebracht hat, aber ich liebe ihre göttliche Stimme und ihren unangepasten, heißen Style. Valerie ist seit Jahren Claudies und mein Song. Keine Disco und keine Bar, in der wir danach nicht getanzt hätten und unvergessen unser Auftritt vor ein paar Jahren auf der MTV Aftershow Party. Oh no, was lese ich: In irgendeinem Kaff in Serbien hat Amy einen Auftritt vergeigt und ist hackenkackenstramm von der Bühne getorkelt nachdem die Plattköppe sie ausgebuht haben. Es macht mich total traurig, sie so am Boden zu sehen. Wenn ich doch nur helfen könnte.
Nach einem prima Frühstück, für das Nita mir nur 3 £ berechnet hat, geht es bei strahlendem Wetter weiter nach Süden.
Kurz vor Scunthorpe überquert die Green Cow ihren 10.000 Km Äquator und ich lenke sie in eines der wunderschönen Mohnfelder, um ein Erinnerungsfoto zu machen.
An der Tankstelle in Scunthorpe fülle ich drei Liter Benzin nach und gehe in den riesigen ASDA Megastore zum Einkaufen. Ich stelle mir einen bunten Teller verschiedener RibEye Steaks aus Irland und Schottland zusammen. (Angus beats the Irish beef hands down). Auch eine neue Haarspange landet in meinem Einkaufskorb, aber schon beim Einpacken in den Tankrucksack mache ich sie kaputt und werfe sie gleich in den Mülleimer vor dem ASDA. Schade drum, denn da war tatsächlich mal ein bisschen Bling Bling dran. Bevor ich weiterfahre, rufe ich Claudie zuhause in Kiel an. Es ist schön, ihre Stimme zu hören und außerdem hat sie einen tollen Übernachtungstipp für mich. In der Nähe von Louth gibt es eine Campsite auf einer Farm, die bei Google Earth total klasse aussehen soll. Es ist gerade erst Mittag, als ich auf der West End Farm eintreffe und Claudie hatte Recht, das sieht echt prima aus. Der Campingplatz auf den Wiesen um die Farm sieht verlassen aus. Man braucht einen Code für das elektronische Schloss am Gatter, den ich natürlich nicht habe und es ist auch niemand da, den ich fragen könnte.
Die Green Cow ist aber so schlank, dass sie mit riskierten Spiegeln auch durch das Fußgängertor passt.
Am Rande der Wiese steht eine kleine Hütte mit einer Klingel, die Rezeption. Auf mein Klingeln kommt aber niemand und deshalb suche ich mir selbst einen schönen Platz und baue mein Zelt auf.
Welch ein schöner Campingplatz mitten in der Natur. Hier hört man nur die Vögel. Zufrieden liege ich auf meiner Therm-a-Rest Matte in der Sonne und lese den Weltraum Thriller weiter, in dem die Aliens von unserem Sternenkreuzer Antares gerade ordentlich die Jacke voll kriegen.
Gerade als die Antares ihre Plasmatorpedos abfeuert, höre ich den harten Klang eines Diesel Direkteinspritzers und ein altes Fiat Ducato Wohnmobil rollt auf den Platz. Muss das ausgerechnet jetzt sein? Ein älteres Ehepaar mit einem noch älteren Pudel steigt aus und die Lady ist not amused, weil ich angeblich auf ihrem Platz stehe. Sie habe heute morgen auf der Farm angerufen und ihr sei ein abgelegener Einzelstellplatz zugesagt worden. Ihr Pudel habe nämlich Husten und sie wolle die anderen Camper nicht stören. Deshalb sei ihr genau dieser Stellplatz zugesagt worden.
Pech gehabt, denke ich, denn jetzt stehe ich hier schon. Der Campingplatz ist ansonsten völlig verlassen, aber diese beiden Landeier wollen ausgerechnet auf den Platz, wo schon mein Zelt steht. Die beiden können aber keine schriftliche Reservierung vorzeigen und damit haben sie für mich nur die Befugnisse einer toten Katze.
Ich bin der Diskussion überdrüssig und schalte meine Sensoren in den Modus völliger Gleichgültigkeit, bevor ich mich wieder der Antares und dem Schicksal der Menschheit zuwende.
Englische Rentner sind aber genauso hartnäckig wie unsere und stellen ihr Wohnmobil auf den Platz neben mein Zelt. Was treibt diese Menschen? Hier ist doch Platz genug. Offensichtlich ist es aber ein Racheplan der Geronten, denn ihr alter Pudel hustet tatsächlich wie der Marlboro Mann in seinen besten Tagen. Am späten Nachmittag, ich bin gerade mit den RibEyes fertig, kommt ein großer blonder Typ mit langen, wilden Haaren auf mich zu. Es ist Chris, der Farmer, dem die Campsite gehört. Chris ist selbst gerne auf seinem Motorrad, Zelt und Schlafsack in Europa unterwegs und wir verstehen uns auf Anhieb.
Minuten später sitze ich zuerst auf seiner alter Moto Guzzi California und kurz darauf in seinem Wohnzimmer. MEINE Mama hat nämlich nie etwas davon gesagt, dass ich nicht zu fremden Männern nach Hause gehen soll. Wir unterhalten uns die halbe Nacht über Motorräder, unsere Reisen, die Probleme in Großbritannien, den Euro und Gott und die Welt. Es ist ein unterhaltsamer Abend, aber irgendwann merke ich, dass es Zeit ist zu gehen, denn so toll die Sache mit dem Passing auch ist, so hat sie doch auch ein paar echte Nachteile.
Bevor ich in mein Zelt krabble, ernte ich aber noch ein total süßes Kompliment: "You've got the five Bs: You like blues, bikes, beer, beef and you are beautiful". Ich liebe Chris für diesen Spruch und beschließe ihn bei nächster Gelegenheit selbst irgendwo anzubringen...
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